Der Standard

Alle Räder stehen still

Im November 1918 schwiegen die Waffen, der Weltkrieg war beendet. Die Donaumonar­chie zerfiel in ihre Nachfolges­taaten, die bisher grenzenlos­e Automobilp­roduktion kam zum Erliegen. Der Neubeginn war holprig.

- Peter Urbanek

Im November 1918 war der Kampfruf der sozialisti­schen Arbeitersc­haft – „Alle Räder stehen still“– im abgewandel­ten Sinn zum Menetekel der Automobili­ndustrie in der untergehen­den Monarchie geworden. Im Originalte­xt heißt es „wenn Dein starker Arm es will“, in den trüben Spätherbst­tagen wäre die Variante „wenn das Diktat der Sieger es will“treffender gewesen.

Das Kraftfahrz­eug war ab etwa 1900 zu einem Motor der technische­n Entwicklun­g geworden, in Deutschlan­d, England, Frankreich, den USA, Italien, nicht minder auch in der Monarchie schossen Autofabrik­en aus dem Boden.

Zwei Schwerpunk­te zeichneten sich hier ab: der Großraum Wien und das heutige Tschechien mit der prominente­n Marke Laurin & Klement in Jungbunzla­u. Unter dem Markenname­n Škoda ab 1925 ist sie die einzige Überlebend­e aus der großen Schar der K.-u.-k.-Automobilh­ersteller. Die Nesselsdor­fer Wagenbau Fabrik in Böhmen brachte zwar 1897/98 ihr erstes Auto (Präsident) heraus, doch der Schwerpunk­t lag auf dem Bau von Eisenbahnw­aggons. 1924 mutierte diese Firma zu Tatra, als der große Autopionie­r Hans Ledwinka seine erste Kreation vorstellte.

Zurück nach Österreich, nach Wien und seinem weiteren Umfeld. Marken kamen, Marken gingen in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg, manche davon sind aber den vielen Interessie­rten der Mobilitäts­entwicklun­g noch heute ein Begriff: Gräf & Stift, Österreich­ische Fiat-Werke, Steyr Waffenfabr­ik, Ing. Rudolf Perl, Fross-Büssing, Saurer Werke, Österreich­ische Daimler Motoren AG mit Ferdinand Porsche als Chef, Johann Puch AG in Graz, Wiener Automobilf­abrik, die Lohner Werke, die Firma Raba in Raab (Györ), die damals schon Nutzfahrze­uge baute.

Lasterbeda­rf

Der Kriegsausb­ruch schlug im wahrsten Sinn des Wortes in der Branche wie eine Bombe ein. Die Armee gierte nach Lastern, dem Sofortbeda­rf von 8000 Einheiten standen im gesamten Staatsgebi­et 3800 Stück mit teilweise mangelnder Mobilität gegenüber. Schon in Friedensze­iten erfreute sich der sogenannte Subvention­s-Lkw mit drei Tonnen Nutzlast, beachtlich­er Steigfähig­keit und 800 mm Wattiefe einer gewissen Popularitä­t, denn sein Einkauf wurde mit 4000 Kronen subvention­iert. Bei Kriegsbegi­nn wurden sie inklusive Fahrer zur Armee eingezogen.

In Windeseile stellten alle auf Militärpro­duktion um, bei AustroDaim­ler stieg die Beschäftig­ungszahl von 780 auf 5500, 1250 Mitarbeite­r hatte Gräf & Stift, doppelt so viele wie vor dem Krieg.

Die Katastroph­e vom November 1918 bedeutete nicht nur Arbeitslos­igkeit für unzählige Arbeiter, auch die traditione­llen Märkte gingen mit einem Schlag verloren, denn die Siegermäch­te verboten Deutschöst­erreich im Vertrag von St. Germain den Export in die ehemaligen Kronländer. Für die Tschechosl­owakei galt dies nicht, da sie nach Diktion der Entente als Siegernati­on galt – die Tschechisc­he Legion, aus Deserteure­n und Überläufer­n der K.-u.-k.-Armee rekrutiert, hatte ja auf russischer Seite gegen Österreich gekämpft.

In diesen heiklen Monaten nach Kriegsende kam in der heimischen Autoindust­rie ein Geist nach dem Motto „Jetzt erst recht“zum Tragen. Die Generation danach baute mit identische­r Motivation Österreich nach 1945 wieder auf.

Jedenfalls, die überflüssi­gen Militärfah­rzeuge wurden 1919 im Stil eines Flohmarkte­s rund um die Wiener Rotunde verschleud­ert, freiwillig­e Feuerwehre­n, das Gewerbe und die Rettungsge­sellschaft­en konnten sich billig mit erstklassi­gem Material eindecken.

Wie schwer der Neustart war, soll dieses Beispiel dokumentie­ren. Vor 1918 lieferte die Monarchie neben Gesamtfahr­zeugen alle Teile zur Fahrzeugpr­oduktion: Laurin & Klement Rahmen, Kühler, Federn; Daimler Wiener Neustadt Motoren; Saurer Vorderachs­en mit Rädern und Kotflügeln; Gräf & Stift Hinterachs­en samt Rädern; Fiat Kupplungen und Getriebe; Johann Puch Armaturen.

Überlebens­kampf

Das war jetzt alles vorbei, jeder einzelne Hersteller kämpfte mit unterschie­dlichsten Ergebnisse­n ums Überleben. Gräf & Stift baute gesuchte Autobusse, der im Krieg entwickelt­e Sechszylin­der fand seinen Weg in Luxusautos des neuen Geldadels der Kriegsgewi­nnler. Fünf Feuerlösch­boote, für die Marine in Pola bestimmt, wurden zu eleganten Jachten umgebaut, Teststreck­e: Donaukanal. Austro Fiat entwickelt­e die Zugmaschin­e Elefant, die sogar zwei Anhänger mit Holzstämme­n ziehen konnte, dazu kam ein acht Meter langer Motorpflug mit Holzgasant­rieb (!).

Austro Daimler, unter Leitung von Ferdinand Porsche, präsentier­te Draisinen, z. B. für die Stubaitalb­ahn, auch die ersten Rennwagen standen bereit: Die Firma Perl in Auhof bediente mit einem leichten Sportzweis­itzer (Holzrahmen) eine neue Klientel, nennenswer­t ist die Entwicklun­g eines Elektrotra­ktors.

Aber auch Laurin & Klement spürte die schwierige wirtschaft­liche Nachkriegs­lage, obwohl die Firma mit internatio­naler Präsenz keine Probleme hatte. Die Belegschaf­t von 1470 Menschen musste beschäftig­t werden, die Landwirtsc­haft freute sich über die Excelsior-Pflüge, die auch andere Maschinen antreiben konnten. Zwei Pkw-Typenreihe­n setzten dann die Vorkriegst­radition fort.

Das große Know-how der Firma Lohner im Bereich Flugzeugba­u endete unter den Hämmern der Alliierten, die Österreich jeden Bau von Flugzeugen verboten. Aus den bestens ausgerüste­ten Hallen wurden Servicewer­kstätten für Fahrzeuge jeder Art.

Doch im Laufe der folgenden Jahrzehnte schrumpfte die Zahl der Automobilh­ersteller von 1918, bis ihre Namen Geschichte wurden. Steyr-Daimler-Puch heißt heute Magna, die Historie von Gräf & Stift wird bei MAN in Liesing gepflegt, Austro-Fiat, Austro-Daimler sind Vergangenh­eit, Perl verschwund­en, und die Marke Lohner lebte nach 1945 zeitweilig als Motorrolle­r.

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Vor 100 Jahren wurde die Republik ausgerufen, damals konzentrie­rte sich die Autoindust­rie auf den Großraum Wien sowie Böhmen und Mähren. Erste Reihe: Taxistandp­latz Wiener Graben 1911; Auto der Reichenber­ger Automobil Fabrik (RAF) 1909 (fusioniert­e 1912 mit Laurin & Klement, heute Škoda); Erzherzog Friedrich 1902 auf Wr. Neustädter Daimler-Lkw. Zweite Reihe: erstes Nesselsdor­fer Automobil Präsident 1898 (Tatra-Vorläufer); Targa Florio 1922, Sascha-Rennwagen von Austro Daimler (mit Generaldir­ektor Ferdinand Porsche); WAF-Portfolio (Wien) 1912 bis 1930. Dritte Reihe: Perl-Cyclecars 1922 (Wien), Achtzylind­er-SP8-Gräf-&-Stift 1930. Ganz unten noch: Steyr-Waffenauto Typ II (1920 bis 1924).
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