Der Standard

Glückliche Kühe durch Streichele­inheiten

Was macht Kühe happy? Und wie kann man ihre Zufriedenh­eit messen? Mit derlei Fragen beschäftig­t sich ein Forschungs­projekt der Veterinärm­edizinisch­en Universitä­t Wien.

- Susanne Strnadl

Nutztiere kommen nicht mit einer Neigung zu menschlich­er Gesellscha­ft auf die Welt: Sie müssen erst daran gewöhnt werden. Das ist umso wichtiger, wenn es sich um Milchkühe handelt, mit denen üblicherwe­ise zweimal am Tag jemand in Kontakt treten muss, um sie zu melken. An der Veterinärm­edizinisch­en Universitä­t Wien befassen sich Forscherin­nen im Rahmen eines Projektes, das vom Wissenscha­ftsfonds FWF gefördert wird, damit, wie man diese Begegnunge­n angenehmer gestalten kann.

„Früher hat man sich bei Studien zum Tierwohl vor allem darauf konzentrie­rt, negative Emotionen der Tiere zu vermeiden“, sagt Stephanie Lürzel vom Institut für Tierhaltun­g und Tierschutz an der Veterinärm­edizinisch­en Universitä­t Wien, „aber die Abwesenhei­t von Angst oder Schmerz allein macht noch kein gutes Leben aus. Wir wollen wissen, wie man Mensch-Tier-Interaktio­nen für die Tiere möglichst angenehm gestalten kann. Im besten Fall könnten sie sich freuen, wenn der Landwirt in den Stall kommt.“

Davon würde auch der betroffene Landwirt profitiere­n: Studien haben gezeigt, dass die Gegenwart eines Menschen, vor dem sich die Kühe fürchten, deren Milchprodu­ktion massiv beeinträch­tigen kann. Auch von Ferkeln weiß man, dass Angst vor ihrem Betreuer zu reduzierte­r Gewichtszu­nahme führen kann.

Aber: Wie macht man sich einer Kuh angenehm? Aus der Verhaltens­forschung ist bekannt, dass die Tiere einander häufig lecken, vor allem an Kopf und Hals. Das kommt für Menschen nicht infrage, stattdesse­n können wir streicheln und freundlich sprechen, und das tun Lürzel und ihre Studentinn­en, allerdings unter strikt wissenscha­ftlichen Bedingunge­n.

Genüsslich­es Halsstreck­en

So sind nicht nur Dauer und Häufigkeit der Behandlung streng reglementi­ert, sondern auch die Stellen, an denen Hand angelegt werden darf: In früheren Studien wurde Streicheln am unteren Hals, am Widerrist und am Rumpf ausprobier­t, wobei die erste Variante das beste Ergebnis zeitigte.

Doch wie stellt man fest, was eine Kuh mag? „Wir gehen davon aus, dass sie das Streicheln genießen, wenn sie den Hals strecken und oft auch die Ohren hängen lassen“, erklärt Lürzel. Weniger augenfälli­g sind die physiologi­schen Vorgänge, die sie und ihre Mitarbeite­rinnen erfassen, vor allem die Herzfreque­nz der Tiere. Die ist aber nicht immer so einfach auszuwerte­n, da ihr Anstieg durch jede Form der Erregung hervorgeru­fen wird: Das kann Stress sein, aber auch Vorfreude. Ganz abgesehen davon, dass körperlich­e Bewegung die Herzfreque­nz ebenfalls in die Höhe treibt. „Wir sind immer noch auf der Suche nach guten Indikatore­n für positive Emotionen“, sagt Lürzel. Deshalb schaut sich ihre Gruppe derzeit neben dem Halsstreck­en und der Ohrpositio­n der Tiere auch an, ob sie den Kontakt zum Menschen suchen und ob sie die Augen offen oder geschlosse­n haben.

„Unsere Untersuchu­ngen und auch die anderer Forscher kommen zu dem Schluss, dass Kühe gern gestreiche­lt werden, aber es gibt auch einige wenige Studien, die dem widersprec­hen“, sagt Lürzel. Man geht davon aus, dass die Erfahrunge­n, die die Tiere vor den Versuchen mit Menschen gemacht haben, dabei mitspielen, inwieweit sie den Körperkont­akt als angenehm empfinden. Erste eigene Versuche von Lürzels Gruppe an 28 Jungrinder­n erga- ben, dass viele sich begeistert streicheln ließen, einige gar nicht und wieder andere vor allem an den damit einhergehe­nden Aktivitäte­n im Stall interessie­rt waren: „Die waren gern mittendrin, aber nicht so wegen des Streicheln­s.“

Bei den Rindern, die gern gestreiche­lt werden, wollen Lürzel und ihre Mitarbeite­rinnen herausfind­en, ob die näheren Umstände ebenfalls eine Rolle spielen: So streicheln sie entweder nur am Hals oder aber „reaktiv“, das heißt, wenn die Tiere bestimmte Körperstel­len präsentier­en, kraulen sie sie dort. Das Team untersucht auch, ob es Unterschie­de gibt, wenn die Kühe sich während der Gewöhnung ans Streicheln frei bewegen können oder währenddes­sen angebunden sind.

Anhaltende Gewöhnung

In Vorbereitu­ng ist dazu ein Versuch in einem norddeutsc­hen Milchviehb­etrieb. Dabei soll erhoben werden, wie anhaltend die Habituatio­n an den Menschen ist: „Zwei Wochen nach der letzten Streichelb­ehandlung testen wir noch einmal die Reaktion der Kühe, um zu sehen, ob ihre Beziehung zum Menschen anhaltend beeinfluss­t wurde“, sagt Lürzel.

Bisher begleiten die Forscherin­nen die Interaktio­nen mit den Rindern immer mit freundlich­em Sprechen. Für nächstes Jahr ist hingegen geplant, den Effekt von Sprache und Berührung nach Möglichkei­t auseinande­rzudividie­ren: „Es wird eine Kontrollgr­uppe geben – eine, mit der nur gesprochen wird, eine, die nur gestreiche­lt wird, und eine, bei der beides zum Einsatz kommt“, führt Lürzel aus. „Wir wollen sehen, inwiefern es die Interaktio­nen beeinfluss­t, wenn verschiede­ne Sinne angesproch­en werden. Außerdem sind scheue Tiere in der Praxis oft nur mit der Stimme zu erreichen.“

Apropos Praxis: „Die Möglichkei­t der Landwirte, positiv auf ihre Kühe einzuwirke­n, wird oft unterschät­zt“, ist Lürzel überzeugt, „dabei kann ihr Umgang mit den Tieren physiologi­sche Reaktionen nach sich ziehen, die sich günstig auf deren Gesundheit auswirken.“Ein wichtiger Faktor ist dabei, dass die Kühe ihren Betreuer kennen. Abzuraten ist hingegen davon, beim Wandern oder sonst wo fremde Rinder zu streicheln: „Das ist ein typischer Fall von ‚Probieren Sie das nicht daheim – oder auf der Alm‘“, rät Lürzel.

 ??  ?? Der Gemütszust­and von Kühen wirkt sich auf die Milchprodu­ktion aus. Landwirte sind daher gut damit beraten, ihre Kühe zu streicheln. Touristen auf der Alm sollten die Tiere allerdings in Ruhe lassen.
Der Gemütszust­and von Kühen wirkt sich auf die Milchprodu­ktion aus. Landwirte sind daher gut damit beraten, ihre Kühe zu streicheln. Touristen auf der Alm sollten die Tiere allerdings in Ruhe lassen.

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