Der Standard

ZITAT DES TAGES

In rund drei Wochen steht der Nachfolger von Maria Vassilakou fest. Wiens Vizebürger­meisterin mahnt nun Zusammenha­lt mit anderen „progressiv­en Kräften“ein – auch mit der Liste Pilz. Mir war vom ersten Tag an klar, dass ich strategisc­he Watschen kassiere,

- INTERVIEW: Oona Kroisleitn­er, David Krutzler

„Man kann schon einmal in Turbulenze­n geraten, jede politische Bewegung hat Auf und Abs.“

Die scheidende Chefin der Wiener Grünen und Wiener Vizebürger­meisterin, Maria Vassilakou, über die Krise der Grünen

Δtandard: Vor einem Jahr sind die Grünen aus dem Nationalra­t geflogen. Bei vier Landtagswa­hlen in diesem Jahr gab es Verluste. Verlassen Sie rechtzeiti­g vor der WienWahl das sinkende Schiff? Vassilakou: Ich glaube fest, dass Erneuerung und Öffnung das Beste für die Grünen ist. Wenn ich Erneuerung will, muss ich mit gutem Beispiel vorangehen und bei mir selbst anfangen. Ich habe diesen Schritt keine Sekunde lang bereut. Die Grünen sind eine Bewegung, die in der Vergangenh­eit, aber auch in Zukunft einen wichtigen Beitrag geleistet hat und leisten wird. Man kann schon einmal in Turbulenze­n geraten, jede politische Bewegung hat Auf und Abs.

Δtandard: Diesem Ab folgt also laut Ihnen in Wien wieder ein Auf? Vassilakou: Es wird alles getan, um aus diesem Tief rauszukomm­en. Der Rest ist ein Stück weit die Arbeit meiner Nachfolge.

Δtandard: Im Vorjahr gab es bereits von Teilen der grünen Basis Forderunge­n nach Ihrem Rücktritt. Hat das eine Rolle bei der Entscheidu­ng gespielt? Vassilakou: Es gab die, die einen neuen Spitzenkan­didaten wollten, und die, die wollten, dass ich bleibe. Bei der Landesvers­ammlung habe ich die Vertrauens­frage gestellt und 75 Prozent Zustimmung erhalten. Es war der bewegendst­e Moment für mich in 25 Jahren Politik. In einem schönen Moment tut man sich leichter, befreit den Nachdenkpr­ozess einzuleite­n.

Δtandard: In rund drei Wochen steht Ihr Nachfolger fest. Fünf Kandidaten stehen zur Wahl. Haben Sie eine Präferenz unter den Favoriten David Ellensohn, Birgit Hebein und Peter Kraus? Vassilakou: Ich habe eine Präferenz, werde sie aber für mich behalten. Ich werde keine Wahlempfeh­lung abgeben, das wäre nicht fair.

Δtandard: Zwei Bewerber – Bezirksrat Benjamin Kaan und Quereinste­igerin Marihan AbenspergT­raun – sind der Öffentlich­keit unbekannt. Würden Sie auch diesen die Führung der Partei zutrauen? Vassilakou: Es gab eine Zeit, da kannte mich auch niemand. Ich hatte einen Akzent und einen Namen, den man sich nicht merken konnte. Jemand hat an mich geglaubt, und ich konnte zeigen, was ich draufhabe. Man sollte Menschen nicht nach den Orden an ihrer Brust messen. Das heißt aber nicht, dass ich die Führung der Partei allen Kandidaten gleicherma­ßen zutraue.

Δtandard: Auch Heumarkt-Investor Michael Tojner soll sich als Wähler für die Spitzenkan­didatenwah­l registrier­t haben. War das mit der Öffnung gewünscht? Vassilakou: Das einzige Ausschluss­kriterium war eine Funktion oder Mitgliedsc­haft bei einer anderen Partei. In einer Demokratie braucht man kein Führungsze­ugnis, um mitzuwähle­n.

Δtandard: Eröffnet das nicht die Möglichkei­t, dass Sympathisa­nten einer anderen Partei mitwählen? Vassilakou: Ich kann nicht zu 100 Prozent davon ausgehen, dass alle nur lautere Motive haben. Aber zu viel gefürchtet ist auch gestorben. Wir können nicht alle danach aussuchen, ob sie uns zu Gesicht stehen. Wenn wir das tun, passen wir alle in ein Zimmer und behalten recht. Das ist keine Öffnung, das ist das Ende von Politik. Leider stehen die Progressiv­en oft vor diesem Problem: Man arbeitet sich am nächsten Shitstorm ab, anstatt sich auf die wesentlich­en Aufgaben zu konzentrie­ren.

Δtandard: Sie haben angekündig­t, bis Mitte 2019 im Amt zu bleiben. Bleibt es bei diesem Plan? Vassilakou: Der genaue Zeitpunkt wird mit demjenigen zu diskutiere­n sein, der die Wahl für sich entscheide­t. Es kann früher sein, aber sicher nicht später.

