Der Standard

Brexit – das Ende des Sonnensche­ins für London

Was käme als Nächstes nach einem Vertrag des Ausstiegs aus der EU für Großbritan­nien? Die Optionen nach dem Brexit deuten alle auf massive Jobverlust­e und große Einbußen von Wohlstand hin.

- Richard Barfield

Das Vereinigte Königreich und die EU hoffen auf einen Brexit-Vertrag in den kommenden Tagen. Großbritan­nien wird diesen dann seinem Parlament zur Abstimmung vorlegen.

Die britischen Medien berichten obsessiv über „Deal“oder „NoDeal“, sehen dabei aber einen grundlegen­den Punkt nicht: Gibt es eine Mehrheit für einen Austrittsv­ertrag, wird dieser keinen Handelsver­trag mit der EU beinhalten – abgesehen von einer Übergangsp­hase für etwa zwei Jahre. Eine nichtbinde­nde politische Absichtser­klärung wird die Zukunft der Beziehunge­n in dieser Frage umreißen. Die Details dazu müssen in vermutlich jahrelange­n Verhandlun­gen nach dem 29. März 2019 geklärt werden.

Der Brexit hat erstmals seit den 1970ern Handelsfra­gen in die Mitte der öffentlich­en Debatte in Großbritan­nien gerückt. Es ist kein Wunder, dass viele Politiker und Kommentato­ren ihre liebe Not damit haben.

Mein jüngster Bericht „UK Trade and the World Trade Organisati­on“erklärt die Position des Vereinigte­n Königreich­es in Handelsfra­gen nach dem Brexit. Handel ist der Herzschlag jeder Wirtschaft. Ein gesunder Handel bedingt eine gesunde Wirtschaft, die Jobs schafft und öffentlich­e Dienstleis­tungen finanziert. Sinkt das Handelsvol­umen, leiden Jobs und Wirtschaft. In Großbritan­nien hängen sieben bis acht Millionen Jobs am internatio­nalen Handel.

Das Land profitiert von 40 Jahren Integratio­n in den weltgrößte­n, friktionsf­rei funktionie­renden Markt. Der Wert der EU-Mitgliedsc­haft für Großbritan­nien beträgt etwa vier Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­es oder 90 Milliarden Euro pro Jahr (neunmal der jährliche Nettobeitr­ag Londons). 2017 betrug das britische Handelsvol­umen 1400 Mrd. Euro, die Hälfte davon mit den EU-27.

Um erfolgreic­h zu sein, muss der internatio­nale Handel Hürden wie kulturelle Differenze­n, Sprachen und verschiede­ne Rechtssyst­eme überspring­en. Die einleuchte­ndste physische Hürde ist Distanz, weil sie Transportk­osten und Verzögerun­gen bewirkt. Deshalb wickeln die meisten Staaten ihren Außenhande­l mit Nachbarn und nicht auf WTO-Basis ab. Im Jahr 2017 gingen 49 Prozent des britischen Außenhande­ls in die EU-27 (neun Milliarden davon betrug der britische Handel mit Österreich)

Qwurden neun Prozent des Handels mit anderen europäisch­en Länder abgewickel­t, die Freihandel­sabkommen mit der EU haben (u. a. die Türkei, Russland, die britischen Territorie­n und Gibraltar)

gehen zehn Prozent des britischen Handels in andere Drittstaat­en (Südkorea, Singapur, Kanada und Japan).

Die USA sind ein wichtiger Partner für Großbritan­nien (15 Prozent des Handels), es profitiert allerdings von diversen bilaterale­n Verträgen zwischen den Staaten und der EU. Diese würden mit einem Brexit erlöschen.

Das britische Handels-Ökosystem ist komplex: Importe und Exporte hängen voneinande­r ab. Exporte von Gütern in den Bereichen Automobil, Lebensmitt­el und Pharma hängen vom Import von Komponente­n und Rohmateria­lien ab. Auch Dienstleis­tungen und Güterprodu­ktion im Vereinigte­n Königreich hängen voneinande­r ab, genauso wie Dienstleis­tungsberei­che untereinan­der.

Der Brexit erhöht die Handelsbar­rieren, das hemmt den EUHandel Großbritan­niens. Neue Tarife, Zölle und Regulierun­gen werden die Exporte in die EU in Mitleidens­chaft ziehen. Importe aus der EU werden teurer werden. Diese doppelte Attacke wird Jobs und Lebenschan­cen in Großbritan­nien gefährden und Investoren abschrecke­n.

Im Gegenzug könnte es Vorteile geben durch eine vermindert­e Regulierun­g und unabhängig­e Handelsver­träge mit anderen Ländern. Allein, diese Möglichkei­ten sind begrenzt, unspezifis­ch und unsicher. Die britische Regierung glaubt, dass die Benefits tatsächlic­h deutlich kleiner sein werden als die Kosten eines Brexits.

Auf lange Sicht ist es hilfreich, die Brexit-Optionen zu reihen und diese mit den Konsequenz­en zu vergleiche­n. Daumen mal Pi bedeutet ein Prozent weniger britische Exporte ein Minus von 0,2 bis 0,3 Prozentpun­kten im britischen BIP und etwa ebenso viel Minus in der Beschäftig­ung.

Die Folgen für den Arbeitsmar­kt hängen an zwei Optionen/Szenarien: dem WTO-Szenario auf der einen und dem Europäisch­en Wirtschaft­sraum (Norwegen) auf der anderen Seite. Die WTO-Option bedeutete eine substanzie­lle Unterbrech­ung der Zulieferke­tten, neue Tarife, regulatori­sche Hürden und Zollkontro­llen am Tag 1 nach Brexit. Sie würde die Beschäftig­ung um 0,8 bis 1,3 Mil-

QQlionen Jobs reduzieren. Auch eine Europäisch­er-Wirtschaft­sraumOptio­n hätte großen Einfluss auf die Exporte und bedeutete den Verlust von 0,3 Millionen Jobs. Das wäre das Ergebnis eines Austritts aus der EU-Zollunion.

Die Jobverlust­e beschränkt­en sich aber nicht auf Großbritan­nien, sie würden sich vor allem auch in Irland, aber auch in Regionen Deutschlan­ds, der Niederland­e und Belgiens fortsetzen. Viel des britischen Handels mit Österreich hängt an integriert­en Lieferkett­en, die unter neuen Handelshür­den leiden würden.

Die Brexit-Option, die den Schaden bei einem Minimum halten würde, wäre ein Europäisch­er Wirtschaft­sraum kombiniert mit einer Zollunion. Letztere ist essenziell für eine unsichtbar­e Grenze zu Irland.

Die Brexit-Bewegung mag die Abstimmung 2016 gewonnen haben, riskiert aber nun, zerstört zu werden vom Zorn der Menschen, die ihre Jobs und Perspektiv­en verlieren. Dieser Zorn wird wachsen, je länger die Verhandlun­gen dauern und je eher die ökonomisch­en Konsequenz­en für die Wähler sichtbar werden.

RICHARD BARFIELD ist der Initiator der Infoplattf­orm The Brexit Fact Base und derzeit Fellow des Salzburg Global Seminar.

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Im Sommer konnten die Briten noch sorglos an der Tower Bridge Mitagspaus­e machen. Inzwischen sind die Brexit-Verhandlun­gen in der Endphase und verspreche­n düstere, kalte Zeiten für das Land.

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