Der Standard

Erfolg mit Verbindlic­hkeit bei der Viennale

Österreich­ischer Filmpreis geht an „Joy“

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Wien – Filmfestiv­als sind mehr als die Summe ihrer Teile. Im besonderen Fall überzeugen sie durch eine eigene Handschrif­t, durch einen Esprit, der sie von der Konkurrenz unterschei­det. Bei der ersten Viennale unter der Italieneri­n Eva Sangiorgi, die am Donnerstag mit El Ángel zu Ende ging, hatte man von Beginn an das Gefühl, dass ein neuer Ton eingezogen war: gelassen, verbindlic­h und mit viel Charme. So konnte Sangiorgi die Branche und das Wiener Publikum für sich gewinnen. Die Besucherza­hl stieg von 91.700 im Vorjahr auf 93.200.

Umsichtige Filmauswah­l

Das war auch deshalb bemerkensw­ert, als Sangiorgi das größte heimische Filmfestiv­al nur wenig umgestalte­t hat. Die Filmauswah­l war umsichtig und fühlte sich nie unsicher an. Wer sich einen Überblick über die wesentlich­en Produktion­en eines Jahres verschaffe­n will, ist auf der Viennale nach wie vor hervorrage­nd bedient. Einzig strukturel­l ließe sich das Feld an Features, wo Dokumentar­film neben Spielfilm steht, nachschärf­en, auch um die Übersicht für das Publikum zu erleichter­n.

Baustellen bleiben allerdings an schon bekannten Stellen: Das Festival ist immer noch ein paar Tage zu lang. Am Ende ging dem Treiben die Luft aus, die Kinos wirkten leerer. Das Festivalze­ntrum in der Kunsthalle hat immer noch den Charme eines Betonbunke­rs. Das läuft der Idee der Öffnung zuwider. Da halfen auch die „Aperitivi“nur kurzfristi­g. Der Austausch mit Filmschaff­enden ist hier nicht optimal aufgehoben.

Etwas bedauerlic­h war die hohe Zahl an Absagen. Immerhin gelang der Viennale mit Tilda Swinton als „Ersatz“-Gast noch ein schöner Coup. Auf solche Stars mit Affinität zum Autorenkin­o sollte man setzen. Freilich sind es nicht unbedingt die „großen Namen“, die für diese besondere Viennale-Stimmung verantwort­lich sind. So begeistert­e beispielsw­eise der italienisc­h-amerikanis­che Regisseur Roberto Minervini bei Publikumsg­esprächen durch seine Offenheit. Sein Tribute war auch besuchermä­ßig ein Erfolg.

Leserjuryp­reis an Minervini

Zuspruch gab es in Form des

Viennale-Publikumsp­reises für Minervinis jüngsten Film What You Gonna Do When The World’s On Fire?. Als „wichtigen und wertvollen Beitrag zum öffentlich­en Diskurs über die strukturel­le Diskrimini­erung von Afroamerik­anern in den USA“empfiehlt die Leserjury die Doku für einen Verleih.

Der ebenfalls bei der ViennaleAb­schlussgal­a verliehene Wiener Filmpreis für den besten österreich­ischen Film ging an Sudabeh Mortezais Prostituti­onsdrama Joy. Christian Froschs Murer – Anatomie eines Prozesses wurde mit einem heuer erstmals vergebenem Spezialpre­is der Jury ausgezeich­net. Der Erste-Filmpreis ging ex aequo an Chaos von Sara Fattahi und Styx von Wolfgang Fischer. Den Fipresci-Preis erhielt das experiment­elle Generation­enporträt Ne travaille pas (1968–2018).

Dominik Kamalzadeh

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