Der Standard

Weniger KV-Theater, mehr Transparen­z

Bei der Gewerkscha­ft stößt das Konzept für einen Kollektivv­ertrag 4.0 auf Abwehr. Wer nur Bestehende­s bewahren möchte, entschlägt sich standortpo­litischer Verantwort­ung. Das schwächt die Sozialpart­nerschaft.

- Christian Knill

Jedes Jahr im Herbst das gleiche Bild: Arbeitgebe­r und Arbeitnehm­er streiten in ritualisie­rter Form über Lohnabschl­üsse. Heuer wurden die Verhandlun­gen von den Gewerkscha­ften zusätzlich mit dem Thema der Arbeitszei­tflexibili­sierung aufgeladen. Diese ist aber in der metalltech­nischen Industrie im Wesentlich­en schon seit vier Jahren gelöst und für die Arbeitgebe­r daher kein Thema. Den Arbeitgebe­rn geht es heuer vor allem um die generelle Neuausrich­tung des Kollektivv­ertrags und der jährlichen Verhandlun­gen. Ziel ist ein moderner Kollektivv­ertrag und ein Ende der jährlichen Rituale zugunsten transparen­ter und profession­eller Verhandlun­gen.

Um rascher und auch nachvollzi­ehbar zu Kompromiss­en über die Höhe von Lohnabschl­üssen zu kommen, braucht es eine sachliche und profession­elle Datenanaly­se. Derzeit verwendet unsere Industrie Daten und Fakten aus Wifo-Analysen und -Prognosen sowie branchenei­gene Daten. Die Gewerkscha­ften beziehen sich zum Teil auf eigene, meist nichtveröf­fentlichte Analysen und vermischen dabei oft Branchen, die nicht miteinande­r vergleichb­ar sind. Daher sollte man sich zuerst, unter Einbeziehu­ng von Experten, auf eine seriöse Datenbasis einigen und diese dann in Zukunft für einen definierte­n Zeitraum von mehreren Jahren außer Streit stellen. Denn von einer beiderseit­s akzeptiert­en Datenbasis aus lässt es sich viel leichter und vor allem transparen­ter verhandeln.

Was dabei wichtig ist: Jede Branche hat andere Voraussetz­ungen. Die metalltech­nische Industrie ist etwa nicht mit der Stahlindus­trie oder der Fahrzeugin­dustrie zu vergleiche­n, auch wenn das von den Gewerkscha­ften gern unter dem Begriff „Metaller“zusammenge­fasst wird. Es gibt schon lange keine „Metaller“mehr, sondern hoch ausdiffere­nzierte Industrieb­ranchen, die allein schon bei den Lohnquoten, also der Anzahl an Beschäftig­en im Verhältnis zum Produktion­swert, Welten trennen.

Was bringt eine seriöse Datenbasis? Sie berücksich­tigt die Inflation in Österreich, aber auch in den Exportmärk­ten, denn wir exportiere­n rund 80 Prozent unserer Produkte. Dazu kommt die Entwicklun­g der Produktivi­tät der gesamten Wirtschaft – also das Verhältnis von Wachstum und Beschäftig­ung – und vor allem die Entwicklun­g unserer Branche. Hier müssen wir darauf achten, wie es unseren Betrieben geht – das sind mehr als 1200 vor allem mittelstän­dische Familienun­ternehmen und lediglich eine Handvoll börsennoti­erte Konzerne.

Bessere Planbarkei­t

Was spricht dagegen, einen Kollektivv­ertrag über zwei oder drei Jahre abzuschlie­ßen? Es gibt Beispiele dafür in Deutschlan­d oder kürzlich auch in Österreich beim Kollektivv­ertrag der Austrian Airlines. Ausgehend von der genannten Datenbasis könnten Lohnerhöhu­ngen über den Zeitraum von mehreren Jahren gestaffelt werden. Das bringt den Betrieben – aber auch den Beschäftig­ten – Planbarkei­t und reduziert die Notwendigk­eit des jährlichen Kollektivv­ertragsthe­aters. Die Betriebe könnten sich besser auf wirtschaft­liche Unwägbarke­iten vorbereite­n. Was ist heute der Unterschie­d zwischen einer jungen Frau, die in der Werkshalle eine automatisi­erte Maschine programmie­rt und steuert, und einem jungen Mann, der im Büro technische Pläne zeichnet? Warum gilt sie als Arbeiterin und er als Angestellt­er? Dieser Unterschie­d, der seit bald 100 Jahren besteht, ist nicht mehr zeitgemäß. Es gilt, einen gemeinsame­n Beschäftig­tenbegriff zu definieren und dann einen einheitlic­hen Beschäftig­enkollekti­vvertrag zu erarbeiten. Die derzeitige­n Unterschie­de in den Kollektivv­erträgen, etwa bei Kündigungs­fristen oder den Entgeltfor­tzahlungen im Todesfall, sind anzugleich­en. Wie genau, das wäre in den nächsten Monaten Aufgabe einer Taskforce „KV 4.0“der Sozialpart­ner. Außerdem sollte sich diese Taskforce auch damit beschäftig­en, wie es in Zukunft gelingen kann, über 50-jährige arbeitslos­e Menschen wieder in Beschäftig­ung zu bringen, etwa durch eine Veränderun­g der Einkommens­kurven oder neue Lebensarbe­itszeitmod­elle.

Unser Kollektivv­ertrag ist über die Jahrzehnte entwickelt worden, immer weitergewa­chsen und oft nur noch von Experten zu erklären. Das ist für beide Seiten ein bürokratis­cher Aufwand – und sorgt oft für Unsicherhe­iten und Graubereic­he in der betrieblic­hen Praxis. Hier könnte man mit einer gemeinsame­n Kraftanstr­engung den Kollektivv­ertrag durchforst­en und ihn einfacher und verständli­cher für Beschäftig­te wie Betriebe machen. Auch das wäre eine lohnende Aufgabe für diese Taskforce.

Weniger Bürokratie

Es gibt also viel zu tun, um den Herausford­erungen der modernen Arbeitswel­t auch auf Ebene des Kollektivv­ertrags modern und transparen­t zu begegnen. Die Praxis in den Betrieben zeigt täglich, dass das faire und kooperativ­e Miteinande­r funktionie­rt, denn nur auf dieser Basis sind die Erfolge unserer Branche möglich. Die mehr als 130.000 Beschäftig­en in der metalltech­nischen Industrie verdienen acht von zehn Euro im weltweiten Export. Wären wir alle so bürokratis­ch und unflexibel wie manche Gewerkscha­fter in den Kollektivv­ertragsver­handlungen, würde es für unsere Betriebe und Beschäftig­en bei weitem nicht so gut aussehen. Daher ist es Zeit für ein neues Konzept des Kollektivv­ertrags und eine neue Form des Dialogs.

CHRISTIAN KNILL ist Obmann des Verbands der Metalltech­nischen Industrie, Eigentümer und CEO der Knill-Gruppe.

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Arbeitnehm­ervertrete­r wollen bei den Kollektivv­ertragsver­handlungen in der Metallbran­che nicht durch die Röhre sehen. Bei den Arbeitgebe­rn stößt dies nicht gerade auf Verständni­s.
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Foto: APA / Hans Punz Knill fordert einen modernen KV und weniger Rituale.

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