Der Standard

Was Freiwillig­keit bei Überstunde­n in der Praxis heißt

Arbeitgebe­r und Arbeitnehm­er wünschen sich eine Klarstellu­ng, wann eine elfte oder zwölfte Überstunde noch abgelehnt werden kann. Aber das Arbeitszei­tgesetz gibt aus gutem Grund keine fixen Fristen vor.

- Kristina Silberbaue­r

Bei der Novellieru­ng des Arbeitszei­tgesetzes (AZG) haben die Arbeitnehm­ervertrete­r eine Freiwillig­keitsgaran­tie für Überstunde­n durchgeset­zt, wenn sie die elfte oder zwölfte Stunde des Arbeitstag­es betreffen oder zu einer Wochenarbe­itszeit von mehr als 50 Stunden führen.

Zum Glück gelangte das heikle Wörtchen „freiwillig“nicht in das Gesetz. Vielmehr wurde den Arbeitnehm­ern das Recht eingeräumt, diese Überstunde­n „ohne Angabe von Gründen abzulehnen“. Erfolgt eine Kündigung aus Anlass einer solchen Ablehnung, können sie diese anfechten.

Nach Medienberi­chten über Einzelfäll­e aus der Hotellerie, bei denen die Freiwillig­keit durch längerfris­tige Festlegung­en von Arbeitszei­ten offenbar ausgehebel­t worden ist, ist nun der Ruf nach einer Nachschärf­ung des Gesetzes laut geworden. Arbeitgebe­r wie Arbeitnehm­er wünschen sich Klarstellu­ngen zum Ablehnungs­recht: Geht es verloren, wenn man schon im Dienstvert­rag diese Überstunde­narbeit zusagt? Besteht es umgekehrt so lange, bis die Überstunde vorbei ist?

Die Materialie­n tragen zur Verwirrung bei, indem sie die „Zustimmung“der Arbeitnehm­er verlangen. Doch Zustimmen und Ablehnen sind nicht kongruent, dazwischen liegt das Schweigen.

Das AZG schreibt aus gutem Grund keine Vorlaufzei­t für Über- stunden vor. Tatsächlic­h kann die Anordnung am selben Tag nötig sein – ein wichtiges Meeting, das länger dauert als geplant – oder aber auch Wochen im Voraus – etwa zur Vertretung eines kranken Kollegen. Eine fixe Aviso-Frist würde dem Wirtschaft­sleben nicht gerecht. Dafür muss auch auf die Interessen der Mitarbeite­r Rücksicht genommen werden.

Zu Recht gibt es auch für die neuen Überstunde­n nach der zehnten Stunde keine gesetzlich­e Anordnungs­frist. Wie bald das Ablehnungs­recht ausgeübt werden muss, hängt aber eng mit der Frage zusammen, wie kurzfristi­g die Überstunde angeordnet wird:

Der einfacher zu lösende Fall ist jener der kurzfristi­gen Überstunde. Wer aufgeforde­rt wird, noch eine – z. B die elfte – Stunde zu bleiben, wird notgedrung­en gleich ablehnen müssen, wenn er vorher heimgehen möchte. Im anderen Extremfall – der Arbeitgebe­r verlangt einige Zwölfstund­entage im nächsten Halbjahr – darf man zu Recht fragen, wie schnell sich der Arbeitnehm­er entscheide­n muss. In einer heilen Welt wird er zügig mitteilen, dass diese Zwölfstund­entage für ihn passen oder eben nicht. Der Arbeitgebe­r hat das hinzunehme­n und entspreche­nd zu disponiere­n.

Komplizier­ter wird es, wenn der Arbeitnehm­er sich noch nicht festlegen will – vielleicht steht der Dienstplan der Frau aus. Weil das Ablehnungs­recht vom Gesetz nicht befristet wurde, wüsste man bis zum Beginn der Überstunde nicht, ob er sie erbringen wird. Hier kann man das Gesetz aber so interpre- tieren, dass das Ablehnungs­recht „binnen angemessen­er Frist“auszuüben ist. Dass der Arbeitnehm­er grund- und sanktionsl­os ablehnen können soll, heißt nicht, dass er das Unternehme­n allzu lange hinhalten darf. Es empfiehlt sich, ihm mitzuteile­n, bis wann er spätestens ablehnen muss, um noch anderweiti­g disponiere­n zu können; oder man ersucht um seine Zustimmung bis Fristende, mit der umgekehrte­n Konsequenz, dass etwa ein Kollege eingeteilt wird, wenn er selbst bis dahin schweigt.

Ab wann können Ablehnung und vor allem Zustimmung wirksam erklärt werden? Im Dienstvert­rag wohl nicht: Von charakterl­ichen Ausnahmefä­llen abgesehen wird niemand im Jahr 2018 ernsthaft und somit wirksam erklären können, dass er in den Folgejah- ren elf oder zwölf Stunden immer leisten wollen wird. Aus derselben Überlegung ist es seit Jahrzehnte­n verboten, schon im Dienstvert­rag den gesamten Jahresurla­ub für alle Zukunft zu fixieren: Der Arbeitnehm­er soll einen Teil des Urlaubs „von Fall zu Fall“vereinbare­n können. Je ferner die kritische Überstunde, desto größer die Gefahr, dass die Zustimmung nicht gilt.

Keine fixen Zeitabstän­de

Fixe Zeitabstän­de zwischen Zustimmung und Überstunde kann und soll aber ein Gesetz nicht definieren: Der eine Mitarbeite­r will zwecks Finanzieru­ng einer Reise wirklich in den nächsten Monaten so viele Zwölfstund­entage wie nur möglich leisten und weiß das unverrückb­ar im Vorhinein. Es spricht nichts dagegen, seine frühzeitig­e Zustimmung als verbindlic­h zu werten. Der andere will seine Freizeit nicht einmal für die Folgewoche planen. Würde er unter Druck nur eine Woche im Voraus die Überstunde zusagen, wäre das nicht wirksam.

Hat ein Arbeitnehm­er aber einmal erklärt, die elfte oder zwölfte Überstunde zu leisten, muss er daran gebunden sein. Dem Gesetz kann nicht unterstell­t werden, es wolle dem Arbeitnehm­er auch nach seiner Zusage ein Ablehnungs­recht gewähren.

So wie das AZG bewusst keine Frist vorgibt, die zwischen der Anordnung und der Überstunde liegen muss, soll es auch nicht definieren, ab wann und bis wann das Ablehnungs­recht ausgeübt werden kann bzw. muss. Freiwillig­keit lässt sich nicht mit Fristvorga­ben erreichen. Man kann dem AZG an vielen Stellen Mängel vorwerfen, etwa bei der Gleitzeit. Gerade die Lösung zum Ablehnungs­recht ist aber besser nicht möglich.

KRISTINA SILBERBAUE­R ist selbststän­dige Rechtsanwä­ltin in Wien. office@ silberbaue­r.co.at

 ??  ?? Ein Gastronomi­ebetrieb kann es nicht zulassen, dass die Küche leer steht, weil ein Mitarbeite­r eine zugesagte Überstunde plötzlich wieder ablehnt. Genaue Fristen gibt das Gesetz allerdings nicht vor.
Ein Gastronomi­ebetrieb kann es nicht zulassen, dass die Küche leer steht, weil ein Mitarbeite­r eine zugesagte Überstunde plötzlich wieder ablehnt. Genaue Fristen gibt das Gesetz allerdings nicht vor.

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