Als die Kakanier Bosnien verlassen mussten
Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs mussten auch viele Österreicher raus aus dem neuen Königreich Jugoslawien. Doch in manchen Familien sind die Verbindungen bis heute nicht abgebrochen.
Schon als Jugendlichen hatten ihn die Balkan-Bände von Karl May mehr interessiert als die Indianer. Mitte der Siebzigerjahre lernte er Serbokroatisch und war praktisch jedes Jahr in Jugoslawien. Auch jetzt als Pensionist verbringt er viel Zeit in Sarajevo. „Meine Mutter war „made in Bosnia“, erzählt der pensionierte österreichische Hofrat, der nicht namentlich genannt werden will.
Der Großvater war Chemieingenieur im heutigen Tschechien. Im Ersten Weltkrieg wurde er kriegsverpflichtet und ins waldreiche Bosnien geschickt, um aus den Harzen der Bäume Schmiermittel für die Industrie zu gewinnen. Die Großmutter kam auch aus Südmähren und verdingte sich als Schreibkraft. Auch sie wurde nach Bosnien geschickt, in denselben Betrieb. In den langen bosnischen Nächten kam man einander näher, sie wurde schwanger. Als der Krieg vorbei war, verließen beide Bosnien, und das Kind kam bereits in Wien zur Welt.
Ab der Okkupation BosnienHerzegowinas durch ÖsterreichUngarn 1878 kamen tausende Kakanier im Rahmen der „Kulturund Zivilisierungsmission“ins Land, manche blieben 40 Jahre. Sie bauten Straßen, Schulen und Eisenbahnstrecken. Die Beamten und Kaufleute aus den Ländern der Monarchie wurden „kuferaši“genannt – also „jene, die mit dem Koffer kamen“und das Land mit vielen Koffern verließen.
Sie wurden mitunter als „Parasiten“gesehen, „die auf Kosten der lokalen Bevölkerung leben“, erklärt der Historiker Enes S. Omerović, der an der Universität in Sarajevo zu dem Thema forscht. Das hatte auch damit zu tun, dass manche in der Forstverwaltung ein Vermögen lukrierten.
Als die Monarchie im Herbst 1918 zusammenbrach, wurden die ehemaligen Okkupatoren, die Deutsch sprachen, auf der Straße mitunter attackiert, und das nicht nur verbal. „Alle Symbole des österreichisch-ungarischen Reiches wurden entfernt, alles, was auf Deutsch geschrieben war, aber auch etwa das Denkmal für Franz Ferdinand und Sophie“, erzählt Omerović.
Nur Marineoffiziere
Im neuen Königreich Jugoslawien waren die Kakanier nicht mehr wirklich erwünscht. Von den Offizieren wurden nur jene aus der Marine übernommen, denn in Serbien hatte es zuvor logischerweise keine Seestreitkräfte gegeben.
Laut der Volkszählung aus dem Jahr 1910 befanden sich 120.000 Ausländer in Bosnien-Herzegowina. Etwa die Hälfte waren Slowenen oder Kroaten und insofern nach dem Krieg ohnehin Bürger des neuen jugoslawischen Königreichs. Viele der anderen Kakanier verließen bereits im November 1918 das Land. Der Zusammenbruch der alten Ordnung hinterließ auch Chaos, denn es fehlte plötzlich an Richtern, Staatsanwälten und Gendarmen. Im November und im Dezember 1918 brach Anarchie aus. „Es kam zu Raubüberfällen, Attacken und Ver- gewaltigungen“, berichtet Omerović. „Man konnte nicht für ausreichend Sicherheit sorgen.“
Es bildeten sich Bürgerwehren, und Militärs versuchten, für Ordnung zu sorgen. Doch manche der Bewaffneten wurden selbst Teil der kriminellen Bestrebungen. Am 6. November wurde deshalb die serbische Armee nach Sarajevo gebeten.
Organisierte Ausreise
Die nächste Auswanderungswelle der Ausländer fand 1919 statt. Es handelte sich um kalkulierte Transporte mit der Eisenbahn. 1919 fuhren allein elf Züge in die Tschechoslowakei, zwei nach Polen, einer nach Rumänien. Es war erlaubt, persönliches Eigentum mitzunehmen. Das Hab und Gut wurde genauestens in Listen angeführt.
„Damals verließen etwa 2000 Personen freiwillig das Land“, erzählt Omerović. Eine dritte Auswanderungswelle folgte danach von 1919 bis 1921 – dieses Mal wurden die Leute dazu gezwungen, auch politische Gründe spielten eine Rolle. „Man argumentierte etwa, dass tschechische Arbeiter 1.-Mai-Feiern organisiert hätten und man deshalb die ausländischen Arbeiter loswerden musste“, so Omerović. Manche der ausländischen Arbeiter sympathisierten schließlich mit den Sozialdemokraten.
Und so konnte man politische Gegner und Ausländer gleichzeitig loswerden. „Die meisten von ihnen wurden nach dem Bergarbeiterstreik in Hosino im De- zember 1920 ausgewiesen“, zählt Omerović.
Weil Bosnien-Herzegowina 40 Jahre lang Teil der Monarchie war, gab es aber am Ende bereits drei Generationen an Kakaniern. Viele von ihnen hatten nichts mehr mit dem Herkunftsland ihrer Großeltern und Eltern zu tun. Einige „Tschechen“wurden trotzdem 1929 nach Zagreb geschickt. Dort realisierte man jedoch, dass sie er- kein Wort Tschechisch sprachen und keine tschechische Staatsbürgerschaft hatten. Sie durften wieder nach Sarajevo zurück.
1910 gab es 22.500 Personen, die Deutsch sprachen, 1921 waren es noch 16.500. In der Zwischenkriegszeit nahmen die nationalen Minderheiten weiter ab. Heute sprechen viele in Bosnien Deutsch – insbesondere weil sie gern deutsches Fernsehen „gucken“.