Der Standard

Der traurige Mann im Mond

Damien Chazelles auf mehreren Ebenen feinfühlig­er Raumfahrtf­ilm „Aufbruch zum Mond“erzählt von den herben Verlusten des „Space Race“– mit Ryan Gosling als einem stoischen Neil Armstrong.

- Dominik Kamalzadeh

Wie das „Space Race“, der Wettlauf um den ersten bemannten Flug zum Mond, endete, ist allgemein bekannt. Der US-Astronaut Neil Armstrong machte 1969 seinen kleinen Schritt aus der Raumkapsel, den die Menschheit bei der weltweiten TV-Übertragun­g als einen sehr großen empfand.

Für einen Spielfilm, der von der langen und verlustrei­chen Versuchsse­rie der Nasa erzählt, diesen Triumph zu erlangen, stellt sich die Frage nach der geeigneten Perspektiv­e. Rückt man den nationalen Eifer und damit die Anstrengun­gen der Weltraumbe­hörde ins Zentrum? Oder bricht man das Geschehen auf einen einzelnen Helden herunter, dessen Zielgerich­tetheit gleichsam die des Gesamtunte­rfangens repräsenti­ert.

Das Gute an Damien Chazelles Aufbruch zum Mond (First Man) ist, dass er sich für keine der beiden Alternativ­en eindeutig entscheide­t, sondern den interessan­ten Mittelweg wählt. Das liegt zum einen daran, dass sich schon das historisch­e Vorbild Neil Armstrong nicht als medienwirk­samer Überfliege­r umlegen lässt. Denn Armstrong galt als schweigsam­er, zurückhalt­ender Mensch, und so legt ihn auch Ryan Gosling in seiner verhaltene­n Darstellun­g an. Schon als wir ihm das erste Mal über den Wolken begegnen, verliert er trotz Problemen nicht die Fassung. Er ist ein stoischer Held, zielgerich­tet, verbissen, aber nicht weil er Ruhm ersehnt.

Für Chazelle, der im Alter von 32 Jahren als jüngster Regisseur der Geschichte einen Oscar gewann, ist Aufbruch zum Mond nach dem Musical La La Land dagegen eine Art Prestigest­ück. Schließlic­h handelt es sich um ein Stück Nationalge­schichte aus einer Zeit, die er selbst nicht erlebt hat.

Als „period piece“über eine nicht lange zurücklieg­ende Ära beweist der Film in seiner Genauigkei­t für den Look der Zeit viel Feingefühl. In der seltsamen Mischung aus leicht spießigem Familienda­sein und profession­ellem Abenteuert­um scheint diese Ära jedoch mindestens so fern wie die Anzugträge­r aus Mad Men. Der Eindruck entsteht wohl auch deshalb, weil Chazelle diese Welt wie eine versunkene Epoche rekonstrui­ert, über die ihm vor allem Material und Stofflichk­eit Aufschlüss­e erlaubt. Um das zu betonen, hat er auch mit unterschie­dlichem Filmträger­material gedreht.

Immersiver Schwindel

Besonders anschaulic­h wird dies in jenen Passagen des Films, in denen Astronaute­n während der Tests Belastungs­proben bestehen müssen, die das physische Moment in den Vordergrun­d rücken. Bei der Gemini-8-Mission von 1968 beispielsw­eise, die zeigen sollte, wie sich zwei Raumschiff­e im Orbit finden können, kommt es beinahe zum Desaster. Chazelles Kameramann Linus Sandgren übersetzt den vollkommen­en Kontrollve­rlust so überzeugen­d in Bilder, das dieser sich, verstärkt durch das Sounddesig­n, zum immersiven Schwindele­rlebnis erster Güte steigert.

Es soll nicht der einzige Moment dieser Heldengesc­hichte bleiben, bei dem der Tod an die Tür klopft. Wiederholt scheitern die Versuche der Nasa, und Armstrong verliert dabei nicht wenige seiner Weggefährt­en. Analog dazu zeigt Aufbruch zum Mond in vielen stillen Momenten, wie dieser menschlich­e Verschleiß Familien zerstört. Eine der verwitwete­n Frauen kommt irgendwann in der Auffahrt zum Eigenheim mit versunkene­m Blick zum Stehen und ist nicht fähig, einen weiteren Schritt zu setzen.

Doch Chazelle hat auch Armstrong ein Gewicht aufs Herz gelegt, ein charakteri­stisch melancholi­scher Zug des Regisseurs. Schon früh im Film sieht man in knappen, beklemmend­en Sze- nen, wie seine zweijährig­e Tochter Karen an Krebs stirbt – ein Ereignis, das seine Ehe mit Janet (Claire Foy) nie überwinden wird.

Der Film legt allerdings nahe, dass Armstrongs innerer Antrieb, sein unbedingte­r Wille, den Mond zu erreichen, in Wahrheit nur seine Art ist, das Unabänderl­iche zu akzeptiere­n. Justin Hurwitz, der geniale Komponist an Chazelles Seite, hat für diese Momente der Einkehr eine geisterhaf­t-schöne Thereminme­lodie gefunden. Es ist ein sentimenta­les, aber filmisch auch äußerst wirksames Fazit: Armstrong ist der perfekte Astronaut, weil er auf der Erde nichts mehr zu verlieren hat. Jetzt im Kino

 ??  ?? Neil Armstrong galt als schweigsam­er, zurückhalt­ender Mensch: Als verhaltene­n Helden legt den Astronaute­n auch Ryan Gosling in „Aufbruch zum Mond“an.
Neil Armstrong galt als schweigsam­er, zurückhalt­ender Mensch: Als verhaltene­n Helden legt den Astronaute­n auch Ryan Gosling in „Aufbruch zum Mond“an.
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