„Die Demokratie muss ihre Feinde aushalten“
Wie wird aus Zeitgeschichte ein Theaterabend? Das ist die Frage, die hinter Christine Eders und Eva Jantschitschs (alias Gustav) dritter gemeinsamer Arbeit steht. „Die Verteidigung der Demokratie“läuft am Wiener Volkstheater.
Zu Beginn tönt es elektronisch: „Ich appelliere an Maschinen und Tiere.“So spielen Eva Jantschitsch (alias Gustav) und Band zum Auftakt der Verteidigung der Demokratie mit Chris Imlers Song auf. Ist die Menschheit so verloren, dass ein Appell an sie vergeblich ist? Christine Eder und Eva Jantschitsch hinterfragen vergangene und heutige Politik auf der Theaterbühne.
Die „Verteidigung der Demokratie“definiert sich als Politshow mit Musik. Wo ist der Theaterabend bezüglich Politik und Kunst zu verorten? Eder: Genau zwischen Politik und Kunst. Wir machen weder Tagesnoch Gestaltungspolitik, sondern überführen politische Phänomene in das Medium Theater. Jantschitsch: Wenn man eine Reihung will, hat die politische Bildung Vorrang, und die Kunst ist ihr Vehikel. Wir sprechen die Aushebelung von Demokratien an, sei es über Militärjuntas, Fehlinformationen bei den Nazis oder Fake-News heute. Wir wollen ein Bewusstsein dafür schaffen, dass wir uns dieser Problematik nicht zum ersten Mal stellen. Wir konzentrieren uns auf Katastrophenfälle, weil wir mitten in einer Katastrophe stecken. Der Auftrag ans Publikum lautet weiterzudenken: Wie können wir als Bürgerinnen diesem Treiben entgegenwirken? Eder: Für mich sind das alles auch Wirtschaftsfragen. Der Neoliberalismus oder Extremkapitalismus macht sich Technologien zunutze, die bestrafen und kontrollieren. Es ist nicht so, als gäbe es nur dieses eine System, aber die Menschen mit Ideen zu Alternativen sind nicht an den Schalthebeln der Macht.
Wie haben Sie die Geschichte der Demokratie und Verfassung, scheinbar trockene The- men, in eine theatrale Form gebracht? Jantschitsch: Ich habe überlegt, welche klangliche Farbe ich dem Stück geben möchte: Hier verleihen die Lieder dem Abend eine kalte elektronische Atmosphäre. Eder: Wir recherchieren in unseren Welten dieselben Themen. Ich habe die politische Geschichte eines Jahrhunderts an die Biografie von Hans Kelsen geknüpft, der die österreichische Bundesverfassung geschrieben hat. Er hat eine Emigrationsbiografie, musste als Jude 1933 Österreich verlassen, ging nach Deutschland, in die Schweiz, nach Prag und Berkeley. In den 1930er-Jahren war es Mode, die Demokratie abzulehnen. Das Stück führt ins Heute: Wir wollen beleuchten, wie eine Demokratie abgebaut wird, Grundrechte eingeschränkt, Menschen unter Generalverdacht gestellt werden, wie eine autokratischere Regierungsform entsteht. Das ist nicht automatisch Nationalsozialismus, aber bestimmte Mechanismen wiederholen sich. Man lernt durch diese Parallelen, die Augen offen zu halten: Wie passiert dieser Abbau, wann muss man Stopp sagen? Sonst steht man am Ende ohne Demokratie da und weiß nicht, wie es dazu gekommen ist.
Hat das Thema eine bestimmte Dringlichkeit? Eder: Das Interesse am politischen Alltagsgeschehen in Europa und an Überwachungstechnologien, die einen gläsernen Bürger schaffen, besteht schon lange. Bei der Recherche zu Alles Walzer, alles brennt bin ich auf Hans Kelsen gestoßen und wollte zum Jubiläum der Republik ein Stück über ihn machen. Das Verfassungsthema verwandelte sich in eine Verteidigung der Demokratie, es lief analog zum politischen Tagesgeschehen. Hin und wieder überholte uns die Wirklichkeit, etwa als die Diskussion zur Einschränkung der Pressefreiheit angefangen hat.
