Der Standard

„Es gibt leider keine Lobby für Diabetes“

Es gibt viele falsche Vorurteile, wenn es um die Zuckerkran­kheit geht, sagt Diabetolog­in Claudia Francescon­i. Betroffene leiden unter dem Stigma, sie seien selbst schuld.

- Peter Hopfinger

Sie haben täglich mit Adipositas- und Diabetes-Patienten zu tun. Was ist deren Hauptprobl­em? Francescon­i: Typ-2-Diabetes wird oft als Wohlstands­erkrankung charakteri­siert: Die meisten glauben, dass nur wer fett und faul ist, daran erkrankt. Stillschwe­igende Schlussfol­gerung daraus: „Brauchen ja nur abnehmen und sich bewegen, um gesund zu werden!“Bei dieser Stigmatisi­erung, die sowohl die Erkrankten als auch die Erkrankung selbst betrifft, geht unter, dass es eine genetische Dispositio­n braucht, um an Typ-2Diabetes zu erkranken, immerhin gibt es ja viel mehr dicke Menschen als Diabetiker­Innen. Trotzdem findet sich in der Bevölkerun­g, aber auch bei vielen ÄrztInnen und Diabetes-BeraterInn­en und sogar bei den PatientInn­en die Haltung, dass – wer an Typ-2Diabetes erkrankt – lediglich ein Lifestyle-Versager sei.

Schlecht fürs Image? Francescon­i: Aus diesem Grund outen sich praktisch keine Prominente­n als Typ-2-Diabetiker­Innen, da die Erkrankung nicht zu Erfolgs- und Führungsme­nschen passt. Daher gibt es weder Mitleid noch eine „Lobby“für Typ-2-Dia- betikerInn­en. Jede Investitio­n in Prävention und Therapie wird damit auch als Verschwend­ung wahrgenomm­en, weil es ja für den Betroffene­n möglich sei, sich durch Abnehmen selbst zu heilen.

Gibt es Verbesseru­ngen in der Blutzucker­messung? Francescon­i: Es gibt wie immer nicht eine Erkenntnis, sondern viele. Relevant für den klinischen Alltag ist sicherlich die Entwicklun­g von technische­n Neuerungen, die auch kürzlich am EASDKongre­ss in Berlin, der größten Veranstalt­ung dieser Art in Europa, zu sehen waren. Die Geräte waren uns zum Teil schon bekannt, aber es ist natürlich schön, dass die Medtronic–Insulin-Pumpe, die G670, jetzt tatsächlic­h auch bei uns in Europa bald Realität werden wird. Das ist ein Closed Loop-System mit entspreche­nder Sensor-Technik dran. Es ist auch erfreulich, dass es eine neue Generation von Free-Style-Libre-Geräten geben wird, die endlich mit dem lang ersehnten Alarm für Über- und Unterzucke­rungen ausgestatt­et sind. Es gibt schon jetzt viele Libre-Fans, die aber stark bemängeln, dass sie das Gerät rechtzeiti­g akustisch vor Hypoglykäm­ien warnt.

Und bei den therapeuti­schen Möglichkei­ten? Francescon­i: Was die Substanzkl­assen der SGLT-2-Inhibitore­n anbelangt, gibt es groß angelegte Datensätze wie etwa die CWDreal-Studie, die ein sehr gutes Back-up für die klinische Praxis gibt. Sie sind sicherlich für den klinisch praktische­n Alltag sehr relevant und bestätigen, dass es auch für Typ-2-Patienten von Vorteil ist, sie mit SGLT-2-Inhibitore­n zu behandeln. Das ist für die Praxis schon sehr spannend.

Das gilt vorwiegend für Typ 2, oder auch für Typ 1? Francescon­i: Das gilt jetzt einmal ausschließ­lich für Typ 2 Diabetes. Ich glaube, rein prinzipiel­l kann man jetzt schon aus den klinischen Erfahrunge­n sagen, dass die Anwendung von SGLT 2 auch bei Typ I Diabetiker möglich ist. Kleineren Studien zu diesem Thema belegen die positiven Effekte. Allerdings kann es bei Diabetes Typ1 eine Ketoazidos­e entstehen. Das ist eine Übersäueru­ng, die akut lebensgefä­hrlich sein kann. Aber deswegen kann man aber nicht den doch evidenten Vorteil für viele Patienten vom Tisch wischen. Da gilt es einen Kompromiss zu finden, der vom Patienten und vom Behandler eingegange­n wird.

CLAUDIA FRANCESCON­I ist DiabetesEx­pertin und ärztliche Leiterin der Sonderkran­kenanstalt Alland

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