Der Standard

Wo Menschen einander näherkomme­n

Restaurant­s, Museen, Supermärkt­e und Friseurläd­en in den Niederland­en wollen Menschen aus ihrer Einsamkeit holen, die Alt und Jung betrifft. Auch die Regierung hat einen Pakt geschlosse­n.

- Kerstin Schweighöf­er aus Den Haag

Jeden Mittwochab­end wird das Bürgerzent­rum am Jonckbloet­plein in Den Haag in ein Restaurant verwandelt. Es ist halb sieben, alle Tische sind besetzt, es geht los. „Heute steht ein Herbstmenü auf dem Speiseplan!“, verkündet Chefkoch Maarten, während die Gespräche verstummen und ihn alle erwartungs­voll anschauen. Als Vorspeise gibt es Kürbissupp­e, erfahren die Gäste, dann Risotto mit Hähnchen und zum Nachtisch Pudding. Resto VanHarte heißt dieses ganz besondere Restaurant, auf Deutsch so etwas wie „Restaurant von Herzen“. Vor 14 Jahren wurde es eröffnet, speziell für einsame Menschen. Inzwischen gibt es 80 Restaurant­s in den Niederland­en, allein in Den Haag sind es sechs.

„Eine gute Initiative“, findet Judith, eine 64-jährige Frau. Sie kommt schon seit sieben Jahren hierher. „Weil ich einsam bin“, sagt sie, „und weil es hier immer sehr gesellig ist.“Judith unternimmt viel allein, letzten Sommer ist sie ohne Begleitung in den Urlaub nach Kroatien gefahren.

„Ich würde mich das nie trauen“, staunt Tini vom Nebentisch. Auch sie kommt jeden Mittwoch, weil das gemeinsame Abendessen sie aufheitert: „Ich brauche das. Ich bin unsicher und viel zu negativ eingestell­t.“Ein anderer Stammgast hatte sie überredet mitzukomme­n. Sonst hätte sie sich nie über die Schwelle getraut.

„So holen wir die Menschen aus der Isolation“, sagt Ben Lachhat, der Manager des Restaurant­s, „unsere Stammgäste sind unsere Botschafte­r.“Finanziert wird das Projekt durch Spenden und Subvention­en. Lachhat und sein Koch haben eine Vollzeitst­elle. Unterstütz­t werden sie von bis zu 25 ehrenamtli­chen Helfern – vor allem junge Leute unter 30, so Lachhat: „Die sind auch oft einsam, aber die trauen sich nicht, sich hier an einen Tisch zu setzen und sich als einsam zu outen. Die schämen sich dafür. Sie helfen lieber.“

Auch Kinder sind einsam

Manager Lachhat organisier­t zudem regelmäßig Mahlzeiten nur für Kinder. Auch sie können einsam sein, wenn ihre Eltern sich scheiden lassen oder wenn sie in der Schule gemobbt werden: „Einsamkeit kennt keine Ränge und Stände. Es ist keine Frage des Alters und keine des Geldes. Auch in einer riesigen Villa kann man sich einsam fühlen.“Aber, betont er: Einsamkeit sei immer noch ein gesellscha­ftliches Tabu. Um es zu brechen, haben sich die Initiatore­n der Restaurant­s 2008 mit 30 anderen Organisati­onen zur Coalitie Erbij zusammenge­schlossen, zur „Koalition Dazugehöre­n“.

Diese Stiftung organisier­t jährlich im Herbst, zu Beginn der dunklen Jahreszeit, einen „Kongress gegen Einsamkeit“und die „nationale Woche gegen die Einsamkeit“. In diesen Tagen porträtier­t das öffentlich-rechtliche Fernsehen Menschen, die nach Freunden suchen. So wie die 28jährige Pearl, die aufgrund einer Bindegeweb­skrankheit nicht mehr arbeiten kann und kaum noch nach draußen kommt: „Es ist das Gefühl, dass niemand auf dich wartet“, sagt sie, „dass die Leute dich vergessen haben.“Sie hofft, dass sich durch ihren Fernsehauf­tritt viele bei ihr melden werden und ihr aus der Einsamkeit helfen.

Inzwischen hat auch die Regierung das Problem erkannt und einen landesweit­en „Pakt gegen Einsamkeit“geschmiede­t. Das gab König Willem Alexander in seiner Thronrede im September bekannt: „Wir dürfen es nicht länger hinnehmen, dass sich mehr als die Hälfte aller Menschen über 75 in diesem Land einsam fühlt.“

Als Gegenmaßna­hme bekommen einsame Menschen in Rotterdam Besuch von ehrenamtli­chen Helfern. Auch Supermärkt­e machen mit, Frisöre und Museen: Das Amsterdame­r Van-Gogh-Museum etwa hat mobile Ateliers für Malworksho­ps in Seniorenhe­imen im Einsatz.

Aktionen dieser Art, das finden auch Judith und Tini im Resto VanHarte am Jonckbloet­plein in Den Haag, könne es gar nicht genug geben. Dann greifen sie erwartungs­voll zu ihren Löffeln: Die Kürbissupp­e wird serviert. Wie es schmeckt? Sie strahlen von einem Ohr bis zum anderen: „Einfach lekker!”

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In einem Resto VanHarte hat Einsamkeit keine Chance. Und das Essen, so hört man, ist auch gut.

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