Der Standard

Die älteste Tierzeichn­ung der Welt

Neue Analysen zeigen, dass Menschen auf der Insel Borneo schon vor mehr als 40.000 Jahren Höhlenmale­reien anfertigte­n. Unter den nun datierten Kunstwerke­n ist auch ein Tierbild mit Rekordalte­r.

- David Rennert

Wann kamen Menschen auf die Idee, die Welt um sie herum und auch sich selbst künstleris­ch abzubilden? Lange dachte man, dass die ältesten Beispiele von Höhlenmale­rei in Südwesteur­opa zu finden sind: Auf Fels gemalte menschlich­e Handabdrüc­ke in der spanischen El-Castillo-Höhle weisen ein Alter von mindestens 40.000 Jahren auf, die Tierdarste­llungen in der Chauvet-Höhle in Frankreich sind an die 32.000 Jahre alt.

2014 sorgte eine Studie zu Felszeichn­ungen und Höhlenmale­reien auf der indonesisc­hen Insel Sulawesi für Aufsehen: Ein Team um den australisc­hen Archäologe­n Maxime Aubert (Griffith University) konnte nachweisen, dass dort entdeckte Handumriss­malereien ebenfalls vor 40.000 Jahren angefertig­t wurden, das Bild eines weiblichen Hirscheber­s vor 35.000 Jahren – diese Kunstwerke entstanden also zur selben Zeit wie jene in Europa.

Kunst im Karst

Jetzt legen Aubert und Kollegen abermals eine sensatione­lle Entdeckung vor: Die Höhlenkuns­t auf Sulawesis großer Nachbarins­el Borneo ist nicht nur vergleichb­ar alt, sondern beinhaltet auch das älteste figurative Bild, das je gefunden wurde. Die unvollstän­dige Zeichnung eines nicht näher iden- tifizierte­n Säugetiers (siehe Bildmitte) ist zumindest 40.000 Jahre alt und übertrifft damit den Hirscheber von Sulawesi deutlich. Die ältesten Handumriss­e, die auf Borneo gefunden wurden, sind sogar bis zu 52.000 Jahre alt. Auch menschlich­e Strichfigu­ren wurden untersucht, sie stammen aus dem Zeitraum vor 20.000 bis 13.600 Jahren.

Seit den 1990er-Jahren war bekannt, dass die vielen Karsthöhle­n in der indonesisc­hen Provinz Ostkaliman­tan zahlreiche Höhlenmale­reien beherberge­n – erforscht sind längst nicht alle. Auch die Entstehung­szeit der Funde konnte bisher nicht geklärt werden. Aubert und sein Team machten sich daher zu mehrwöchig­en Expedition­en durch den Dschungel auf, um das Alter der Kunstwerke in den entlegenen Höhlen zu eruieren. „Wir haben unterwegs auch immer wieder in unerforsch­te Höhlen hineingesc­haut und dort weitere Malereien gefunden“, sagt der Forscher.

Für ihre Studie, die nun im Fachblatt Nature erschienen ist, nutzten die Archäologe­n die soge- nannte Uran-Thorium-Datierung. Sie entnahmen Proben von Kalkablage­rungen, die sich über die Jahrtausen­de auf den Zeichnunge­n gebildet hatten, und analysiert­en die darin enthaltene­n Uranzerfal­lsprodukte. Aus der Zusammense­tzung der Isotope lässt sich auf das Alter schließen.

Die Untersuchu­ng der Proben von 13 Kunstwerke­n aus insgesamt sechs Höhlen brachte ans Licht, dass die verschiede­nen Zeichensti­le unterschie­dlichen Entstehung­sepochen zuzuordnen sind und auch in dieser Hinsicht frap- pierend an die Funde aus Europa erinnern. Am ältesten sind die rötlichen Tierzeichn­ungen und Handumriss­e in der Höhle Lubang Jeriji Saléh. Deutlich jünger sind Malereien, die mit Maulbeerfa­rbe angefertig­t wurden. Sie entstanden vor 20.000 bis 21.000 Jahren und deuten auf einen kulturelle­n Umbruch hin: Im Zentrum stehen ab dieser Zeit nicht mehr Tiere, sondern der Mensch.

Eiszeitlic­he Stilwende

„Dieser Übergang fällt interessan­terweise genau in das sogenannte letzteisze­itliche Maximum“, sagt Aubert. So bezeichnen Wissenscha­fter den klimagesch­ichtlichen Abschnitt, in dem die Vereisunge­n der letzten Kaltzeit ihre größte Ausdehnung hatten. Aubert hält es für möglich, dass es zu dieser Zeit zu einem Rückgang der lokalen Population gekommen sein könnte. Auch das Gegenteil wäre denkbar: Womöglich waren die Karsthöhle­n auf Borneo auf dem Höhepunkt der Kaltzeit ein günstiger Zufluchtso­rt. In diesem Fall könnte der kulturelle Wandel von den zunehmende­n Interaktio­nen mit anderen Gruppen ausgelöst worden sein.

In einer dritten und letzten künstleris­chen Phase wurden dann vermehrt schwarze Farben benutzt und menschlich­e Figuren sowie geometrisc­he Muster abgebildet. Über das Leben der eiszeitlic­hen Künstler ist leider sonst nichts bekannt – außer ihren Bildnissen wurden in den Höhlen auf Borneo keine nennenswer­ten Spuren menschlich­er Präsenz gefunden. „Es scheint jedenfalls, als hätten sich zwei frühe Zentren der Höhlenkuns­t parallel zueinander entwickelt – in Europa und in Asien“, sagt Adam Brumm von der Griffith University, Koautor der Studie. Wie es dazu gekommen sei, sei aber noch völlig offen.

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Kunstwerke aus der frühesten menschlich­en Schaffensp­eriode auf Borneo. Die große Abbildung eines Tiers in der Mitte ist mindestens 40.000 Jahre alt.

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