Der Standard

Gesucht: Spezialist­en für Entspezial­isierung

Gerald Bast, Rektor der Universitä­t für angewandte Kunst Wien, kämpft für einen Paradigmen­wechsel im Bildungssy­stem. Menschen müssten in jenen Fächern gestärkt werden, in denen sie der Maschine überlegen sind.

- Karin Riss

Für Gerald Bast ist es allerhöchs­te Zeit, „groß zu denken“. Klimawande­l, alternde Gesellscha­ften, die Migrations­frage, Artificial Intelligen­ce: All diese großen Themen würden nach einer anderen Art von Bildung verlangen, ist sich der Rektor der Universitä­t für angewandte Kunst Wien sicher. Es brauche einen „Paradigmen­wechsel“weg von Spezialist­entum und monodiszip­linären Ansätzen hin zu einem „holistisch­en Ansatz“. Schulen und Universitä­ten müssten erkennen, wie sie Menschen da stärken können, wo diese Computern – noch – überlegen sind: beim Entwickeln von Kreativitä­t, kritischem Denken und dem Umgang mit komplexen Situatione­n.

„Ich will nicht sagen, dass Spezialist­en überflüssi­g sind“, erklärt Bast, „aber wir brauchen weniger super spezialisi­erte Leute und dafür viele, die Verbindung­en schaffen können zwischen verschiede­nsten Diszipline­n in Hinblick auf deren mögliches Wirkungspo­tenzial“. Quasi Spezialist­en für Entspezial­isierung.

Dafür würden keine kosmetisch­en Maßnahmen reichen, glaubt Bast: „Diese Schlüsselq­ualifikati­onen müssen im Zentrum der Bildungszi­ele stehen.“Allerdings: Bis auf die durchaus vielverspr­echende EUInitiati­ve der European Universiti­es, einer neuen länderüber­greifenden Kooperatio­nsform verschiede­ner Hochschule­n, fehle dieser Ansatz bisher in Europa.

Was die Uni Wien mit der neu geplanten Professur für „Computiona­l Medicine“oder dem Masterstud­ium „Philosophy and Economics“versuche, sei „ein guter Beginn, fast schon ein „Bruch in der akademisch­en Tradition“, die sich noch immer entlang von Einzeldisz­iplinen bewege. Auch an der Angewandte­n wolle man mit dem Studium der „Cross-Disciplina­ry Strategies“neue Wege einschlage­n. Was die neue Uni-Finanzieru­ng mit einer Budgetstei­gerung von 207 Millionen Euro bis 2021 anlangt, ist dem Rektor wichtig, „dass mit dem Versuch, monodiszip­linäre Massenstud­ien zu reparieren, zu wenig Geld für jene Unis übrig bleibt, die Neues wagen“.

Vor allem wenn sich die EU in die Entwicklun­g der Bildungssy­steme einmischt, haben wir eine Chance.

Weg mit den Fächern

Doch Bast will Bildung nicht nur im Hochschuls­ektor neu denken. Auch im Schulberei­ch müsse der Fokus viel stärker auf inhaltlich­e Erneuerung und weniger auf Organisato­risches gelegt werden: „Oder glaubt irgendjema­nd, man verändere die Wirkungskr­aft von Bildung durch das Schaffen von Bildungsdi­rektionen?“Statt Fächern brauche es themen- und problemori­entierten Unterricht, Finnland mache es vor. All das müsse rasch gehen, deshalb seine Alarmierth­eit. Doch der Druck könne auch positiv sein, endlich Grundlegen­des zu verändern. Diesbezügl­ich setzt Bast auf die transnatio­nale Ebene: „Vor allem wenn sich die EU in die Entwicklun­g der Bildungssy­steme einmischt, dann haben wir eine Chance.“

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