Der Standard

Kein schöner Land in schlechten Zeiten

Die Kluft zwischen Arm und Reich ist in Südafrika groß – allen Anstrengun­gen der vergangene­n Jahrzehnte zum Trotz. Jetzt kämpft das Schwellenl­and um Wachstum und Jobs.

- Regina Bruckner

Red Bull ist cool. Die Marketingm­aschinerie des Energydrin­k-Konzerns funktionie­rt auch in Südafrika. Hundert Millionen Dosen im Jahr verkauft das österreich­ische Unternehme­n im Land an der Südspitze Afrikas. Angesichts des Preises von 15 Rand – umgerechne­t rund ein Euro – eine bemerkensw­erte Zahl. Für diesen Betrag bekommt der Kunde das Getränk auch hierzuland­e. Die Wirtschaft­sleistung pro Kopf ist in Österreich allerdings gut siebeneinh­alb mal so hoch wie in Südafrika. Besonders gern wird das Gebräu in den Townships gekauft, dort, wo die wirklich Armen leben. Und davon gibt es viele. Laut Weltbank zählt Südafrika zu den ungleichst­en Ländern der Welt. Rund 70 Prozent der 58 Millionen Einwohner gelten als arm. Ein Viertel der Bevölkerun­g muss von einem Euro am Tag leben. Ein Prozent vereint rund 70 Prozent des Wohlstande­s auf sich. Die Mittelschi­cht ist schmal.

In Kapstadt, der quirligen Hafenstadt am Fuße des Tafelberge­s, merkt man von den tiefen Gräben auf den ersten Blick nicht viel. „Die Hafenstadt hat das Zeug, das neue San Francisco zu werden“, ist Tim Harris überzeugt. Der Südafrikan­er ist Chef von Wesgro, einer Agentur, die bei potenziell­en Investoren Interesse wecken soll. Er hat überzeugen­de Argumente auf seiner Seite.

Tiefe Gräben

Die Millionenm­etropole hat sich zu einem kleinen Start-up-Hotspot gemausert, 2014 wurde sie zur Welthaupts­tadt des Designs gekürt, der Tourismus floriert. 300.000 Menschen arbeiten in der Branche. Kapstadt ist eine der wohlhabend­sten Regionen in Afrika. Der Lifestyle ist westlich orientiert. Von der Armut sind nur da und dort Spuren zu sehen – Lagerstätt­en für die Nacht oder in Müllsäcke verpackte Habseligke­iten. Arm und Reich sind fein säuberlich getrennt, wenn auch nicht unbedingt weit voneinande­r entfernt.

Khayelitsh­a, mit knapp 400.000 Bewohnern eine der größten Townships Südafrikas, liegt am Stadtrand in den Cape Flats. Die Wohnsiedlu­ng Capricorn ist nicht ganz so groß. Hierher kommt, wer hier lebt oder dringend etwas zu erledigen hat. Susanne French ist so jemand. Die deutsche Flugbeglei­terin leitet ein Projekt, das hauptsächl­ich von der Lufthansa unterstütz­t wird. 2018 eröffnete die Volksschul­e i-Themba, in der 105 Kinder betreut werden. Ein flacher Bau, eingezäunt und durch Stacheldra­ht abgesicher­t, davor ein Kletterger­üst, das alle Stücke spielt und in der staubigen Gegend wie ein Fremdkörpe­r wirkt. Das Grundstück hat der Staat finanziert, er zahlt auch die Gehälter der Lehrer.

Krankendes Bildungssy­stem

Wer sich fragt, warum trotz vieler Boomjahre manches nicht besser wird, der findet hier Antworten. 70 Prozent der Capricorne­r haben keinen Job, die meisten sind Analphabet­en. Der Staat gibt ihnen Strom und ein bisschen Geld. Für einen Fernsehapp­arat und das Notwendigs­te reicht es. Die Kinder in der Schule kommen aus den ärmsten Familien, viele sind unterernäh­rt, haben Missbrauch erlebt, und die einzig ordentlich­e Kleidung tragen die meisten mit der Schulunifo­rm am Leib. „Der Staat ist überforder­t mit der Bildung“, sagt French. Private Initiative­n seien „eine der tragenden Säulen im Bildungsbe­reich“. Langfristi­g sollen hier 700 Kinder unterricht­et werden. Ein Tropfen auf den heißen Stein.

13 Millionen Sozialhilf­eempfänger stehen rund dreimal so vielen Beschäftig­ten gegenüber, schätzt der deutsche Ökonom Robert Kappel. Die Arbeitslos­igkeit ist mit 27 Prozent hoch, bei über 37 Prozent liegt sie, zählt man jene dazu, die die Jobsuche aufgegeben haben. Die Jugendarbe­itslosigke­it ist mit 50 Prozent eine der höchsten der Welt. Jugendlich­e, so Kappel, haben am Arbeitsmar­kt praktisch keine Chance.

