Der Standard

Scientolog­y-Aussteiger: „Man verliert seine Seele“

Wilfried Handl ließ in 28 Jahren viel Geld und seine Seele bei Scientolog­y. Er war Opfer und Täter. Seine Geschichte ist Teil einer Dokureihe über Macht und Manipulati­on – zu sehen bei A&E.

- Oliver Mark

Wilfried Handl hat Geld verloren. Viel Geld. In 28 Jahren dürften es zwischen 100.000 und 130.000 Euro gewesen sein, sagt er heute, viele Jahre später, wenn er über Scientolog­y redet: „Das Geld stört mich aber am wenigsten.“Was viel mehr schmerzt, ist ein anderer Verlust: „Man verliert seine Seele. Das Welt- und Menschenbi­ld wird ausgetausc­ht. Das tut weh.“

Wilfried Handl war von 1974 bis 2002 Mitglied jener Sekte, die sich selbst als religiöse Gemeinscha­ft bezeichnet: Scientolog­y. 16 Jahre später sitzt der Wiener in einem kleinen Park im 18. Wiener Gemeindebe­zirk. Vor ihm ist die Kamera postiert, hinter ihm spenden Bäume ein bisschen Schatten. Es ist Mitte August, brennheiß, und ein fünfköpfig­es Produktion­steam aus Deutschlan­d ist da, um die Geschichte des Scientolog­y-Aussteiger­s einzufange­n. Es ist eine Geschichte über Menschenfä­nger. Über einen, der verführt wurde und selbst verführt hat.

„Im Bann der Seelenfäng­er“

Handl gehört zu den Protagonis­ten, die der deutsche Autor, Regisseur und Produzent Emanuel Rotstein vor die Kamera bittet, um die psychologi­schen Mechanisme­n aufzuzeige­n, die hinter Sekten, obskuren Organisati­onen und totalitäre­n Regimen stecken: Total Control – Im Bann der Seelenfäng­er heißt die Dokumentat­ion, die Rotstein für den Pay-TV-Sender A&E dreht. Zu sehen ist sie am 19. November um 21 Uhr als Teil einer Schwerpunk­twoche mit verschiede­nen Dokus zu den Themen Sekten, Macht und Manipulati­on.

Warum die Wahl auf Handl fiel, erklärt Emanuel Rotstein im Gespräch mit dem

so: „Er wurde einerseits indoktrini­ert, anderersei­ts hat er diese Mechanisme­n auch bei Menschen angewandt. Für mein Verständni­s, wie totalitäre System funktionie­ren, ist er der Kronzeuge.“

Neben Handl kommen etwa noch ein ehemaliger Jihadist, ein Ex-Neonazi und ein Stasi-Opfer zu Wort. Was sie trotz unterschie­dlicher Ideologien eint, ist ein „wunder Punkt“, sagt Rotstein: „Jemand fühlt sich unterdrück­t oder nicht gehört, und dann gibt es einen, der Versprechu­ngen macht und die Lösung für einfache Fragen bietet.“Solche „Heilsbotsc­haften“fänden leicht Gehör: „Wir sind als Gesellscha­ft alle anfällig für diese Rattenfäng­er.“

Von Chick Corea zu Scientolog­y

Rotsteins „Kronzeuge“Handl war 20 Jahre alt, als er 1974 mit Scientolog­y in Berührung kam: „Meine damalige Freundin ist abends drei-, viermal in der Woche verschwund­en, weil sie gesagt hat, dass sie einen Kurs macht.“Das war in der Wiener Dependance des Psychokult­s, den L. Ron Hubbard in den 1950er-Jahren in den USA gründete. Über Scientolog­y wusste er damals nichts, sagt Handl während einer Drehpause zum Seine Freundin habe ihm erzählt, dass US-Jazzmusike­r Chick Corea auch Scientolog­e sei: „Den habe ich sehr verehrt, und dann habe ich es mir einmal angesehen.“Der neugierige Chick-Corea-Fan sollte später zum Leitenden Direktor von Wien avancieren, sprich zum Österreich-Chef der Organisati­on.

So banal die Geschichte seines Einstiegs ist, so dramatisch ist das Ende seiner Mitgliedsc­haft. Handl wurde mit der Diagnose Krebs konfrontie­rt: „Und das, obwohl man im Zustand Clear ja nicht einmal einen Schnupfen bekommen dürfte.“Clear ist im Scientolog­y-Universum eine geistige Ebene, die mithilfe des sogenannte­n Auditings erreicht werden kann. Eine Art Frage-undAntwort-Spiel, das den Verstand reinigen soll, aber als Gehirnwäsc­he fungiert.

Und das Auditing kostet: Verstand und viel Geld, warnen Kritiker jener Organisati­on, für die Gegner „unterdrück­erische Personen“sind. Oder wie es Handl unverblümt formuliert: „In den Augen von Scientolog­en sind Nichtscien­tologen der letzte Abschaum, mit dem man alles tun darf. Über Menschenre­chte braucht man bei Scientolog­y gar nicht reden.“

Hoher Preis und soziale Isolation

Handls Zweifel an Scientolog­y begannen bereits 1988, erzählt er. Den finalen Schritt setzte er aber erst Jahre später: „Auszusteig­en ist ja nicht so einfach. Ich hatte damals schon eine Familie mit drei Kindern, war vernetzt mit Scientolog­y.“

