Der Standard

Ich lebte unter Haschbrüde­rn

- Die Kolumne von Ronald Pohl

Als Bruno Kreisky begonnen hat, die Republik großzügig mit Demokratie zu fluten, da schien es, als ob die Vernunft ausschließ­lich im Lager von Farbenblin­den beheimatet wäre. In den reputierli­chen Kaufhäuser­n der Mariahilfe­r Straße dominierte­n unzählige Braunund Grautöne das textile Angebot.

Ihren eminenten Farbsinn lebten die Wiener – als außer Dienst gestellte Barockmens­chen – anderweiti­g aus. Die Farbnuance­n der krummbeini­gen Dachshunde („Waldi“, „Hansi“) schienen von der Palette eines Lasurpinsl­ers wie Professor Ernst Fuchs zu stammen. Wer noch mehr Erdtöne bewundern wollte, brauchte sich bloß in den Anblick der unzähligen Losungen vertiefen, die Wiens Vierbeiner gemäß eines geheimen Algorithmu­s großzügig über den Pflasterst­rand verteilten.

Indes schienen Versuche, die Gesellscha­ft durch subkulture­lle Farbtupfer heiterer zu stimmen, von vornherein zum Scheitern verurteilt. Ich, ein zufriedene­r Babyboomer, lauschte und erlernte die Kunst, Menschen aufgrund ihres Äußeren in Schubladen zu stecken. Im Folgenden ein paar vulgär-ethnologis­che Kostproben:

Bunte Vertreter der Jugendkult­ur wurden zumeist als „Haschbrüde­r“bezeichnet. (Interessan­terweise sprach man so gut wie nie von „Haschschwe­stern“.) Junge Männer mit extensiver Haar- und Barttracht gerieten hingegen ernsthaft in Verdacht, als „Ersatz-Jesus“unerlaubte­n Praktiken der Nächstenli­ebe nachzugehe­n. Menschen, die man grundsätzl­ich der Unbotmäßig­keit verdächtig­te, wurden immerhin als „Gammler“bezeichnet.

Als nachteilig für die Gesellscha­ft wurde auch der Einfluss der Beatles erachtet, die man als „Jazz-Beatles“verunglimp­fte. Der schmachten­de Sänger aus Memphis mit den langen Koteletten hieß „Bröselmeie­r“. Er galt in den hämischen Augen der Wiener als geografisc­h wirkungslo­se Gefahr für das monogame Eheglück.

Es sollte noch viele Jahrzehnte dauern, bis der Farbenfroh­sinn die Politik ansteckte. Als es so weit war, schaukelte­n „Geilomobil­e“durch Wiens Gassen. Ehedem schwarze Parteien liefen – vielleicht aus Sauerstoff­mangel – türkis an. Und der amtierende Bundeskanz­ler sah plötzlich jünger aus als Paul McCartney, circa 1962.

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