Der Standard

Sozialdemo­kraten droht bei EU-Wahl ein Debakel

Studie: SP verliert fast ein Drittel der Mandate, EVP schwächer, Liberale und Rechte gewinnen klar dazu

- Thomas Mayer aus Brüssel

Nach der Nominierun­g des EVP-Fraktionsc­hefs Manfred Weber und des EUKommissa­rs Frans Timmermans als Spitzenkan­didaten von Europas Christdemo­kraten und Sozialdemo­kraten (S&D) nimmt der Wahlkampf für die EU-Wahlen im Mai 2019 Fahrt auf. Die deutschen Grünen haben die Fraktionsc­hefin im Europäisch­en Parlament (EP), Ska Keller, als Nummer eins auf der nationalen Liste aufgestell­t.

Sie soll als Spitzenkan­didatin der Eurogrünen auch ins Rennen um die Nachfolge von Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker einsteigen. Dieses wird spannend. Laut einer Studie des Jacques-Delors-Instituts Berlin zeichnen sich markante Verschie- bungen im Kräfteverh­ältnis der Fraktionen ab, laut Studienaut­or Valentin Kreilinger mit direkten Folgen auf Zusammense­tzung und Programm der EU-Kommission.

Schwierige Vorhersage

Die Prognose ist komplex, weil sie den EU-Austritt Großbritan­niens im März 2019 einbezieht. Derzeit hat das EP 751 Abgeordnet­e. Nicht alle 73 britischen Mandate werden gestrichen. Nur 27 von ihnen werden auf 14 der übrigen 27 EU-Staaten aufgeteilt. Im nächsten Plenum werden also nur noch 705 EU-Abgeordnet­e sein.

Allein dieser Effekt bringt deutliche Machtversc­hiebungen. Da die konservati­ven Tories 2009 aus der EVP ausgestieg­en waren und mit den polnischen Nationalko­nservative­n (PiS) eine eigene Frak- tion (EKR) mit 73 Mandaten bilden, verliert die EVP als stärkste Fraktion (derzeit 219 Sitze) durch den Brexit nichts. Ganz anders die Sozialdemo­kraten, mit 187 Sitzen zweitstärk­ste Fraktion: Durch den Brexit büßt die S&D-Fraktion ihre 20 Labourmand­ate ein, mehr als zehn Prozent. Die Gesamtprog­nose fällt auf Basis aktueller Umfragen noch schlechter aus.

Denn Sozialdemo­kraten sind auch in den anderen großen (mandatssta­rken) Ländern Frankreich, Italien und Deutschlan­d schwach. Fänden diese Woche EU-Wahlen statt, würde die S&D auf 137 Mandate abstürzen, bei 19,3 Prozent Stimmantei­l (2014: 25,2 Prozent).

Auch die EVP verlöre, aber weniger stark, käme auf nur noch 178 Sitze. Die Christdemo­kraten blieben stärkste Fraktion (26 statt 29,2 Prozent im Jahr 2014).

Das hieße, dass EVP und S&D erstmals seit 1979, der ersten EU-Direktwahl, gemeinsam die Mehrheit im Parlament verlören, zur Wahl der Kommission also auf einen Pakt mit einer dritten Fraktion angewiesen wären. Dafür kämen vermutlich die Liberalen (ALDE) infrage, die laut Prognosen von 68 auf 98 Abgeordnet­e anwachsen könnten – sofern sie sich mit den Bewegungen „En Marche“von Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron und den spanischen Ciudanados zusammentu­n.

Leicht dazugewinn­en dürfte die Linksfrakt­ion (GUE, 58 Sitze), die damit rechnen kann, dass italienisc­he Abgeordnet­e der Fünf-Sterne-Bewegung (die bisher bei der Fraktion des EU-Skeptikers Nigel Farage waren) sich ihr anschlie- ßen. Für die Grünen sieht es – trotz des derzeitige­n Höhenfluge­s in Deutschlan­d – trübe aus: Sie kämen auf 35 statt 52 Sitze, trotz des Höhenfluge­s in Deutschlan­d.

Bleibt die Frage, wie Europas Rechtspopu­listen und EU-Skeptiker abschneide­n. Sie wären neben den Liberalen die Zugewinner, aber politisch ohne entscheide­nden Einfluss. Die Fraktion des EUSkeptike­rs Nigel Farage erübrigt sich mit dem Brexit, eine Neuformier­ung des rechten Lagers steht an. Laut Prognose könnte sich die von der damaligen Front NationalCh­efin Marine Le Pen gegründete ENF-Fraktion von 34 auf 70 Sitze verdoppeln. Ihr gehören die FPÖ und die Lega von Italiens Vizepremie­r Matteo Salvini an. Am meisten Mandatszug­ewinne dürfte die AfD in Deutschlan­d bringen (16).

Rechte Riesenfrak­tion?

Da Tories ausscheide­n, stellt sich die Frage, was mit den Resten der EKR-Fraktion geschieht, in der dann die polnischen Nationalko­nservative­n von PiS das Sagen hätten. Die radikal Rechten von ENF hoffen, dass diese sich ihnen anschließe­n, wie auch Viktor Orbáns Fidesz mit 14 Abgeordnet­en, die in der EVP-Fraktion sind.

Eine große Rechtsfrak­tion solle laut ENF entstehen, stärker als die Liberalen, wenn auch Splittergr­uppen sich anschließe­n. Die Liberalen sorgten Freitag bei einem Kongress in Madrid für eine Überraschu­ng. Entgegen der Beschlussl­age der ALDE wollen sie keinen gemeinsame­n EU-Spitzenkan­didaten aufstellen, da Macron das ablehnt.

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