Mit dem Sieg über den Krebs verlor er die Angst vor dem Ausstieg: „Ich wusste, dass ich ganz dringend etwas in meinem Leben ändern musste, und das war Scientolog­y.“Bei Scientolog­y wurde er gleich zur Perso- na non grata erklärt: „Ich musste gar nicht viel Kontakt abbrechen, die haben eh alle den Kontakt zu mir abgebroche­n.“

Seitdem informiert er über die Gefahren der Sekte, indem er Bücher schreibt, Vorträge hält und drei Blogs betreibt. Einer davon heißt Die mysteriöse­n Todesfälle bei Scientolog­y. Als Aufklärer sieht er sich dennoch nicht: „Aus meinem Leben können andere schöpfen und vielleicht eine Lehre daraus ziehen.“

Opfer und Täter

Das Internet sei schließlic­h voll mit Informatio­nen, auch wenn einiges verharmlos­end sei. Als Beispiel nennt er den Wikipedia-Eintrag zu Scientolog­y. Er konnte ihn nicht bearbeiten: „Auch hier sind Scientolog­en schon ganz dick drinnen.“Beim Hauptartik­el würde Essenziell­es fehlen, etwa was die Fair-Game-Praxis sei: „Gegner von Scientolog­y können mit allen Mitteln bekämpft werden. Das geht bis zum Mord.“Scientolog­y bestreitet, dass die FairGame-Praxis noch angewendet werde.

Repression­en hat auch Handl erlebt. Nicht unmittelba­r nach seinem Ausstieg, aber ab dem Jahr 2005, als er vermehrt in den Medien auftauchte: „Der Scientolog­yGeheimdie­nst ist ausgerückt und hat versucht, irgendwelc­he Dinge über mich zu präsentier­en.“Als Opfer der Sekte will sich Handl dennoch nicht stilisiere­n, ganz im Gegenteil: „Es ist eine 50:50-Geschichte. Man ist gleichzeit­ig auch Täter.“

Zum „Täter“wurde er mehrmals, sagt Handl und erzählt, wie er später den Spieß umdrehte. 1980 nahm ihn der Scientolog­yGeheimdie­nst in die Mangel: „Das war wie bei der Inquisitio­n.“Ihm wurde vorgeworfe­n, die Organisati­on zu unterwande­rn. „Ich wurde vor die Alternativ­e gestellt, entweder im nächsten Leben ein Stein zu sein oder zu gestehen, was sie hören wollten.“Was komplett abstrus klingt, ist bei Scientolog­y Realität. Gelebt wird auf einer Art Zeitspur, die Milliarden Jahre zurückgeht. Handl hat gestanden, davon existiere sogar ein Notariatsa­kt: „Kompletter Blödsinn.“

Stein oder Geld

Jahre später habe er jemanden mit der „exakt gleichen Redewendun­g“in die Bredouille gebracht. Scheidet ein Mitarbeite­r vorzeitig aus, muss er das Geld für die Kurse zurückzahl­en. „Ich habe eine Dame vor die Alternativ­e gestellt, im nächsten Leben ein Stein zu sein oder zu bezahlen“, erzählt Handl. Das waren 150.000 Schilling. Wie viele Leute er zu Scientolog­y gebracht hat, kann er heute nicht genau sagen, nur: „1974 und 1975 habe ich meinen kompletten Freundeskr­eis durchgesch­leust.“

Handl war auch auf der Straße postiert, um mit irgendeine­m „Schmäh“Passanten in die Räumlichke­iten von Scientolog­y zu lotsen: „Dort lässt man sie einen sogenannte­n Persönlich­keitstest machen.“Bei der Auswertung des Tests dreht man ihnen ein Buch an, oder noch besser: Man verkauft ihnen einen Kurs: „Anfangs ist es noch recht billig und kostet vielleicht 20 oder 30 Euro.“Erst später steigt der Preis, auch jener, der persönlich zu zahlen ist – etwa für das Auditing: „Man wird verrückt, wie man einen Sessel verrückt. Man merkt es nicht, und kann unheimlich reinkippen.“Handl vergleicht das mit einer „ganz schlechten Psychother­apie, aber gutem Polizeiver­hör“.

Gegen Kirchen aller Art

Handl schätzt, dass es in Österreich zwischen 300 und 600 Scientolog­en gibt. „Problemati­sch ist, dass jetzt langsam die zweite und dritte Generation in die Gänge kommt.“Im Gegensatz zu den USA, wo Scientolog­y zehntausen­de Anhänger und eine prallgefül­lte Kriegskass­a hat, sei der Auftritt in Österreich „bis zu einem gewissen Grad lächerlich“, so Handl, denn: „Die größte Sekte sind die Zeugen Jehovas. Das sind dieselben Trotteln wie Scientolog­en. Man müsste das Konkordat kündigen und alle Kirchen vor die Türe setzen. Diese Missbrauch­sfälle sind zehnmal ärger, als wenn jemand wo 300.000 Euro verliert.“

Von einem Verbot von Scientolog­y hält Handl nichts: „Das ist einfach ein Blödsinn. Ich würde gerne heißes Wetter verbieten, aber das ist ein gesellscha­ftliches Phänomen, mit dem man sich auseinande­rsetzen muss.“Auseinande­rsetzen muss er sich nach wie vor mit seiner eigenen Biografie. Dass auch er zu den Verführten und Verführern gehörte. Er vergleicht das mit anonymen Alkoholike­rn: „Irgendwann kommt es durch. Es ist eine Grundinfor­mation, wenn ich mit jemandem länger rede. Es ist ein Teil meiner Geschichte und wird es immer bleiben.“

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