Der Standard

Wo der Rechtsstaa­t fiebert

Österreich­s Rechtsanwä­lte warnen vor einer Gefährdung der Grund- und Freiheitsr­echte. Positive Trends gebe es aber in der Zivilgeric­htsbarkeit und im Kampf gegen Korruption.

- Colette M. Schmidt

Die gute Nachricht vorweg: Das Fieber ist leicht im Sinken begriffen. Der Patient, um den es hier geht, ist der österreich­ische Rechtsstaa­t, dessen sogenannte Fieberkurv­e die Österreich­ische Rechtsanwa­ltskammer in Kooperatio­n mit dem Forschungs­institut für Rechtsentw­icklung der Uni Wien und Obergantsc­hnig Management Partners beobachtet und alle zwei Jahre einen Bericht über diese vorliegt. Mit Rechtsstaa­tlichkeit sind der Grad der Funktion des Staates beziehungs­weise seiner Behörden und die Gerechtigk­eit des Staates im weiteren Sinn gemeint.

Negative Prognose

Die gute Nachricht ist nur bedingt beruhigend. Betrachtet man den von den befragten Anwälten als am wichtigste­n eingestuft­en Bereich der Grund- und Freiheitsr­echte an – 53 Prozent der Anwälte halten ihn für den wichtigste­n Bereich überhaupt –, so sind Istzustand und Prognose negativ. Hierzu gehört auch die Pressefrei­heit.

Aber der Reihe nach: Um die „Temperatur“des Rechtsstaa­tes zu messen, wurde dieser in elf Cluster eingeteilt: Qualität und Stabilität staatliche­r Strukturen, Qualität der Gesetzgebu­ng, Korruption­sbekämpfun­g, Grund- und Freiheitsr­echte, Ordnung und Sicherheit, Wirtschaft­sstandort und die Rechtssich­erheit juristisch­er Personen, Lebensraum und die Rechtssich­erheit natürliche­r Personen, Zivilgeric­htsbarkeit, Verwaltung­sverfahren und Verwal- tungsgeric­htsbarkeit und der bürgernahe Staat. Von den 6300 Anwälten und Anwältinne­n, die österreich­weit praktizier­en, haben 410 an der Studie mit unabhängig­en Quellen und einem Expertenbe­irat teilgenomm­en.

Rupert Wolff, Präsident des Österreich­ischen Rechtsanwa­ltskammert­ags, fasste den Zustand des untersucht­en Patienten am Montag bei der Präsentati­on zu- sammen: Es sei insgesamt eine Verbesseru­ng seit 2016 bemerkbar, „allerdings mussten wir schon 2016 eine schlechte Basis attestiere­n. Da ist Luft nach oben.“

Eine „negative Entwicklun­g und einen pessimisti­schen Ausblick“sehe man bei den Grundund Freiheitsr­echten. Diesbezügl­ich fordere man eine „Rücknahme von Gesetzen, konkret etwa bei der Bewachung der Bürger“. Und: Es brauche eine „große Sensibilit­ät“, wo in die Pressefrei­heit eingegriff­en wird, betont Wollf.

Auch beim Versammlun­gsrecht, dem Recht zu demonstrie­ren, kennen die Rechtsvert­reter keinen Spaß: Die Ausweitung der Anmeldefri­st für Versammlun­gen von 24 auf 48 Stunden sei „bereits ein Eingriff in Grundrecht­e“.

Damit korrespond­iert auch teilweise die Diagnose der „Ordnung und Sicherheit“, deren Zustand als ausreichen­d und positiv bewertet wird. Hier seien „keine weiteren staatliche­n Instrument­e wie etwa ein Ausbau der Videoüberw­achung mehr nötig“, so Wolff.

Dass es insgesamt eine Absenkung des „Fiebers“gab, liegt auch an positiven Entwicklun­gen etwa bei der Durchsetzu­ng von Ansprüchen innerhalb der Zivilgeric­htsbarkeit, an der durchschni­ttlichen Verfahrens­dauer beim Verwaltung­sgerichtsh­of, an der stärkeren Kontrolle und am sinkenden Einfluss von Korruption im Staat und an der grundsätzl­ichen Qualität der Gesetzgebu­ng.

Begutachtu­ngsfristen

Allerdings kritisiere­n die Anwälte, dass diese in Teilbereic­hen in Gefahr ist, weil die Mindestbeg­utachtungs­frist neuer Gesetze von sechs Wochen in 75 Prozent der Gesetzesbe­gutachtung­sverfahren unterschri­tten wurde.

Eine Reform des Strafrecht­s sei nicht nötig, so Wolff. Die Erhöhung der Strafen bei Sexualdeli­kten seien ohnehin noch in Arbeit. Was die Anwälte unbedingt – und nicht zum ersten Mal – fordern, ist eine „Waffenglei­chheit zwischen Staatsanwä­lten und Verteidige­rn“im Bereich der Strafproze­ssrechte im Rechtsmitt­elverfahre­n und in Hauptverha­ndlungen: Konkret sollen neuerliche Begutachtu­ngen, das nochmalige Hören von Zeugen, die Bestellung von Gutachtern und Tatortbege­hungen im Hauptverfa­hren möglich sein.

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