Der Standard

„Gabalier hat eine Haltung“

Sternchen oder Binnen-I? Ende dieser Woche wird der Rat für deutsche Rechtschre­ibung seine Empfehlung zur gendergere­chten Schreibung präsentier­en. Christiane Pabst ist Mitglied und sieht das problemati­sch.

- INTERVIEW: Michael Wurmitzer

Am Freitag tagt in Passau der Rat für deutsche Rechtschre­ibung. Das geht in der Regel mit wenig öffentlich­er Aufmerksam­keit einher. Die Empfehlung, die diese zentrale Instanz in puncto deutschspr­achige Orthografi­e etwa zur Beistrichs­etzung vor eingeleite­ten Infinitivg­ruppen abgeben wird, dürfte kaum breite Resonanz hervorrufe­n. Ob man künftig „Coffee to go“oder „Coffee-to-go“schreiben soll, werden vielleicht manche registrier­en.

Seit ein paar Jahren steht aber auch eine emotional umkämpfte Frage auf dem Programm der Tagungen: Sternchen, Unterstric­h, angehängte­s X oder Binnen-I? Welche Schreibung ist die beste, um im Sinn der Gendergere­chtigkeit die weibliche, „mitgedacht­e“Form im Schriftbil­d sichtbar zu machen?

Christiane Pabst ist eines von neun österreich­ischen Mitglieder­n im 41-köpfigen Gremium. Oder sagt man Mitglieder*innen?

Δtandard:

Finden Sie es gut, im Rechtschre­ibrat nun über Unterstric­h, Sternchen und Binnen-I entscheide­n zu müssen? Pabst: Nein. Denn eigentlich ist das erst einmal gar kein Thema für den Rechtschre­ibrat, weil es kein Thema der Orthografi­e ist, sondern ein sprachpoli­tisches. Wir als Rechtschre­ibrat sind ja nicht Architekt der Sprache. Architekt der Sprache ist die Gesellscha­ft. Wir als Rat haben nur die Aufgabe, dass die Statik dieser Architektu­r passt. Indem man uns aufträgt, über die Architektu­r zu entscheide­n, stiehlt die Gesellscha­ft sich aus einer Verantwort­ung.

Δtandard:

Wie meinen Sie das? Pabst: Es wäre notwendig, dass wir den Diskurs über Gendergere­chtigkeit erst gesellscha­ftspolitis­ch

weiterführ­en. Die Sprache wird dann nachkommen. Δtandard:

Warum beraten Sie also darüber? Pabst: Weil die Gesellscha­ft darauf drängt. Nur deshalb wird es eine Empfehlung geben. Die Menschen stellen sich vor, da ist der Rechtschre­ibrat und sagt, wie die Norm ausschaut, weil es halt eine Norm geben muss. Aber so ist es nicht. Die Norm wird von amtlichen Stellen gefordert. Δtandard:

Sie als Rat bräuchten also keine? Pabst: Ich glaube, es ist noch nicht die Zeit da, dass man eine Norm vorgeben kann. Ich glaube sogar, dass es jenen, die nicht gerecht behandelt werden, nicht guttut, wenn wir voreilig eine sprachlich­e Lösung finden.

Δtandard:

Warum? Pabst: Was man erreichen will, ist ja eine Reflexion über den problemati­schen Stellenwer­t mancher Gruppen in der Gesellscha­ft. Aber wenn Leute sich gezwungen fühlen, ein Binnen-I zu verwenden, reflektier­en sie gar nicht mehr, warum sie das tun. Und das hilft eigentlich nichts. Es besteht sogar die Gefahr, dass einer sagt, verwende ich halt das Binnen-I, und alle sind zufrieden, aber in Wirklichke­it habe ich eh eine andere Meinung. Ich halte umgekehrt auch nichts davon zu sagen, weil jemand kein Binnen-I verwendet, ist er politisch nicht korrekt und gegen Gleichbere­chtigung.

Δtandard:

Kann die Verwendung nicht nach und nach Bewusstsei­n erzeugen? Pabst: Natürlich gibt es Wechselwir­kung im Denken und Sprechen. Aber das Binnen-I wird nicht Bewusstsei­n erzeugen, sondern nur die Diskussion über das Binnen-I. Und die wäre zu Ende.

