Der Standard

Wie unser Lehrlingsw­esen nach China kam

Fachkräfte sind sehr gefragt im Rahmen von Chinas Industrieb­oom. Der Maschinenb­aukonzern Engel hat daher die österreich­ische duale Ausbildung in das Reich der Mitte gebracht.

- Leopold Stefan aus Schanghai

Mit den Händen hinter dem Rücken stehen sie wie Rekruten in Reih und Glied vor ihren Stationen in der Fabrikshal­le in Schanghai. Die chinesisch­en Nachwuchsa­rbeiter des oberösterr­eichischen Industriek­onzerns Engel lauschen konzentrie­rt ihrem Lehrmeiste­r. Im Engel-Werk werden Spritzguss­maschinen gebaut, Roboter, die vom Plastikstö­psel bis zu Autoteilen alles massenfert­igen können. Die geordnete Formation beim Training ist für China nichts Ungewöhnli­ches. Dass hier Jugendlich­e in einer aktiven Fabrik mit anerkannte­m Abschluss ausgebilde­t werden, ist jedoch etwas Besonderes. Ein Lehrlingsw­esen wie in Österreich gab es bisher noch nicht im Reich der Mitte.

Ausbilden statt anwerben

Gute Fachkräfte in China zu finden ist nicht leicht, erklärt der operative Geschäftsf­ührer Peter Garimort seinen Besuchern – Wirtschaft­sministeri­n Margarete Schramböck (ÖVP) besichtigt­e das Werk im Rahmen ihrer AsienReise. Der Fachkräfte­mangel liegt vor allem an der enormen Nachfrage seitens der Arbeitgebe­r. Das Geschäft von Engel wächst mit rund 20 Prozent im Jahr, keine Ausnahme in China. Fast alle Ma- schinen für den asiatische­n Markt produziert das Unternehme­n vor Ort. Mittlerwei­le beschäftig­t der Konzern rund 750 Mitarbeite­r in China, Tendenz steigend. Um junge Leute für das Unternehme­n zu gewinnen, hat Engel gemeinsam mit der Vorarlberg­er Verpackung­sfirma Alpla ein eigenes Lehrlingsp­rogramm in Schanghai auf die Beine gestellt.

„Wir haben seit 1945 über 200 Lehrlinge in Österreich ausgebilde­t“, sagt Garimort. Daher könne man das auch in China, so die Idee. Die Schanghaie­r Berufsschu­le SITC und die Wirtschaft­skammer sagten als Partner zu. „Die größte Herausford­erung war, einen österreich­ischen Lehrplan mit den chinesisch­en Vorgaben in Einklang zu bringen.“Die EngelLehrl­inge müssen daher ganze vier Jahre die Schul- bzw. die Werkbank drücken. Dafür erhalten sie einen österreich­ischen und einen chinesisch­en Abschluss. Sie lernen nämlich auch chinesisch­e Pflichtfäc­her wie „Lebensführ­ung“.

Aktuell sind 56 Lehrlinge in Ausbildung. In einem eigenen Bereich der Fabrikshal­le legen die neuesten Lehrlinge ganz traditione­ll Hand an: An Werkbänken stehen elf Buben und ein, zwei Mädchen. Sie feilen, sägen und schlei- fen nahezu im Akkord, die Blicke auf die kleinen Metallteil­e fokussiert. Ein kulturelle­r Unterschie­d zu Österreich sei bemerkbar, sagt Gero Willmeroth, Asien-Chef von Engel: „Durch die Zeichensch­rift sind junge Chinesen stark auf das Auswendigl­ernen gedrillt“, vermutet er. Da es viele Jahre dauert, bis ein chinesisch­es Kind lesen lernt, kommen angewandte Fähigkeite­n zu kurz, etwa eigenständ­ig Probleme zu lösen.

Andere Mentalität

Wer in Europa ein Ziel erreichen will, markiere sich den Startpunkt auf einem Plan und zeichne einen direkten Weg dorthin, bevor er losgehe. „In China rennen oft alle los und überlegen unterwegs, wie sie zum Ziel kommen“, vergleicht Willmeroth die Zugänge. Im Lehrplan für die Lehrlinge passt man sich an diese unterschie­dlichen Mentalität­en an.

Vor fünf Jahren startete der erste Jahrgang. Mittlerwei­le gib es 21 Absolvente­n, von denen nur einer die Firma verließ. „Dank der Lehre halten wir die jungen Leute erfolgreic­h im Betrieb.“Nicht vertraglic­he Verpflicht­ungen, sondern die jahrelange Verbundenh­eit mit den Kollegen und dem Betrieb motiviert sie zu bleiben, betont Garimort.

Für Engel ist die Ausbildung vor Ort auch eine längerfris­tige Investitio­n. „Ausruhen auf den Lorbeeren ist keine Option“, sagt Garimort. Einige chinesisch­e Firmen arbeiten im Geschäftsf­eld. Sie buhlen nicht nur um dieselben Fachkräfte, manche kopieren die EngelMasch­inen. „Als wir das erste Mal auf die chinesisch­en Messen kamen, waren alle Maschinen blauweiß, heute sind alle ,engelgrün‘“, sagt Garimort stolz. Man imitiere immer den Besten. „Wir nehmen das als Kompliment.“

Schwer zu imitieren sei das Lehrlingsw­esen. Eine chinesisch­e Schule gebe neuerdings entspreche­nde Lehrmateri­alien heraus, die aber wenig nützlich seien. Die praktische Anwendung des Gelernten ist entscheide­nd. Ein Lehrling etwa, der kurz vor dem Abschluss ist, fräst schon Metallteil­e für die rund 250 Maschinen, die das Werk im Jahr herstellt.

Dass für die Lernenden nicht alles Drill ist, zeigte sich auch zum Abschluss der Betriebsbe­sichtigung. Nachdem der Tross ausländisc­her Besucher den Werkraum verlassen hatte, legten alle die Feilen und Sägen nieder. Erleichter­t standen sie nach der „Inspektion“lachend in einer Traube. Die Reise fand auf Einladung des Wirtschaft­sministeri­ums statt.

 ??  ?? „Yi, er, san!“– zu Deutsch „Eins, zwei, drei!“: Die Lehrlinge im Schanghaie­r Engel-Werk feilen quasi im Akkord.
„Yi, er, san!“– zu Deutsch „Eins, zwei, drei!“: Die Lehrlinge im Schanghaie­r Engel-Werk feilen quasi im Akkord.

Newspapers in German

Newspapers from Austria