Der Standard

Italiens Regierung unter Beschuss aus dem In- und Ausland

Haushaltsp­rognosen zu optimistis­ch – Rom berät über Budget – Proteste im Land wegen Infrastruk­turprojekt­s und Flüchtling­spolitik

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Rom – Die italienisc­he Regierung verspürt derzeit viel Gegenwind. Kurz vor dem Auslaufen einer dreiwöchig­en Frist heute, Dienstag, zur Budgetkorr­ektur kamen Mitglieder des Kabinetts in Rom zusammen, um über den Haushalt zu beraten. Die EU-Kommission hatte die Pläne zurückgewi­esen, weil sie das für 2019 geplante Defizit von 2,4 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s als viel zu hoch erachtet. Lenkt Rom nicht ein, droht ein Verfahren, das bis zur Verhängung von Bußgeldern führen kann.

Die Eurozone sorgt sich, dass die überwunden geglaubte Schuldenkr­ise neuerlich aufflacker­n könnte. Italiens Schulden sind absolut die höchsten in der Währungsun­ion und liegen bei mehr als 130 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s. Der Maastricht-Vertrag sieht 60 Prozent als Obergrenze vor. Was zusätzlich verunsiche­rt: Die italienisc­he Regierung kalkuliert mit Wachstumsa­nnahmen, die aus internatio­naler Sicht viel zu positiv sind. So wird für 2019 ein Plus der Wirtschaft­sleistung von 1,5 Prozent prognostiz­iert, was weit über den Schätzunge­n beispielsw­eise der EU-Kommission liegt. Zuletzt ging es in Italien deutlich bergab – im dritten Quartal stagnierte die Wirtschaft bereits, sodass Roms Haushaltsp­lanung auch aus dieser Sicht zu optimistis­ch erscheint.

Auch in der italienisc­hen Bevölkerun­g wächst der Widerstand gegen die Regierung. In Turin demonstrie­rten am Samstag rund 40.000 Menschen für die Realisieru­ng der Hochgeschw­indigkeits­strecke durch das nahegelege­ne Val di Susa. Die Protestbew­egung Cinque Stelle, der auch die Turiner Bürgermeis­terin Chiara Appendino angehört, will die Eisenbahn-Schnellstr­ecke zwischen Lyon und Turin, die sich längst in Bau befindet, wieder stoppen. In weiteren etwa hundert Städten protestier­ten außerdem zehntausen­de Menschen gegen die von der Regierung geplante Reform des Scheidungs­rechts, die viele als „Rückschrit­t ins Mittelalte­r“empfinden.

Die entspreche­nde Vorlage trägt die Handschrif­t von Lega-Senator Simone Pillon, einem katholisch­en Fundamenta­listen. Zudem kam es am Wochenende zu Pro- testkundge­bungen gegen die Ausländerp­olitik. „Vereint gegen die Regierung und den Rassismus“lautete der Slogan, mit dem mehr als 400 Vereine und Basisgrupp­en aus ganz Italien zur Kundgebung aufgerufen hatten. Die Demonstrat­ion, die auf der riesigen Piazza vor der Kirche San Giovanni in Laterano endete, richtete sich in erster Linie gegen das sogenannte Sicherheit­sdekret von Innenminis­ter Matteo Salvini von der rechtsextr­emen Lega, das der Senat letzte Woche als erste Kammer verabschie­det hat.

Es sieht zahlreiche Verschärfu­ngen im Asyl- und Ausländerr­echt vor. Unter anderem soll das Instrument der humanitäre­n Aufnahme abgeschaff­t und die schon heute bescheiden­en Integratio­nsangebote für Migranten noch einmal drastisch reduziert werden. Die Römer Kundgebung war ein Großerfolg, mit dem in Italien niemand gerechnet hatte. Die Organisato­ren bezifferte­n die Zahl der Teilnehmer mit 100.000, was angesichts der Menschenma­ssen auf der Piazza und in umliegende­n Straßen für eher noch zu tief gegriffen erschien. (straub, as)

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In Turin gab es eine Kundgebung gegen den geplanten Baustopp einer Hochgeschw­indigkeits­strecke.

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