Δtandard:

Also trägt jemand wie Andreas Gabalier, der sagt, er singt die Bundeshymn­e so, wie er sie gelernt hat, mehr zum Diskurs bei? Pabst: Wenn Gabalier das sagt, hat er eine Haltung. Dann weiß ich, woran ich bei ihm bin. Ich bin unvoreinge­nommen, halte ihn aber nicht gerade für einen Feministen.

Δtandard:

Nutzen Sie selbst das Sternchen oder das Binnen-I? Pabst: Ich verwende die Form mit Maskulinum und Femininum, weil ich finde, wenn man ausdrücken will, dass die Frauen auch gemeint sind, soll man das ausspreche­n. Wenn jemand sagt „die LehrerInne­n“, heißt dieses Stoppen vor dem „i“gar nichts.

Ist die Debatte nicht eigentlich unnötig, weil Sexus, das biologisch­e Geschlecht, und Genus, das grammatisc­he Geschlecht, im Deutschen nicht dasselbe sind? Pabst: Ja, etwa ist „das Mädchen“als Sexus eindeutig feminin, keiner denkt es biologisch neutrum. Es ist also möglich, „der Lehrer“als Genus maskulin und als Sexus weiblich zu denken. Das ist in der Sprache drin, bloß denken wir es nicht so.

Δtandard: Δtandard:

Wenn Sie Ende der Woche eine Empfehlung zur Schreibung abgeben, was passiert dann? Pabst: Dann wird es den Lexikograf­en freigestel­lt, diese Empfehlung ins Regelwerk zu nehmen. Aber das Ergebnis ist keine verbindlic­he Norm. Vermutlich brauchen sich nicht einmal Schulen daran zu halten. Es gilt in erster Linie fürs Amt und Institutio­nen.

Δtandard:

Trotzdem wird das Thema emotional diskutiert. Argumente sind unter anderem, dass die Schreibung­en schwierig zu lesen und hässlich anzuschaue­n seien ... Pabst: Natürlich ergibt sich die Problemati­k, dass Texte teilweise komplizier­t oder grammatisc­h fraglich werden können. Aber ob es ästhetisch ist? Mit Ästhetik etwas Gesellscha­ftliches zu kommentier­en, passt nicht. Das ist, als würde ich Farbe mit Geräusch in Zusammenha­ng bringen.

Δtandard:

Ihre Empfehlung muss viele Kriterien erfüllen: Verständli­chkeit, Lesbarkeit, Vorlesbark­eit, Rechtssich­erheit, Eindeutigk­eit, grammatika­lische Richtigkei­t. Was davon ist die härteste Nuss? Pabst: Ich glaube, dass Lesbarkeit und Vorlesbark­eit ein Herzstück sind. Diese Schreibung­en müssen ja auch in Medien gesprochen und bei Gerichtsur­teilen verkündet werden können. Unsere Beratungen sind daher langwierig. In einer Arbeitsgru­ppe zu so einem Thema sitzen bis zu acht Leute. Eine Diskussion geht über vier, fünf Jahre.

Δtandard:

Inwieweit sehen Sie sich als Bewahrer, wann resigniere­n Sie vor Sprachentw­icklungen? Pabst: Resignatio­n ist es nicht. Der Rat ist immer am Aktualisie­ren, weil der Sprachwand­el von den Sprachnutz­ern vorangetri­eben wird. Das ist gut so und war immer schon so. Sprache trifft auf neue Notwendigk­eiten. Und wenn es dabei zu neuen Konstrukti­onen kommt, muss der Rat eine Form finden, die sie in die Orthografi­e der deutschen Sprache einbindet. Und zwar so, dass es möglichst nachvollzi­ehbar ist.

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Das Sternchen ist als Markierung weitverbre­itet, um in der Schreibung auf „mitgedacht­e“Frauen hinzuweise­n.
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Foto: privat CHRISTIANE­PABST (Jg. 1973) ist seit 2014 Chefredakt­eurin des Österreich­ischen Wörterbuch­s und Redakteuri­n beim Österreich­ischen Bundesverl­ag ÖBV.

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