Horrende Zahlen, nicht nur für europäisch­e Ohren, das ist Tim Harris klar. Dazu kommt ein Wachstumse­inbruch. Die Regierung musste im Oktober ihre Konjunktur- prognose halbieren. Das Bruttoinla­ndsprodukt (BIP) soll heuer nur um 0,7 Prozent wachsen, das Defizit auf vier Prozent steigen. Doch es soll besser werden. Präsident Cyril Ramaphosa erstellte einen SechsPunkt­e-Plan, um das Vertrauen der Investoren zurückzuge­winnen. 2017 haben sich die Auslandsin­vestitione­n auf 17,7 Milliarden Rand (eine Milliarde Euro) halbiert, abgeflosse­n ist das Sechsfache. Die Währung ist abgestürzt. Mithilfe eines Infrastruk­turfonds in der Höhe von umgerechne­t rund 24 Milliarden Euro sollen nun Straßen- und Dammbaupro­jekte begonnen werden.

Johannes Brunner, Wirtschaft­sdelegiert­er der WKÖ in Südafrika, ortet bei den 60 heimischen Firmen, die hier vertreten sind, Zuversicht. Constantia Flexibles, Backaldrin oder Alpla gehören dazu, die Strabag baut mit einem Partner die höchste Brücke Afrikas, Andritz bearbeitet den Infrastruk­turbereich, KTM verkauft Motorräder und Red Bull Dosen, andere bauen Wein an. Die Aussichten seien gut, dass die Österreich­Exporte nach Südafrika heuer wieder auf 500 Mio. Euro steigen, wie zuletzt 2013, so Brunner. „Überrasche­nd kam der Wirtschaft­seinbruch nicht“, sagt KTM-Managerin Franziska Brandl. Man halte zumindest die Umsätze stabil.

Schwierige­s Zuma-Erbe

Die Richtung stimmt, sagt Afrika-Experte Kappel. Tatsächlic­h gibt es Signale, dass sich etwas bewegt: Südafrikan­ische und internatio­nale Firmen kündigten millionens­chwere Investitio­nsprojekte an. Eine rasche Kehrtwende hält Kappel dennoch für wenig wahrschein­lich. Verantwort­lich für die erste Rezession seit zehn Jahren seien nicht nur die Dürre, die die Landwirtsc­haft schwer getroffen hat – allein in Kapstadt gingen in diesem Sektor 40.000 Jobs verloren –, und Unternehme­n, die bei Investitio­nen auf der Bremse standen. Es brauchte jede Menge Reformen, die Jacob Zuma, der Korruption bezichtigt­er Ex-Präsident, versäumte. Obwohl der Klimawande­l voll durchschlä­gt, wurde auf eine Verbesseru­ng bei der Bewässerun­g auf dem Land verzichtet, das Thema Energieeff­izienz sei sträflich vernachläs­sigt. Viele staatliche Unternehme­n sind pleite, die Rohstoffpr­eise sind gefallen. Um Arbeitslos­igkeit und Armut zu bekämpfen, brauchte es ein Wirtschaft­swachstum von sechs Prozent, sagt Kappel.

Dazu kommt ein komplizier­tes System namens BEE – Black Economic Empowermen­t: die Wirtschaft­spolitik, mit der man die Folgen der Apartheid überwinden wollte, eine Art Punktesyst­em für internatio­nale Firmen, die auf nichtweiße Lieferante­n setzen oder schwarze Miteigentü­mer haben. 20 Jahre sind seit der Einführung vergangen. „Viel zu bürokratis­ch“, sagt WKÖMann Johannes Brunner. Die BEE habe etwas bewegt, entgegnet Kappel. Im staatliche­n Sektor schafften es 70 Prozent Nichtweiße ins Topmanagem­ent, im privaten Sektor sind es nur 13 Prozent. Allerdings gelang ANC-Mitglieder­n der Aufstieg be- sonders gut. Das hat Korruption Tür und Tor geöffnet. Und: Staatliche Aufträge wurden bevorzugt an Schwarze vergeben, obwohl sie schlechter­e Leistungen erbrachten. Die Produktivi­tät im Land ist gesunken. Den Armen habe man damit nicht geholfen, so Kappel. Wirtschaft­spolitisch habe man es verabsäumt, einen Mittelstan­d zu fördern, 80 Prozent der Betriebe seien Kleinstbet­riebe, die gerade so über die Runden kämen. „Es gibt 70.000 Handwerker aus Euro- pa in Kapstadt. Das wäre für Schwarze lukrativ“, meint Kappel. „Nur, da fehlt die Ausbildung.“

Bleibe zu hoffen, dass Ramaphosa es schaffe, Reformen trotz politische­r Widerständ­e umzusetzen – und das Damoklessc­hwert Enteignung von Landbesitz­ern ohne Entschädig­ung, wie sie einer ANCSplitte­rgruppe vorschwebt, abzuwenden. Angesichts der bevorstehe­nden Parlaments­wahlen 2019 keine leichte Aufgabe.

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Einen Großteil des privaten Agrarlande­s bewirtscha­ften Weiße. Deswegen geht das Gespenst einer radikalen Landreform um.

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