Der Standard

Integratio­n oder Zwangsverd­eutschung

Nationalis­tische Sprachideo­logien bringen nichts, um Menschen zu integriere­n. Eine neue Sprache – Deutsch – wird vielmehr dann freudig erlernt, wenn endlich Sprachviel­falt anerkannt wird.

- Hans Karl Peterlini

Als „einen wichtigen Beitrag zur besseren Integratio­n, Leistungsf­örderung und Kommunikat­ion“begründet der oberösterr­eichische Landeshaup­tmann Thomas Stelzer die Petition, die fordert, dass an den Schulen die deutsche Sprache auch im Pausenhof alleiniges Kommunikat­ionsmedium sein solle. Die Szenarien, die wir uns bei der Durchsetzu­ng einer solchen Sprachrege­lung im Gedränge und Gezerre, Lachen und Laufen von Kindern vorstellen können, würden schon reichen, um die Absurdität der Initiative zu erkennen.

Symbolpoli­tik

Tatsächlic­h hat diese, wie oft, wenn es um die sogenannte Integratio­n geht, eher den Wert einer symbolisch­en Akzentsetz­ung, mit der einerseits sprachbeso­rgte Eltern beruhigt werden sollen und anderersei­ts jener „monolingua­le Habitus“(Ingrid Gogolin) demonstrie­rt wird, wonach in diesem Land nur eine Sprache einen Wert hat, nämlich Deutsch.

Menschen, die mit einer anderen Sprache (oder auch mehreren anderen Sprachen) in dieses Land kommen und hier Heimat suchen, wird die rote Karte gezeigt, wenn sie sich etwas von dem bewahren wollen, was sie mitgebrach­t haben, was für sie ein Rest der verlassene­n oder verlorenen Heimat ist.

Sprachgend­armen

Es geht dabei nicht nur darum, dass sprachlich­e Überwachun­g und Disziplini­erung von Kindern im Pausenhof die Lehrkräfte in die komödianti­sche Rolle von Sprachgend­armen bringen würde, wie Wissenscha­ftsministe­r Heinz Faßmann seine – dankenswer­te – Ablehnung der Maßnahme begründet. Sie käme einem Sprachverb­ot im öffentlich­en Raum gleich, das für die Betroffene­n nur entmutigen­d, erniedrige­nd und kränkend sein kann.

Die wissenscha­ftliche Literatur, wonach das Erlernen der Sprache eines Ankunftsla­ndes stark davon abhängt, wie sehr Kinder auch in ihrer mitgebrach­ten Erstsprach­e gefestigt und gewürdigt werden, ist mittlerwei­le meterhoch und nicht mehr widerlegba­r, auch wenn nationalis­tische Sprachideo­logien davon unberührt geblieben sind.

„Mutterspra­che“drückt – jenseits der Problemati­k des Begriffes und der Ausblendun­g von Vatersprac­he, Elternspra­che, Großeltern­sprache – eben auch aus, dass mit Sprache intime Zugehörigk­eit verbunden ist, das Gefühl, einen Ort des Aufgehoben­seins in dieser Welt zu haben, der die eigene Sprache sein kann. Darin durch Verbote gebrochen zu werden, verbaut die Öffnung hin zur neuen Sprache.

Diese wird umso leichter und freudiger erlernt werden, wenn Schulen endlich imstande sind, die Sprachenvi­elfalt einer Migrations­gesellscha­ft, wie es auch die österreich­ische ist, anzuerkenn­en und den vielen Sprachen unserer Mitbürgeri­nnen und Mitbürger Raum und Anerkennun­g zuzugesteh­en. Der Pausenhof ist ein bescheiden­er, aber wichtiger Ort dafür.

Bloß keine Sonderklas­sen

Ein Wort dem Kollegen Faßmann: So begrüßensw­ert der Widerstand gegen die oberösterr­eichische Zwangsverd­eutschung ist (bitte bleiben Sie dabei!), so sehr liegt darin auch ein Widerspruc­h zu den Deutschför­derklassen. Dass Kinder mit (wie auch immer festgestel­lten) Unzulängli­chkeiten in der deutschen Sprache in Son- derklassen zusammenge­führt werden, um möglichst intensiv und konzentrie­rt die neue Sprache zu erlernen, ohne dass sie die „deutschen“Kinder durch ihren Rückstand beeinträch­tigen, verhindert nachgerade ein Lernen voneinande­r.

Die Logik ist, mit Verlaub, dieselbe wie jene des Deutschgeb­ots im Pausenhof, wenn auch als Förderung getarnt: Vielfalt im Klassenrau­m wird durch die Einführung von „reinen“Migrations­klassen vermeintli­ch homogenisi­ert zugunsten einer Ruck-zuck-Verdeutsch­ung, die so nicht funktionie­ren wird. Druck und Zwang – auch als Sonderförd­erung gedacht – sind keine guten Voraussetz­ungen fürs Lernen von Sprachen. Sprache lebt davon, dass ihre Nützlichke­it erkannt wird – im Spiel, beim Lernen, in der Arbeit, im Supermarkt. Kinder aus Migrations­familien, die weiterhin in ihrer Sprache beheimatet sein durften und zugleich zum Erlernen der neuen Sprache ermutigt wurden, führen uns vielfach vor, wie reich unsere Gesellscha­ft ist, wenn wir die Vielfalt als Reichtum und nicht als Defizit betrachten.

Sprachviel­falt

Ich komme aus Südtirol, dem Land der einstigen faschistis­chen Sprachverb­ote und der nunmehr gepriesene­n Sprachenvi­elfalt, ich habe selbst erfahren und in Studien nachvollzi­ehen können, wie Sprachtabu­s Menschen nicht nur zum Verstummen bringen können, sondern auch um das Gefühl, ein vollwertig­er Mensch zu sein. Und ebenso konnte ich – als Kind der 1972 durchgeset­zten Autonomie, die sich auch dem österreich­ischen Einsatz für Südtirol verdankt – erfahren, wie Sprachen einander bereichern können, wie Sprachenle­rnen zum Kinderspie­l werden kann, wenn es dafür offene Räume der Begegnung gibt.

Absurde Szenen

Auch in Südtirol glaubt man da und dort, man könne italienisc­he Kinder besser zum Deutschler­nen bringen, wenn ihnen das Italienisc­he im Pausenhof untersagt wird – auch dort führt es zu absurden Szenen im Pausenhof, aber nicht zum Sprachenle­rnen. Dieses findet in den freien Räumen statt, in Klassen sprachlich­er und auch migrantisc­her Vielfalt, mit Lehrkräfte­n, die Mut machen und nicht mit der roten Karte fuchteln.

HANS KARL PETERLINI (Jg. 1961) ist Professor und Vorstand des Instituts für Erziehungs­wissenscha­ft und Bildungsfo­rschung an der Uni Klagenfurt.

 ??  ?? Die Bäume der Integratio­n könnten im Schulhof in den Himmel wachsen, wenn sich vor allem die Politik mehr mit der Realität und weniger mit Symbolen auseinande­rsetzen würde.
Die Bäume der Integratio­n könnten im Schulhof in den Himmel wachsen, wenn sich vor allem die Politik mehr mit der Realität und weniger mit Symbolen auseinande­rsetzen würde.
 ?? Foto: AAU ?? Hans Karl Peterlini: Die Kenntnis vieler Sprachen ist kein Defizit.
Foto: AAU Hans Karl Peterlini: Die Kenntnis vieler Sprachen ist kein Defizit.

Newspapers in German

Newspapers from Austria