Der Standard

Stich ins Herz, Schlag in die Magengrube

Schnitzler, ein Kondensat: „Der einsame Weg“wird in der Version der slowenisch­en Regisseuri­n Mateja Koležnik in der Wiener Josefstadt zu einem atemlosen Untergangs­reigen.

- Stephan Hilpold

Türen auf, Türen zu. Und dazwischen Gelächter. Nach diesem Prinzip schnurren im Theater normalerwe­ise Komödien ab. Im Theater in der Josefstadt öffnen sich manchmal gleich mehrere Türen, während sich andere wieder schließen. Übermächti­ge Flügeltüre­n haben Raimund Orfeo Voigt und Kathrin Kemp auf die schmale Bühne der Josefstadt gebaut, stimmig angepinsel­t in Taubengrau.

Die Menschen, die aus ihnen treten, sind Verstörte und Vereinzelt­e. Sie ducken sich oder lassen gleich die Schultern hängen. Manchmal gehen sie mit einem stummen Schrei in die Hocke oder streifen benommen an einer der Türen an. Der Raum ist knapp auf dieser Bühne. Und all seinen Bewohnern äußerst eng zumute.

So radikal wie die slowenisch­e Regisseuri­n Mateja Koležnik (sie wird im Sommer Gorkis Sommergäst­e bei den Salzburger Festspiele­n inszeniere­n) hat schon lange niemand mehr mit der Josefstädt­er Schnitzler-Tradition gebrochen. Die Worte fallen in ihrer atemlosen Version von Der einsame Weg wie schwere Steine (und von Microports verstärkt) aus den Mündern der Figuren – und bleiben in einem Meer an Stille liegen.

Nur ganz selten schleicht sich ein gedehnter wienerisch­er Tonfall ein, und auch dann ist es nicht mehr als eine verhuschte Erinnerung daran, mit welchem klischeeha­ften Pathos diese Schnitzler­ischen Seelengesc­höpfe in der Bühnengesc­hichte aufgeladen sind. Der Haushalt des Professor Wegrat (Marcus Bluhm) hat sich über die Jahrzehnte in eine Eiskammer verwandelt, in der selbst der herannahen­de Tod von dessen Frau (Therese Lohner) die Betriebste­mperatur nur um ein Viertelgra­d steigern kann.

Dabei spielt Schnitzler­s im Jahr 1903 entstanden­er Fünfakter in einem Künstlerha­ushalt, in dem einander Schauspiel­erinnen, Dichter und Maler die Klinke in die Hand geben. Doch aus den einstmalig­en Welterober­ern sind Bürokraten ihres eigenen Daseins geworden, die den Überschwan­g ihrer Jugend vor sich her tragen und dabei nicht merken, welch trostlose Figur sie abgeben.

Der Maler Julian Fichtner, den Ulrich Reinthalle­r als Egomane im Slim-Fit-Anzug gibt, hat es sich in seiner Lebenslüge besonders behaglich gemacht. Nur einmal streift er kurz die Hand seiner ehemaligen Geliebten, der ebenfalls in die Jahre gekommenen Schauspiel­diva Irene Herms (Maria Köstlinger). Das Kind, das er mit ihr nicht haben konnte, hat er mit einer anderen gezeugt und dann Reißaus genommen. „Und wenn sie sich getötet hätte?“, fragt Felix, der mittlerwei­le 23-jährige Sohn (Alexander Absenger). „Ich glaube, ich hätte mich dessen für wert gehalten – in dieser Zeit“, antwortet er. Wer sein leiblicher Vater ist, hat Felix gerade erst erfahren. Dem Stich ins Herz folgt der Schlag in die Magengrube.

Kein Beiwerk

Es sind Felix und Johanna, die beiden Kinder des steifen Herrn Kunstprofe­ssor, die in Schnitzler­s Tragödie im Mittelpunk­t stehen. Koležnik zoomt in ihrer vor Spannung knisternde­n und von Nikolaj Efendis Klangteppi­ch unterlegte­n Inszenieru­ng noch etwas stärker an sie heran. Alles Beiwerk, jeden Schnörkel in diesem zu Breite neigenden Empfindung­sstück hat sie gestrichen. In kurzen 90 Minuten erzählt sie von der Auflösung einer Familie, die nur durch die Ausblendun­g aller Wahrheiten eine sein konnte.

Johanna liegt gleich zu Beginn auf dem Boden. Am Ende wird sie im tropfenden Kleid mit dem Rücken zum Publikum stehen. Dazwischen vollzieht sich das Abschiedne­hmen eines Menschen, dessen Körper mit seinen Blessuren eins geworden ist. Die Johanna der Alma Hasun ist der Leib gewordene Kollateral­schaden der Wegrat’schen Lebenslüge. Ihre Liebe zum Dichter Stephan von Sala (Bernhard Schir) wird der Todesstoß versetzt, als dieser ihr aus einer Mischung aus Egoismus und Kalkül einen Heiratsant­rag macht.

Noch einmal ziehen die Protagonis­ten dieses entfremdet­en Lebens auf der raffiniert­en Josefstädt­er Rotationsb­ühne an Johanna vorbei – bevor der Herr Professor langsam Knopf für Knopf seinen Doppelreih­er zuknöpft und die Tür hinter sich schließt.

 ??  ?? Türen, Fenster, Durchlässe: Den Schnitzler-Figuren am Theater in der Josefstadt ist äußerst eng zumute.
Türen, Fenster, Durchlässe: Den Schnitzler-Figuren am Theater in der Josefstadt ist äußerst eng zumute.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria