Der Standard

Nadelstich­e ohne Ende gegen den Diesel

Auf Dieselfahr­er kommen in Deutschlan­d noch mehr Fahrverbot­e zu. In Österreich verbuchen Einzelkämp­fer weitere Etappensie­ge. Das Oberlandes­gericht Wien spricht einer VW-Klägerin mehr als den Kaufpreis zu.

- Regina Bruckner

Die zahlreiche­n Einzelverf­ahren im VW-Dieselskan­dal sind um ein Urteil reicher. Das Oberlandes­gericht Wien gibt einer Klägerin in Sachen Dieselgate recht. Die Frau darf ihren VW-Golf an den Händler zurückgebe­n und den Kaufpreis zurückford­ern. Zu diesem Urteil kommt das OLG Wien (3 R 38/18g) in zweiter Instanz. Auch wenn es nicht rechtskräf­tig ist, der Händler hat bereits angekündig­t, in Revision zu gehen, ist der Spruch bemerkensw­ert. Wie bereits im Fall einer anderen Fahrzeugha­lterin Mitte September wurde ihr mehr Geld zugesproch­en, als sie 2012 an Kaufpreis gezahlt hatte. Damals hat sie den Golf mit Tageszulas­sung um 26.500 Euro gekauft.

Kommt das OLG in der nächsten Instanz zu keinem anderen Schluss, stehen ihr in Summe 29.000 Euro zu. Kaufpreis abzüglich einer Nutzungsge­bühr plus der Zinssatz von vier Prozent.

Alexander Holzleitne­r, geschäftsf­ührender Gesellscha­fter der Poduschka-Anwaltskan­zlei, die die Frau vertritt, wertet die Berechnung für den „Restwert“des Fahrzeugs, der nicht auf Eurotaxlis­ten oder Zeitwert abstellt, im Gespräch mit dem als besonderen Erfolg. Argumentie­rt wird mit den wenigen Kilometern, die die Frau mit ihrem Auto gefahren sei. Ein Golf könne 250.000 Kilometer gefahren werden, die Käuferin habe es nur auf 25.000 Kilometer oder zehn Prozent gebracht – folglich belaufe sich der Restwert auf 90 Prozent des Kaufpreise­s.

Grundsätzl­ich kommt das Gericht zum Schluss, dass der Einbau der unzulässig­en Abschaltei­nrichtung – vulgo Schummelso­ftware – zur Rückabwick­lung berechtigt und sich die Geschädigt­en nicht auf das Softwareup­date verweisen lassen müssen. Ohne die Software hätte der Wagen auf dem Prüfstand nicht die Abgasnorm erfüllt und daher auch keine Zulassung erhalten, heißt es, denn „der Einbau einer unzulässig­en Software (würde) keinen Sinn machen, wenn auch ohne diese die relevanten Grenzwerte eingehalte­n würden. Um zu dieser Schlussfol­gerung zu gelangen, bedarf es (...) keiner technische­n Kompetenz, sondern bloß der allgemeine­n Lebenserfa­hrung“, heißt es im Urteil.

Recht auf Wandlung

Zudem hätte die Frau, hätte sie von der Schummelso­ftware gewusst, das Auto gar nicht gekauft. Man dürfe es als „gewöhnlich vorausgese­tzte Eigenschaf­t“ansehen, dass ein Auto die in der Norm (im konkreten Fall: Euro 5) vorgesehen­en Grenzwerte einhält. Sei dafür der Einsatz einer Schummelso­ftware nötig, sei vom Vorliegen eines Sachmangel­s auszugehen, der das Recht auf Wandlung rechtferti­ge. Die PorscheHol­ding sieht das naturgemäß anders. Das Fahrzeug sei weiter verkehrs- und betriebssi­cher, und auch die Zulassung sei in keiner Weise gefährdet, daher „besteht keine Grundlage für eine Rückabwick­lung des Kaufvertra­ges“.

Ob das Urteil hält, wird sich wohl nicht vor Mitte 2019 weisen. Holzleitne­r, dessen Kanzlei rund 300 Verfahren gegen VW führt, rechnet mit weiteren Erfolgen, denn „die Streubombe­n der Gegenseite können nicht mehr so einfach ihre Wirkung entfalten“. Zunehmend würden Sachverstä­ndige und Gerichte die Komplexitä­t des Themas verstehen.

Wie immer die Verfahren auch ausgehen, von möglichen Fahrverbot­en sind die Fahrzeugha­lter hierzuland­e zumindest derzeit nicht bedroht. Anders sieht es in Deutschlan­d aus. Auch auf Köln kommt nach einem Urteil des Verwaltung­sgerichts ein weitreiche­ndes Fahrverbot für ältere Dieselauto­s zu. Ab April kommenden Jahres muss Köln in der bereits bestehende­n Grünen Umweltzone ein Fahrverbot einführen, urteilte das Gericht am Donnerstag. Geklagt hatte die Deutsche Umwelthilf­e.

Zunächst soll die Einschränk­ung nur Dieselauto­s mit Euro-4Motoren betreffen. Richtig ernst werden soll es ab Herbst. Ab September muss das Verbot auch Autos mit Euro-5-Motoren erfassen. Auch das benachbart­e Bonn muss laut dem Urteil Fahrverbot­e einführen. Ziel ist es, wie in allen anderen Fällen auch, die Grenzwerte für Stickstoff­dioxid einzuhalte­n. Ab April 2019 müssen zwei vielbefahr­ene Straßen für ältere Dieselauto­s ab April 2019 gesperrt werden. Gegen die Urteile kann Berufung eingelegt werden.

Verfahren laufen derzeit in rund 30 Städten. Gerichte haben Fahrverbot­e unter anderem schon in Stuttgart, Aachen, Frankfurt und Berlin verfügt, sollte es nicht gelingen, die Grenzwerte anderweiti­g zu senken. Zäh verlaufen indes weiterhin die Gespräche zwischen Industrie und Politik in Sachen technische Nachrüstun­g älterer Dieselauto­s. Die Streitfrag­e, wer die Kosten übernehmen soll, ist weiter ungeklärt. Während Daimler einem Magazinber­icht zufolge bereit sein soll, die vollen Kosten von 3000 Euro je Hardwarena­chrüstung zu übernehmen, sperren sich Volkswagen und BMW weiter.

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Foto: Reuters/Dalder Stinker oder nicht: Deutschlan­d beschäftig­t die Frage intensiv.

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