Sehen Sie Ihre Arbeit am Theater als einen Auftrag für politische Bildung? Eder: Mittlerweile sehe ich das fast so. Ich gehe den Dingen nach, die ich selbst nicht weiß: Bei meinen eigenen blinden Flecken schaue ich nach. Ich lerne viel, weil ich merke, dass alles schon gesagt wurde an Themen. Diesbezüglich reicht es, nach hinten zu blicken und daraus Schlüsse für die Gegenwart zu ziehen. Jantschitsch: Die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen politischen Verhältnissen ist immanenter Bestandteil meiner künstlerischen Arbeit. Ich behandle immer meine Anliegen und artikuliere mich als feministische linke Musikerin durch meine Kunst politisch, egal in welchem Medium. Insofern entspricht die Arbeit mit Christine meinem künstlerischen Wesen, und ich kann meine Soundpolitik einbringen.
Was ist der Reiz am Komponieren für die Bühne? Jantschitsch: Ich finde es spannend, dass man für den Moment komponiert, im Vergleich zum Film, wo es für die Ewigkeit ist. Es entsteht etwas Größeres als ein Konzert, bestenfalls eine Verzahnung vieler Elemente. Im Theater braucht es die Zusammenarbeit zwischen Publikum und Darstellerinnen auf der Bühne, das Ergebnis hängt mit Tagesverfassung, Stimmung und Rhythmus zusammen.
Der Abend wirkt sehr dystopisch. Wie kam es zu dieser Kühle? Jantschitsch: Die Idee war, dass wir, platt gesagt, in hitzigen Zeiten leben. Die Politik erzeugt einen hohen emotionalen Grad an Angst und Widerspruch, auch wir schnappatmen die ganze Zeit und rennen brüskiert herum. Ich wollte den erhitzten politischen Debatten etwas Unterkühltes entgegenstellen, sie unter dem Paradigma der Logik und nicht der Emotionalität angehen. Mich interessiert, inwiefern digitale Mechanismen unsere Realpolitik mitbestimmen und Teile der Demokratie im Unsichtbaren operieren. Wir wissen, dass Cambridge Analytica und Trollarmeen aus Russland beim Präsidentschaftswahlkampf in den USA operiert haben. Wer schreibt die Algorithmen für diese maßgeblich eingreifenden Programme? Eder: Am schlimmsten finde ich nicht die Zukunftsfantasie, dass wir alle kontrolliert werden, sondern dass man sagt: „Ist ja egal, ich kann eh ein gläserner Bürger sein“, diesen vorauseilenden Gehorsam, der da einsetzt. Ich finde die Realität fast erschreckender.
Reichsbürger, Trolle, Politikverdrossene: Was entgegnen Sie Menschen, denen der Demokratiegedanke komplett fremd oder fern ist? Jantschitsch: Wir tun, was wir als linke Künstlerinnen tun müssen: aufklären und unser humanistisches Weltbild verteidigen. Ich solidarisiere mich und gehe in den aktiven Widerstand. Die Demokratie muss ihre Feinde aushalten, selbst wenn sie in der Regierung sitzen und unser Staatsgerüst aushöhlen. Wir wissen, dass es in ein paar Jahren Wahlen geben wird. Die Demokratie wird siegen, da sie das einzig funktionierende Mittel ist, um Frieden und Stabilität einer Gesellschaft zu gewährleisten.
CHRISTINE EDER, Regisseurin, inszeniert an Theatern in Deutschland und Österreich. EVA JANTSCHITSCH, auch bekannt als Gustav, ist Musikerin und Komponistin.