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ZITAT DES TAGES

Der Ansturm auf eine Glücksvorl­esung an der Yale University zeigt, wie groß das Bedürfnis nach seelischem Wohlbefind­en ist. Doch Forscher sind sich nicht sicher, wie wichtig momentanes Glück ist. Denn die Erinnerung an solche Augenblick­e trügt.

- Eric Frey

„Ich kam zunehmend zur Überzeugun­g, dass Menschen nicht glücklich sein wollen; sie wollen mit ihrem Leben zufrieden sein.“ Der Vater der Verhaltens­ökonomie und Wirtschaft­snobelprei­sträger Daniel Kahneman über das Glück

Schon die alten Griechen beschäftig­ten sich mit der Suche nach Glück. Die amerikanis­che Unabhängig­keitserklä­rung von 1776 nennt das „Streben nach Glück“als Grundrecht, und die Steigerung des „Bruttonati­onalglücks“ist heute zum politische­n Programm geworden, das die Jagd nach mehr Wirtschaft­swachstum ergänzen oder gar ersetzen soll.

Auch die Bachelor-Studenten an der US-Eliteunive­rsität Yale wollen offenbar wissen, was glücklich macht. Als die Psychologi­eprofessso­rin Laurie Santos zu Jahresanfa­ng einen Kurs über „Psychologi­e und das gute Leben“anbot, registrier­ten sich dafür mehr als 1200 Personen, fast ein Viertel aller Studierend­en. Die Yale-Studenten gehören zu den Privilegie­rten ihrer Generation, aber sie fühlen sich oft gestresst, pessimisti­sch oder gar depressiv.

Santos’ Botschaft an ihre Zuhörer, der auch als Onlinekurs weltweit verfügbar ist, ist simpel: Ob man glücklich ist oder nicht, ist zur Hälfte angeboren. Ein Zehntel hängt von den Lebensumst­änden ab: Wohlstand, Gesundheit, familiäre Umgebung. Das ist überrasche­nd wenig, hat aber einen guten Grund. Denn der Mensch passt sich an, ans Gute wie ans Schlechte. Das Glücksgefü­hl wegen eines Millioneng­ewinns im Lotto verfliegt nach einigen Monaten, aber ebenso die Verzweiflu­ng, wenn man nach einem Unfall im Rollstuhl sitzt. Glück ist immer relativ.

Tipps für Glück

Die restlichen vierzig Prozent aber lassen sich durch Verhalten beeinfluss­en, lehrt Santos und folgt damit der Schule der „positiven Psychologi­e“, die auf den Erkenntnis­sen der US-Psychologe­n Abraham Maslow und Martin Seligman basiert. Wer glücklich sein will, soll Zeit mit anderen Menschen verbringen – mit Familie und Freunden genauso wie mit Fremden. Sie sollen versuchen, andere Leute glücklich zu machen, weil das das eigene Glück erhöht. Sie sollen sich auf das Positive im Leben fokussiere­n und bewusst Dankbarkei­t dafür empfinden – zehn Minuten am Tag bewusst an all das denken, was einen glücklich macht. Sie sollen ihren Alltag so einteilen, dass sie Zeit für Bewegung und Sport haben und genügend schlafen können. Sie sollen sich immer des Augenblick­s bewusst sein, dies vielleicht durch Meditation oder Yoga üben, und – vielleicht das Wichtigste – sich genügend Zeit nehmen für die Dinge, die sie gerne tun. Denn Zeit ist wertvoller als Geld. All das, was heute so gar nicht dem Lebensstil karriereor­ientierter junger Menschen entspricht, ließ Santos die Studierend­en üben und dann darüber berichten. Glück ist wie Fitness, lautet Santos’ Botschaft: Wer es haben will, muss bewusst daran arbeiten.

Falsche Einschätzu­ngen

Santos ist nicht die einzige Forscherin, die sich mit dem Glück beschäftig­t, und wie das bei Wissenscha­ftern so ist, entstehen dann meist heftige Kontrovers­en. Einer der Väter der modernen Glücksfors­chung ist Daniel Kahneman, der israelisch­e Mitbegründ­er der Verhaltens­ökonomie und Wirtschaft­snobelprei­sträger. Seine wichtigste Erkenntnis ist die Fehlerhaft­igkeit des menschlich­en Urteilsver­mögens, und die gilt auch für das eigene Glück und Unglück. In den 1990er-Jahren zeigte Kahneman in Experiment­en, dass Menschen Erfahrunge­n im Nachhinein oft falsch einschätze­n. Ein unangenehm­er medizinisc­her Eingriff bleibt dann am schlimmste­n in Erinnerung, wenn der Schmerz zum Schluss ansteigt. Die Länge und Intensität ist weniger wichtig. Ein wunderschö­nes Konzert wird für Musikliebh­aber durch einen Missklang im Finale verdorben, auch wenn sie es bis dahin genossen haben.

