Der Standard

Der Umgang mit Österreich­s Vergangenh­eit

Auf Einladung der Bundesregi­erung besuchen 80 Überlebend­e der Shoah ihre frühere Heimat Österreich. Eine Reise, die Erinnerung­en weckt – und erinnern lassen soll.

- Sebastian Fellner

REPORTAGE:

Auf den ersten Blick sehen sie aus wie eine ganz normale Touristeng­ruppe, die rund 80 Senioren, die hier im dritten Wiener Bezirk aus drei Reisebusse­n steigen – viele mit Gehstöcken oder Rollatoren. Sie lesen Informatio­nstafeln, schießen Fotos, lauschen der Fremdenfüh­rerin. Tatsächlic­h sind es Gäste aus Israel, zu Besuch in Österreich. Dem Land, in dem sie geboren wurden. Nur hierbleibe­n konnten sie nicht. Es sind Überlebend­e der Shoah, der systematis­chen Ermordung von rund sechs Millionen Jüdinnen und Juden durch das nationalso­zialistisc­he Regime.

Der erste Blick könnte den Beobachter täuschen, wären da nicht die Kamerateam­s und die Fotografen um die scheinbar gewöhnlich­e Touristeng­ruppe herum – und wäre da nicht die erste Station ihrer Stadtführu­ng, das Mahnmal Aspangbahn­hof. Das 2017 eröffnete Werk soll an jene rund 47.000 Menschen erinnern, die an genau dieser Stelle in Ghettos und Vernichtun­gslager abtranspor­tiert wurden. Das Kunstwerk aus Beton, entworfen vom Künstlerdu­o Prinzpod, zeigt zwei zusammenla­ufende Schienen, die in einen hohlen Betonblock, in die Dunkelheit, führen.

Im Resselpark verprügelt

Robert Hochstadte­r findet es ein bisschen mickrig – „ärmlich“, um es in seinen Worten zu sagen. Zumindest im Vergleich zum Gegenstück in Berlin, dem Mahnmal „Gleis 17“am dortigen Bahnhof Grunewald, das sei eindrucksv­oller. Seine 95 Jahre sieht man Hochstadte­r nicht an. Er spaziert ohne Gehhilfe durch seine einstige Heimatstad­t, mit buntem Poloshirt und hellem Blick.

Den um sich greifenden Antisemiti­smus bekam Hochstadte­rs Familie schon früh zu spüren, Auslöser für die Flucht war aber ein Angriff im Resselpark, wo er als Kind „blutig geschlagen“wurde. 1935 sei sein Vater mit ihm geflohen, noch vor dem „Anschluss“, vor den Novemberpo­gromen. „Zum Glück“, sagt Hochstadte­r zum

Das Ziel war das damalige Palästina („Mein Vater war schon immer Zionist“). Heute lebt Hochstadte­r in Israel.

Zwischen Diaspora und alter Heimat

Wien hat er nach dem Krieg schon „einige Male“besucht, aber noch nie auf Einladung des Bundeskanz­lers. Sebastian Kurz und Bildungsmi­nister Heinz Faßmann (beide ÖVP) besuchten Jerusalem im Juni – ohne den dort offiziell nicht gern gesehenen Regierungs­partner FPÖ. Sie trafen Überlebend­e der Shoah, die in Österreich geboren wurden, und baten sie für eine Woche in die alte Heimat. Hier sind die Besucher in die Gedenkfeie­rlichkeite­n in Erinnerung an die Novemberpo­grome vor 80 Jahren eingebunde­n, werden im Stadttempe­l empfangen und sind auch zum Staatsakt anlässlich des Republikju­biläums am Montag in die Staatsoper eingeladen.

Zuvor geht es am Mittwoch für die Überlebend­en und ihre Begleiter aber zurück in den Reisebus in Richtung des zweiten Bezirks: zum Mittagesse­n ins Maimonides­Zentrum, das Seniorenhe­im der Israelitis­chen Kultusgeme­inde. Als Beispiel einer Brücke zwischen Diaspora und alter Heimat bezeichnet­e Maimonides-Leiter Micha Kaufman sich selbst und die Gäste aus Israel in seiner Rede: die Überlebend­en, die, wenn auch nur für eine Woche, in ihre alte Heimat zurückgeke­hrt sind; und er selbst, der erst vor einigen Jahren aus seinem Geburtslan­d Israel nach Österreich gekommen ist. Das Land biete Juden heute – auch dank der persönlich ausgesproc­henen Garantie des Kanzlers – ein „angenehmes, ruhiges und sicheres Leben“, sagt Kaufman.

Sicherheit und ihr Preis

Nach Jahrtausen­den der Verfolgung und aktuellen antisemiti­schen Anschlägen auch in Europa bleibt Sicherheit allerdings ein bedeutende­s Thema für die jüdische Gemeinde – das zeigt sich auch an den Vorkehrung­en, die das Seniorenhe­im in Wien treffen muss: Das einladende Foyer erreicht erst, wer Sicherheit­sschleusen beim Eingang inklusive Metalldete­ktor und Ta- schenkontr­olle erfolgreic­h hinter sich gebracht hat.

Schon 1925, erzählt Robert Hochstadte­r, sind seine Eltern von jungen Nationalso­zialisten aus einem deutschen Dorf vertrieben worden, in dem sie sich zur Sommerfris­che aufgehalte­n hatten – also schon lange vor der politische­n „Machtergre­ifung“der Nazis. Was bedeutet das für „Niemals wieder!“, was heißt es für „Wehret den Anfängen!“? Hochstadte­r denkt nach. „Antisemiti­smus wird es immer geben“, sagt er dann. Kein Appell, keine Lösung. Die müssen andere finden.

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Unterwegs im Bus, eine Reisegrupp­e, nur ganz anders: Überlebend­e der Shoah besuchen ihre alte Heimat Österreich.

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