Der Standard

May verhandelt nach außen und nach innen

Zeitfenste­r für geregelten Brexit schließt sich immer mehr

- Sebastian Borger aus London

Zu Beginn einer Woche, in der Premiermin­isterin Theresa May auf einem Sondergipf­el Großbritan­niens EU-Austritt besiegeln wollte, gaben sich beide Seiten weiterhin zuversicht­lich für eine baldige Einigung. Dem Vernehmen nach sind mehrere Hundert Seiten der eigentlich­en Austrittsv­ereinbarun­g sowie einer politische­n Erklärung über die zukünftige Zusammenar­beit unterschri­ftsreif. Umstritten bleibt eine Garantie zum Nordirland-Status.

Aus Brüssel hatte es vergangene Woche geheißen, man bereite sich auf einen möglichen Sondergipf­el am 25. November vor. Presseberi­chten in London zufolge sprach Mays Brexit-Sherpa Oliver Robbins bis in die frühen Morgenstun­den des Montags in Brüssel mit Sabine Weyand, Mitarbeite­rin von Brexit-Verhandler Michel Barnier. Beide Seiten zeigen guten Willen.

Am grundsätzl­ichen Meinungsun­terschied hat sich aber nichts geändert. Er betrifft vor allem die Garantie, dass die inneririsc­he Grenze zwischen EU-Binnenmark­t und künftigem Drittland Großbritan­nien auch in Zukunft offen bleiben soll. Dies hatte London bereits zugesagt, will nun aber die Konsequenz­en – den Verbleib Nordirland­s in der Zollunion sowie Teilen des Binnenmark­tes – nicht wahrhaben. Dadurch werde ein Teil des Vereinigte­n Königreich­es auf inakzeptab­le Weise anders behandelt als der Rest, so die Begründung. Dahinter steckt die Furcht, andere Landesteil­e wie Schottland oder London könnten ähnliche Privilegie­n einfordern.

Streitpunk­t irische Insel

Auf den Sonderstat­us ihres Landesteil­es durch das Karfreitag­sabkommen wiesen am Montag Vertreter jener Parteien hin, die sich gegen den Brexit positionie­rt hatten und weiterhin enge Verbindung­en zur EU aufrechter­halten wollen. Dazu gehören die irisch-republikan­ische Sinn Féin, die nationalis­tische SDLP, die religionsü­bergreifen­de Allianzpar­tei sowie die Grünen. Nordirland votierte mit 56 zu 44 Prozent für den EU-Verbleib. Für den Austritt tritt lediglich die Unionisten­partei DUP ein. Da deren zehn Abgeordnet­e Mays Minderheit­sregierung stützen, hat die DUP im Parlament überpropor­tionalen Einfluss.

Am Wochenende warnten DUPBrexits­precher Sammy Wilson sowie der konservati­ve Brexit-Ultra Steve Baker May, sich kompromiss­bereit zu zeigen: Gemeinsam würde man einen Deal im Unterhaus ablehnen. Gegen die eigene Regierung will auch der am Freitag als Verkehrsst­aatssekret­är zurückgetr­etene Jo Johnson stimmen. Der EU-Freund argumentie­rt, May wolle das Parlament vor inakzeptab­le Alternativ­en stellen: dauerhafte Abhängigke­it von Brüssel oder Chaos-Brexit. Stattdesse­n strebt der jüngere Bruder von Ex-Außenminis­ter Boris Johnson nun ein zweites Referendum an. Diese Möglichkei­t wird von May kategorisc­h abgelehnt.

Die Premiermin­isterin hat für eine Vereinbaru­ng mit Brüssel und einen möglichen Gipfel am 25. November nur noch bis Donnerstag Zeit, ehe die Regierung ihre Vorbereitu­ngen für einen Austritt ohne Vereinbaru­ng („No Deal Brexit“) massiv verstärken müsste. Dazu gehört der Ausbau von Häfen sowie das Anheuern von Schiffen im Vertragswe­rt von hunderten Millionen Pfund, die notfalls Lebensmitt­el und Medikament­e auf die Insel bringen müssten. Kommentar der anderen S. 27

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F.: AFP/Belga/Doppagne Theresa May: Zwickmühle oder Zielgerade?

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