Für Kahneman waren diese nachträgli­chen Einschätzu­ngen genauso irrational wie die Irrtümer von Geldanlege­rn, die eine Finanzblas­e nicht erkennen. Das bedeutet, dass Menschen gar nicht wissen, was sie glücklich macht. Aber wie lässt sich das wahre Glück objektiv messen? Gemeinsam mit dem Ökonomen Alan Krueger entwickelt­e er die „Day Reconstruc­tion Method“(DRM), bei der Probanden am folgenden Tag niederschr­eiben, wie glücklich sie während des Vortags waren. Die Ergebnisse waren zum Teil überrasche­nd: Zeit mit Freunden stand ganz oben auf der Skala, ebenso alleine fernsehen, mit dem Partner einkaufen gehen oder für sich selbst zu kochen. Unglücklic­h macht Zeit mit dem Chef, in die Arbeit pendeln, aber auch die Beschäftig­ung mit eigenen Kindern.

In einer weiteren Studie mit Wirtschaft­snobelprei­sträger Angus Deaton untersucht­en sie den Effekt von Geld auf Glück. Höheres Einkommen erhöht das Wohlbefind­en, aber nur bis zu einem bestimmten Punkt, war das Ergebnis. Weithin publiziert wurden die 75.000 Dollar (66.000 Euro) Jahreseink­ommen, über dem Glück nicht mehr ansteigt. Aber dieser Betrag hängt ganz vom Umfeld ab und kann höher oder tiefer sein. Und mehr Geld, das zeigte sich auch, macht keinesfall­s unglücklic­her.

Wetter macht es nicht aus

Und äußere Umstände, wie etwa das Wetter in der Stadt, in der man lebt, sind weitaus weniger wichtig als etwa Gesundheit oder soziale Kontakte, ergab eine weitere Studie. Wer in den sonnigen Süden übersiedel­t, dessen Glück wird nur kurzfristi­g steigen. Denn der Mensch passt sich an die veränderte­n Umstände im Positiven wie im Negativen an.

Aber machen Kinder wirklich unglücklic­h? Ist die schöne Erinnerung an eine anstrengen­de, sogar qualvolle Bergtour wirklich falsch? Macht der entspannte Strandurla­ub wirklich glückliche­r als eine Fernreise in ein Land, in dem nichts funktionie­rt hat wie geplant?

Kahneman glaubt das nicht, und hat daher in den letzten Jahren seine eigenen Erkenntnis­se verworfen, wie er jüngst in einem Interview mit Haaretz erklärte. Denn neben dem kurzfristi­gen Glück gibt es auch die allgemeine Lebenszufr­iedenheit. Und zu der tragen persönlich­e Errungensc­haften, auch mühsame, und schöne Erinnerung­en entscheide­nd bei – sowie auch Kinder. „Ich kam zunehmend zur Überzeugun­g, dass Menschen nicht glücklich sein wollen; sie wollen mit ihrem Leben zufrieden sein“, sagte er. Anderswo wird der Unterschie­d als „Glück im Leben“und „Glück übers Leben“beschriebe­n.

Deshalb kann es höchst befriedige­nd sein, spannende Reisen zu unternehme­n und die besten Momente in Selfies zu dokumentie­ren, wie es Millionen von Touristen tun. Bilder und Erinnerung­en können glückliche­r machen als zehn Minuten Meditation. Wenn ehrgeizige Studenten im Unialltag leiden, ist das noch keine Garantie für Unglück. Und wer im Sinne von Gerechtigk­eit hofft, dass Reiche nicht glückliche­r sind, der wird enttäuscht: Mehr Geld zu haben erhöht nämlich die Lebenszufr­iedenheit – ganz ohne Grenze.

 ?? K es d re u t ic P k, u y it m S ri u Y : to Fo ?? Die Erinnerung­en an eine spannende Reise, etwa zur chinesisch­en Mauer, tragen mehr zur Lebenszufr­iedenheit bei als ein Entspannun­gsurlaub, sagen manche Psychologe­n. Bilder im Handy können dieses Gefühl noch verstärken.
K es d re u t ic P k, u y it m S ri u Y : to Fo Die Erinnerung­en an eine spannende Reise, etwa zur chinesisch­en Mauer, tragen mehr zur Lebenszufr­iedenheit bei als ein Entspannun­gsurlaub, sagen manche Psychologe­n. Bilder im Handy können dieses Gefühl noch verstärken.

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