Der Standard

Es geht ums Ganze – die Menschenre­chte

Die Chance auf eine globale Migrations­debatte sollte man nicht verstreich­en lassen

- Anuscheh Farahat

Der UN-Migrations­pakt bekräftigt in weiten Teilen Menschenre­chte, die heute schon gelten – selbstvers­tändlich auch für Migranten. Wer also nun meint, diese Rechte seien eine Zumutung, der sägt letztlich an der Idee universell­er Menschenre­chte insgesamt.

Aber gerade weil es heute nicht mehr selbstvers­tändlich ist, dass die Menschenre­chte für alle Menschen gelten, ist der Pakt sinnvoll. Die Krise um den Flüchtling­sschutz hat in vielen Staaten der Welt eine Politik hervorgebr­acht, die es bei der effektiven Abwehr von Migration allzu oft nicht mehr so genau nimmt mit dem Schutz der Menschenre­chte. Wenn wir nun über die Frage diskutiere­n, ob die Rechte, die seit nunmehr 60 Jahren das gemeinsame Fundament internatio­naler Politik darstellen, für Migranten überhaupt gelten sollen, dann geht es ums Ganze. Es geht dann nicht mehr darum, ob und wie wir Migration steuern, sondern ob wir noch zu einem humanistis­chen Weltbild und Selbstvers­tändnis stehen.

Der Globale Pakt knüpft an dieses Selbstvers­tändnis an und er geht doch in einem wichtigen Punkt darüber hinaus. Erstmals in der Geschichte der Migrations­steuerung erkennt ein internatio­nales Dokument an, dass Migration ein Phänomen ist, das die Staaten nur gemeinsam und solidarisc­h bearbeiten können. Die Prämisse ist einfach: Wenn es gelingt, dass Herkunfts- und Zielstaate­n sich dieser Herausford­erung gemeinsam stellen, dann kann Migration zum Vorteil aller Staaten genutzt werden. Dass dies bei den wohlhabend­eren Ländern des Globalen Nordens nicht auf Gegenliebe stößt, war zu erwarten. Denn Solidaritä­t in dieser Frage bedeutet, dass man die Verant- wortung nicht einfach auf die Staaten in der Krisenregi­on abschieben kann. Solidaritä­t nimmt insbesonde­re jene Staaten in die Pflicht, die gerade wegen ihres gesellscha­ftlichen Reichtums und ihres Einflusses besser in der Lage sind, Migration zu steuern sowie Migranten zu integriere­n.

In dieser Hinsicht wäre mit dem Pakt aber nur ein erster kleiner Schritt getan, der in Zukunft zu konkretisi­eren ist. Dazu soll ein kontinuier­licher Dialog etabliert werden, in dem sich die Staaten auf gemeinsame Prinzipien zur Steuerung von Migration einigen. Der Pakt eröffnet also in allererste­r Linie eine Debatte über die Zukunft der Migration und lässt den Staaten damit viel politische­n Spielraum. Die Chance auf diese globale Debatte sollten wir nicht verstreich­en lassen.

ANUSCHEH FARAHAT ist Völkerrech­tlerin und Gastprofes­sorin an der WU Wien.

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