Der Standard

KOPF DES TAGES

Oberst Redl, Oberst M. und die Parallelen

- Conrad Seidl

Gier ist ein mächtiger Faktor – im christlich­en Sinne eine Todsünde, im täglichen Leben aber schwer zu unterdrück­en. Da gibt es Leute, die beim Frühstücks­buffet die übrig gebliebene­n Marmeladen­portionen einstecken und auch Heeresverp­flegung in größeren Mengen horten. Mit diesem Verhalten ist Martin M. schon während seiner Ausbildung aufgefalle­n – seine 24 Kameraden im Ausmusteru­ngsjahrgan­g „Khevenhüll­er“haben M. daher für ein wenig schrullig gehalten.

Aber dass er für Geld einem ausländisc­hen Nachrichte­ndienst zuarbeiten würde, das können sich manche bis heute nicht vorstellen. Und dass M. große Geheimniss­e verraten hätte, auch nicht. Der Vergleich mit Oberst Redl, den die Kronen Zeitung angestellt hat, passe in keiner Hinsicht.

Parallelen gibt es: Alfred Redl war als Nachrichte­noffizier im Evidenzbür­o des k. u. k. Kriegsmini­steriums und dann als Stabschef des VIII. Korps in Prag tätig – in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg lieferte er Details der österreich­isch-ungarische­n Rüstungs-, Mobilmachu­ngs- und Aufmarschp­läne an Russland. Enttarnt wurde er, weil eine postlagern­de Geldsendun­g an Redl beim Wiener Hauptposta­mt der deutschen Spionageab­wehr aufge- fallen war. Man beobachtet­e Redl bei ihrer Behebung, verfolgte ihn in das Hotel Klomser in der Herrengass­e und legte ihm nahe, sich zu erschießen.

Dann sollte die Affäre vertuscht werden.

Auch im Fall des nun enttarnten Oberst M., der 20 Jahre lang Informatio­nen an Russland geliefert haben soll, soll der Hinweis von einem „befreundet­en Dienst“gekommen sein, auch an M. soll Geld geflossen sein, man spricht von fünfmal 60.000 Euro. Die von M. gelieferte­n Informatio­nen sollen aber nicht so brisant gewesen sein – heißt es zumindest offiziell. Allerdings war M., für den die Unschuldsv­ermutung gilt, nicht nur der einfache Panzer- und später Stabsoffiz­ier, als der er dargestell­t wird. Er dürfte als Mitarbeite­r der Luftraumsi­cherung Zugang zu deren Kommandoze­ntrale in einem geheimen Bunker gehabt haben – und er war zuletzt in der Gruppe Strukturen und Organisati­on am Wiener-FranzJosef­s-Kai tätig. Brisant ist: M. wurde, obwohl als „national-konservati­v“geltend, als „guter Kamerad“eingeschät­zt und hat wohl informell etliche Interna erfahren. Dass seine Enttarnung an die große Glocke gehängt wurde, gilt als Warnung an seine nationalen Freunde, die allzu große Liebe zu Russland zeigen.

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Foto: Picturedes­k Auffällig war vor allem die Gier des Oberst Alfred Redl (1864–1913).

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