Der Standard

Liberaler Machtpoker

- Thomas Mayer

Seit gut einem Jahr ringen die liberalen Parteien Europas unter der Anführersc­haft Guy Verhofstad­ts, ihres Fraktionsc­hefs im Europäisch­en Parlament, um eine Lösung, wie sie sich für die Europawahl­en im Mai 2019 am besten aufstellen könnten. Bis zum Wochenende konnte man annehmen, dass die Alde jedenfalls mit einem starken gemeinsame­n Spitzenkan­didaten antreten werde.

Das hatten die Eurolibera­len schließlic­h bereits vor fünf Jahren so gemacht, im Paarlauf mit allen anderen tragenden Fraktionen in Straßburg. Man wolle näher an die Bürger heran, lautete damals das Argument für das „Modell Spitzenkan­didat“. Von den Abgeordnet­en in Straßburg wurde es besonders vehement vertreten, festgeschr­ieben und beschlosse­n: als politische­s Gegengewic­ht zur „Hinterzimm­erpolitik“der Staats- und Regierungs­chefs.

Die Parlamenta­rier wollten ihren Europaprog­rammen „ein Gesicht geben“. Und der/die Spitzenkan­didat/in der siegreiche­n Parteifami­lie sollte das Recht haben, Chef der EU-Kommission zu werden. So sah das immer auch Verhofstad­t: Er war 2014 selbst Spitzenkan­didat.

Nun ist plötzlich alles anders. Die Eurolibera­len beschlosse­n, das Modell aufzugeben, stattdesse­n mit einem „Spitzentea­m“anzutreten. Das klingt auf den ersten Blick auch gut. Leider steckt dahinter aber ein Einknicken vor einem Mann respektive einem Staatsmann, dessen Macht man noch vor einem Jahr unbedingt eingrenzen wollte: vor dem französisc­hen Staatspräs­identen.

Emmanuel Macron lehnte das Modell Spitzenkan­didat bei Europawahl­en von jeher dezidiert ab, weil er dann auf EUEbene nicht so mitspielen könnte, wie er will. Die von ihm gegründete Bewegung La République en Marche (LREM) ist nicht Mitglied des liberalen Dachverban­ds. Macron will sie auch gar nicht als Partei gesehen wissen. In Frankreich hat er so die Parteienla­ndschaft abgeräumt und – dank des Mehrheitsw­ahlrechts – in einem zugespitzt­en Wahlkampf gegen die extrem Rechte Marine Le Pen triumphier­t.

Das will er nun auf EU-Ebene wiederhole­n. Für die aus vielen (eher kleinen) Parteien bestehende Alde ist das mit einem nicht unbeträcht­lichen Risiko verbunden: Es könnte bei den Wählern der Eindruck entstehen, sie seien von Paris gesteuert. Auf der anderen Seite geht es um Macht und Mandate im EU-Parlament. En Marche bringt der Alde zwei Dutzend Mandate mit, wenn es gutgeht. Dafür will man auf ein Gesicht im Wahlkampf verzichten.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria