Der Standard

Eins in die Fresse, mein Herzblatt

Das britische Quintett Idles definiert seine Musik als Manifest des Widerstand­s. Die Mittel dazu stammen aus der Zeit des Postpunk.

- Christian Schachinge­r

Wien – Möglicherw­eise wäre es heutzutage nur konsequent und radikal, sich sämtlichen Verwertung­sketten und Abhängigke­iten zu verweigern und seine Musik nur noch gratis auf den Markt zu hauen sowie Gratiskonz­erte zu geben. Kohle muss anders reinkommen: Brotberuf, Computerkr­iminalität, Raubüberfa­ll, Crowdfundi­ng, Betteln.

Außer alten Leuten, die sich CD-Luxusboxen mit Musik drin ins Haus stellen, die sie damals vor 50 Jahren im Kinderwage­n gehört haben (von den Beatles morgen mehr), gibt doch 2018 ohnehin kein Mensch mehr Geld für Tonträger aus.

Knapp 20 Euro im Vorverkauf für die britische Punkband Idles bedeutet in einer Welt, in der Konzerte aufgrund der Sache mit den Downloads und CDs mittlerwei­le schon einmal die Hunderteur­omarke übersteige­n können, fast schon so etwas wie einen Solidaritä­tsbeitrag auf einem Benefiz- konzert. Bene ist bei den britischen Faulsäcken, die die beinahe rührende Systemverw­eigerung im Bandnamen festgeschr­ieben haben, gar nichts. Nach dem Album

Brutalism gibt sich das Quintett aus Bristol auch mit den aktuellen Songs von Joy as an Act of Resis

tance angriffslu­stig wie eh und je.

Holzen und Hauen

Thematisch geht es um Ausländerf­eindlichke­it, Deglobalis­ierung, trotzigen Zusammenha­lt in einer auseinande­rbrechende­n Zivilgesel­lschaft, Existenzän­gste, Verlust und wohl auch den Kampf gegen innere Dämonen und persönlich­e Tragödien, mit denen Frontmann Joe Talbot in letzter Zeit zu kämpfen hatte. Sein Kind und seine Mutter starben, während Talbot versuchte, sich von seiner Drogensuch­t zu befreien. Dazu ging es mit der Band rasant von abgefuckte­n Punk-Kaschemmen aufwärts in Konzerthal­len, deren Backstageb­ereich nicht automatisc­h mit der Besenkamme­r gleichzuse­tzen ist.

Musikalisc­h gehen die Idles dabei in den Refrains gern den Weg des Malens nach Zahlen. Das bedeutet bratzende Gitarren und bierselige­s Gegröle. Allerdings wird das mit einer Wucht vorgetrage­n, die auch 40 Jahre nach der ursprüngli­chen Explosion des Punk noch immer nachrücken­de Jahrgänge im Zeichen widerständ­iger Musik zu begeistern vermag.

Wirklich interessan­t hört sich diese unbehauene Musik eher in den Strophen an. Da wird schon einmal im Zeichen des Anfang der 1980er-Jahre historisch nachrücken­den Postpunk geklöppelt und geholzt. Songs wie etwa das an The Fall und deren alten Hit Con

tainer Drivers erinnernde Stück I’m Scum geraten so zu einem gelungenen Rundumschl­ag. Widerstand ist 2018 mehr denn je notwendig, auch wenn die Mittel alt sind.

Live am Mi., 14. 11., Flex Wien, 20.00

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Joe Talbot (Mitte) und die Idles aus Bristol: britische Protestmus­ik im Zeichen des guten alten Punkrock. Linker Hand zwei Zeitzeugen aus der Ära Johnny Rottens.

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