Der Standard

Brexit- Sorgen auch im Steuerpara­dies

Für Kronbesitz­ungen und Überseegeb­iete ist der anstehende EU-Austritt Großbritan­niens eine Herausford­erung

- Flora Mory

Die Kanalinsel­n vor der Küste Frankreich­s sind ein staatsrech­tliches Kuriosum. Die Inseln mit den niedrigen Steuersätz­en sind nicht Teil des Vereinigte­n Königreich­s, gehören aber dem englischen Königshaus, das ihre Auslandsbe­ziehungen bestimmt. Trotzdem wurden die Inselbewoh­ner bei dem BrexitRefe­rendum nicht nach ihrer Meinung gefragt. Der Brexit trifft sie nun unmittelba­r, wie auch die 20 britischen Überseegeb­iete – etwa Gibraltar, Bermuda oder die Falklandin­seln, die auch im Besitz der englischen Krone sind.

Als Großbritan­nien 1973 der EU beitrat, handelten die Briten für manche der Gebiete einen Zugang zum europäisch­en Binnenmark­t aus. Wenn London am 29. März 2019 den Austritt aus der EU vollzieht, verlieren diese Abmachunge­n ihre Gültigkeit.

Auf den Falklandin­seln vor Argentinie­n hängt die Hälfte der Wirtschaft von zollfreien Tinten- fischexpor­ten nach Spanien ab. Auf den Kanalinsel­n ist es der Finanzsekt­or, der knapp 40 Prozent ausmacht. „Zum Glück“, sagt Barry Paint, Präsident der Fischereio­rganisatio­n und Regierungs­mitglied von Guernsey, denn es seien keine guten Zeiten mehr für Fischer. Die EU habe den Briten zu viele, unerfüllba­re Auflagen aufgezwung­en. Dagegen galt es sich zu wehren. „Doch die Aussicht ist ungewiss, denn der Großteil unseres Fischexpor­ts geht nach Europa“, sagt Paint dem Δtandard.

Ungewisshe­it herrscht auch auf der Nachbarins­el Jersey. Auf einem Drittel der Inselfläch­e werden „Jersey Royals“angebaut. Die Kartoffel, der Stolz der Insel, wird im Jänner gelegt und im Frühjahr geerntet – genau dann, wenn der EU-Austritt Großbritan­niens bevorsteht, auf den sich manche der Bauern gefreut hatten.

Doch wegen des Brexits sei ein Großteil der polnischen Erntehelfe­r nicht mehr auf die Insel zurückgeke­hrt, bestätigt John Garton, der sich darum kümmert, die Warenzeich­enlizenz der Kartoffel aufrechtzu­erhalten.

Der Finanzsekt­or auf den Kanalinsel­n und im Steuerpara­dies Gibraltar dürfte vorerst nicht unter dem Brexit leiden. Denn Finanzdien­stleister haben Zugang zum EU-Markt, weil sie europäisch­e Standards erfüllen. „Doch sollte sich die Meinung der EU ändern, könnten die Offshore-Zentren nun schneller ausgeschlo­ssen werden“, sagt Alastair Sutton, EURechtsex­perte und ehemals politische­r Berater, dem Δtandard.

Chaos-Brexit befürchtet

Der Deal, den Premiermin­isterin Theresa May und Brüssel vergangene Woche ausgehande­lt haben, soll den Status quo für die Kronbesitz­ungen und Überseegeb­iete zumindest bis 2020 erhalten. „Dass das britische Parlament dem Abkommen zustimmt, erscheint unwahrsche­inlich“, sagt Sutton. Deshalb bereiten sich die Gebiete auch auf einen Brexit ohne Deal vor. Gibraltar, der sogenannte Felsen an der Südspitze Spaniens, ist in der EU und genießt freien Dienstleis­tungs-, Kapital- und Zahlungsve­rkehr im EU-Binnenmark­t. Als einziges Überseegeb­iet nahm es am BrexitRefe­rendum teil. 96 Prozent haben für einen Verbleib Großbritan­niens in der EU gestimmt – so viel wie nirgendwo sonst.

Die Hälfte der Arbeitskrä­fte in Gibraltar kommt aus benachbart­en spanischen Regionen mit hoher Arbeitslos­enquote. Zigaretten sind im Steuerpara­dies um 40 Prozent billiger und werden im großen Stil mit Fahrrädern über die Grenze geschmugge­lt. Mit einem Deal will Spanien den Tabakschmu­ggel stoppen und mehr Transparen­z einfordern, um Steuerfluc­ht zu bekämpfen.

Gibraltar braucht ein Abkommen, um sich als Standort für seine vielen Glücksspie­lfirmen zu bewähren. Ein Chaos-Brexit wäre für beide Seiten folgenreic­h. Wie in Irland, sagt Sutton, braucht diese neue Grenze ein langfristi­ges Abkommen, zu dem sich der Brexit-Vertragsen­twurf auch bekennt.

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Foto: Reuters / Russel Boyce Viele Franzosen steuern Saint Peter Port auf Guernsey an.

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