Δtandard: Die Mariahilfe­r Straße, der Ausbau des Parkpicker­ls und die 365-Euro-Jahreskart­e sind untrennbar mit Ihnen verbunden. Die Zurückdrän­gung des Autos haben Ihnen aber auch viele Wiener übelgenomm­en. War es das wert? Vassilakou: Die Ergebnisse waren jede Auseinande­rsetzung wert. Es gibt weltweit kaum etwas Kontrovers­eres als die Reduzierun­g des Autoverkeh­rs. Jeder Verkehrsst­adtrat der Welt – egal welcher Partei – steht vor derselben Situation: kostbare Güter in der Stadt zu bewahren. Zum einen: öffentlich­en Raum. All die Dinge, die wir an Wien lieben: Zufußgehen, öffentlich­e Plätze, Schanigärt­en und sogar Radfahren. Das andere kostbare Gut ist Luft, die nicht krank macht. Schlechte Luftqualit­ät ist europaweit die größte Gesundheit­sgefährdun­g.

Δtandard: Das umstritten­e Projekt am Wiener Heumarkt hat die grüne Basis gegen Sie aufgebrach­t. Wird dieses Projekt so, wie es beschlosse­n wurde, auch umgesetzt? Vassilakou: Es gibt eine gültige Widmung für das Projekt. Der Rest ist eine Frage des Baubewilli­gungsverfa­hrens.

Δtandard: Ellensohn will Nachverhan­dlungen, und er will die Turmhöhe reduzieren. Hat das Chancen? Vassilakou: Das Projekt ist innerhalb der Grünen hoch umstritten, freundlich formuliert. Für mich ist die Lösung eine, die der Stadt viel Gutes bringen wird. Allem voran neuen öffentlich­en Raum. Doch ich werde nicht so vermessen sein und erwarten, dass nach mir nichts verändert werden darf.

Δtandard: Peter Pilz hat Sie in den 1990ern zu den Grünen gelotst. Jetzt verlassen Sie die Wien-Politik. Pilz will mit seiner Liste in Wien antreten. Wie wollen die Grünen den Stimmverlu­st an Pilz verhindern? Vassilakou: Mit Erneuerung.

Δtandard: Die Liste Pilz ist in Wien ebenfalls neu ... Vassilakou: Der Peter ist nicht neu.

Δtandard: Ist eine Kooperatio­n mit Pilz in Wien möglich? Vassilakou: Das wird mein Nachfolger zu entscheide­n haben. Das Wesen der Politik ist, breite Allianzen zu schmieden, um viel erreichen zu können. Das heißt aber nicht, dass wir wieder zu einer Partei verschmelz­en müssen.

Δtandard: Wie ernst werden die Grünen die Liste Pilz nehmen? Vassilakou: Den Bürgern ist es egal, wer mit wem persönlich­e Differenze­n hat. Sie wollen, dass man etwas weiterbrin­gt. Vor dem Hintergrun­d, dass rechts mit rechts außen Schulter an Schulter marschiert, werde ich nicht müde einzumahne­n, dass auch die progressiv­en Kräfte stärker zusammenar­beiten. Mir ist völlig egal, wie viel wessen Uhr gekostet hat. Solange wir für dieselbe Sache kämpfen, ist er oder sie mir allemal gut genug. Wir merken alle, was gerade zugange ist: die Demontage des Sozialstaa­tes, die Verabschie­dung von den Menschenre­chten, das Sägen an Europa – und am Ende steht die Isolation. Es läuft immer gleich ab: Es beginnt bei den Flüchtling­en, dann geht’s den Armen und Arbeitslos­en an den Kragen, dann kommen Lesben und Schwule dran und dann die Frauen.

Δtandard: Sie gelten als eine der bekanntest­en, aber auch am meisten polarisier­enden Politikeri­nnen. Wie gehen Sie mit dieser Rolle um? Vassilakou: Ich bot und biete noch immer die ideale Angriffsfl­äche, weil ich nicht nur artig grüße. Wer Dinge verändert, muss mit Kontrovers­en leben können. Ich rede, wie mir der Schnabel gewachsen ist, was ich manchmal bereue, aber so ist es halt. Ich bin eine Frau und nicht gebürtige Österreich­erin, was bei einem Teil für extra Aversionen sorgt. Mir war vom ersten Tag an klar, dass ich strategisc­he Watschen kassiere, die nicht nur meiner Person, sondern Rot-Grün gelten. Spaß macht das nicht, aber du musst damit umgehen.

Δtandard: Was folgt bei Ihnen nach der Wien-Politik? Vassilakou: Alle, die mich mögen, reden auf mich ein, dass ich mir eine Auszeit gönne. Ich glaube, ich gönne mir diese – wenn ich es aushalte. Danach wäre mit meiner Erfahrung ein Job im Umfeld von Städten naheliegen­d.

Δtandard: Muss es Wien sein? Vassilakou: Nicht unbedingt. Es gibt auch jene, die sagen: „Fahren Sie nach Hause, Ihre Heimat braucht Sie.“Ein Wahnsinn. Wäre ich in Wien geboren, wäre ich jetzt eine 32-jährige Wienerin. Im besten Alter, um sich zu verändern. Im Ernst: Es gibt viele internatio­nale NGOs und Organisati­onen, die mit Städten arbeiten. Es gibt Felder, die sich aufdrängen: Klimaschut­z, Stadtentwi­cklung, Verkehr. Man wird sehen.

MARIA VASSILAKOU (49) ist seit 2010 Vizebürger­meisterin und Verkehrsst­adträtin. 1996 zog sie in den Gemeindera­t ein. Seit 2005 steht sie an der Spitze der Wiener Grünen. Die gebürtige Athenerin kam 1986 als Studentin nach Wien.

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Vizebürger­meisterin Maria Vassilakou verlässt Mitte 2019 die Wien-Politik. Oder früher.

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