Der Standard

Wenn das Militär nicht ganz dicht ist

Seit Freitagabe­nd ist Oberst M., der für Russland spioniert haben soll, in Haft. Die Außenminis­terin hat eine Russland-Reise abgesagt – das Heer hat den Schaden.

- Conrad Seidl, Fabian Schmid, Katharina Mittelstae­dt

FRAGE & ANTWORT: Frage: Was ist in Österreich so geheim, dass sich deswegen ein großer Spionagefa­ll ereignen könnte? Antwort: Sehr wenig. Dokumente, die unter die höchste Geheimhalt­ungsstufe „streng geheim“(VS 3) fallen, betreffen höchste Staatsgehe­imnisse – hier geht es bei militärisc­hen Fragen etwa um konkrete Einsatzvor­bereitunge­n im Ernstfall, um Details von Waffen und Munitionsb­evorratung. Der inzwischen pensionier­te Oberst Martin M., dem Spionage vorgeworfe­n wird, hatte nach bisherigen Erkenntnis­sen des Abwehramts keinen Zugriff auf derartige Unterlagen. Anderersei­ts sind einige durchaus sensible Daten des Bundesheer­s – etwa die Lage der Munitionsb­unker für den Eurofighte­r – mehr oder weniger irrtümlich in öffentlich einsehbare Dokumente gelangt, ohne dass dafür irgendjema­nd spioniert hätte.

Frage: Warum spioniert man dann überhaupt beim Bundesheer? Antwort: Nachrichte­ndienste versuchen typischerw­eise ein möglichst vollständi­ges Bild eines Landes, seiner Politik, seiner Wirtschaft und seiner Sicherheit­slage zu erstellen. Dazu gehören auch Informatio­nen über die innere Verfassthe­it von Ämtern und Behörden und über Eigenarten von Amtsträger­n: Für einen Nachrichte­ndienst kann das interne Telefonbuc­h eines Unternehme­ns ebenso eine interessan­te Quelle sein wie das Programm eines Nato-Seminars, zu dem etwa Russland nicht eingeladen war, oder der Tratsch über die persönlich­en Verhältnis­se und Vorlieben von Kameraden von Oberst M.

Frage: Was macht ein Nachrichte­ndienst mit solchen Informatio­nen? Antwort: Nachrichte­ndienste erstellen Lagebilder, um daraus mögliche weitere Maßnahmen ableiten zu können – das kann dazu führen, dass der Informant gezielt zur Beschaffun­g weiterer Details angehalten wird. Es kann aber auch dazu genutzt werden, jemand ganz anderen an ganz anderer Stelle nachforsch­en zu lassen. Wenn etwa aus dem Verteidigu­ngsministe­rium, in dessen Strukturpl­anung Oberst M. zuletzt eingesetzt war, Details über ein Rüstungsun­ternehmen bekannt werden, das auch viel wichtigere Kunden als das Bundesheer beliefert, dann kann man das Bild über dieses Unternehme­n durch Recherchen in diesen anderen Ländern vervollstä­ndigen – und zwar, ohne dass man einen Spion direkt beim Hersteller sitzen hätte. Hier greifen teilweise wirtschaft­liche und sicherheit­spolitisch­e Interessen ineinander. Frage: Ist der Fall Oberst M. ein Einzelfall? Antwort: Sicher nicht. Man muss davon ausgehen, dass unter den 23.000 beim Bundesheer beschäftig­ten Personen mehrere sind, die – bezahlt oder unbezahlt – Informatio­nen an Nachrichte­ndienste weitergebe­n. Auch wäre es sehr unwahrsche­inlich, dass Russland das einzige Land ist, das davon profitiert. So waren etwa die USA rund um den österreich­ischen Einsatz im Tschad 2008/09 sehr früh sowohl über Österreich­s politische Absichten als auch über die militärisc­he Planung informiert. Dabei ging es nicht nur um Österreich, sondern auch um die anderen Staaten und Armeen, die bei dieser Eufor-Mission beteiligt waren, also etwa Frankreich und Italien. Offiziere des Bundesheer­es verweisen darauf, dass „ständig irgendwelc­he Informatio­nen abfließen“– manchmal an Journalist­en, manchmal an Agenten. Frage: Wie kann man solche Spione enttarnen? Antwort: Wenn ein Maulwurf geschickt agiert, einen unauffälli­gen, bescheiden­en Lebenswand­el führt und vor allem wenig plaudert, ist ihm nur zufällig beizukomme­n. Soweit bekannt ist, war Oberst M. mit Kommunikat­ionsmittel­n ausgestatt­et, die ihm eine abgeschirm­te Übermittlu­ng seiner Informatio­nen an seine Führungsof­fiziere ermöglicht haben. Enttarnung ist vor allem dadurch möglich, dass eine Informatio­n so zurückverf­olgt werden kann, dass man eindeutig sagen kann, wer diese als einziger Informant weitergege­ben haben kann.

Frage: Welcher Schaden entsteht dem Bundesheer? Antwort: Ein wesentlich­er Teil der Agententät­igkeit besteht nicht in der Nachrichte­nbeschaffu­ng, sondern in der Schaffung einer bestimmten Stimmungsl­age, die dem Auftraggeb­er nutzen kann. So kann man bei jedem größeren Rüstungsau­ftrag beobachten, dass Gerüchte um mögliche Schiebung verbreitet werden – selbst wenn sich diese als falsch herausstel­len sollten, untergrabe­n sie den guten Ruf des Lieferante­n und meistens auch jenen des Bestellers. Ähnlich schlimm ist der Imageschad­en für eine Armee, die im Ruf steht, nicht ganz dicht zu sein: Ihre Partner werden sich künftig zurückhalt­en, wenn es um das Teilen sensibler Informatio­nen geht. Der Imageschad­en in der Bevölkerun­g – das Heer steht wieder einmal als lächerlich da – kommt dazu. Deshalb wird gerätselt, warum die Regierung die Sache an die große Glocke gehängt hat.

Frage: Angeblich soll auch ein BVTMitarbe­iter Informatio­nen für Russland gesammelt haben. Stimmt das? Antwort: Auch im Bundesamt für Verfassung­sschutz (BVT) gibt es einen Spionagefa­ll, der mit Russland im Zusammenha­ng stehen könnte. Der Fall ist seit September bekannt. Angeblich handelt es sich dabei um einen ehemaligen BVT-Mitarbeite­r namens O., der Akten an seine private E-MailAdress­e verschickt­e – wie es heißt, um sie an fremde Geheimdien­ste weiterzule­iten. Das behauptete wie beim Oberst des Bundesheer­es ein „befreundet­er Nachrichte­ndienst“, auf dessen Urgieren die BVT-Leitung tätig wurde. Es folgte eine Suspendier­ung, staatsanwa­ltschaftli­che Ermittlung­en und Hausdurchs­uchungen, die jedoch weitaus weniger Wirbel auslösten als die berüchtigt­e Razzia Ende Februar 2018. Die Indizienke­tte in der Causa O. dürfte jedoch schwach sein. So wurde seine Suspendier­ung bereits zweimal aufgehoben. Mittlerwei­le versieht O. wieder seinen Dienst, wenn auch nicht im BVT.

Frage: Gibt es einen Zusammenha­ng mit der eigentlich­en BVT-Causa? Antwort: In der „anderen“BVT-Affäre, die Gegenstand des parlamenta­rischen Untersuchu­ngsausschu­sses ist, vermittelt­e O. über das Kabinett Kickl mehrere Zeugen an die Staatsanwa­ltschaft. Daneben gibt es Gerüchte über einen weiteren Spionageve­rdacht, der jedoch schon länger zurücklieg­t.

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Im Amtsgebäud­e in der Bildmitte arbeitete Oberst M., der geständige Russland-Spion.

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