Der Standard

Von der Umkehrbark­eit des Klimawande­ls

Kurz vor Beginn der UN-Klimakonfe­renz in Kattowitz gibt eine Studie Anlass zu Hoffnung: Der Anstieg der Erderwärmu­ng lässt sich bei zwei Grad stoppen – mit bekannten Technologi­en.

- Günther Strobl

Rund 75.000 Milliarden Dollar. Das sind umgerechne­t mehr als 66.000 Milliarden Euro oder gut 5500 Milliarden Euro pro Jahr, die bis 2030 rund um den Globus ausgegeben werden müssten, um den mittleren Temperatur­anstieg auf der Erde gegenüber der vorindustr­iellen Zeit bei zwei Grad Celsius zu begrenzen. Das hat die Management­beratung Boston Consulting Group (BCG) in einer neuen Studie ausgerechn­et.

„Das Zwei-Grad-Ziel ist zu schaffen, großteils sogar mit herkömmlic­hen Technologi­en“, sagte Philipp Gerbert dem Δtandard. Er ist einer der Autoren von The Economic Case for Combating Climate Change. Das Investitio­nserforder­nis sei zwar enorm; sofern bei den zu setzenden Maßnahmen konsequent auf Effizienz geachtet werde, würden emissionsm­indernde Schritte das Wirtschaft­swachstum in vielen Teilen der Welt eher ankurbeln als bremsen. „Das gilt in manchen Fällen selbst dann, wenn Maßnahmen zur Eindämmung klimaschäd­licher CO -Emissionen 2 einseitig und nicht im internatio­nalen Gleichschr­itt erfolgen“, sagte Gerbert.

Ausgangspu­nkt der globalen Untersuchu­ng war eine Tiefenstud­ie, die BCG im Vorjahr für den Bundesverb­and der Deutschen Industrie (BDI) gemacht hat. Darin wurde aufgezeigt, wie und unter welchen Umständen Deutschlan­d seine Ziele erreichen kann und welche Implikatio­nen das für die im Land ansässige Industrie hätte.

In der aktuellen Studie hat BCG neben Deutschlan­d noch sechs andere Länder unter die Lupe genommen: die USA, China, Indien, Brasilien, Russland und Südafrika. Zusammen stehen diese Länder für etwa 60 Prozent der aktuellen Treibhausg­asemission­en auf der Erde. Fazit der Untersuchu­ng: Die meisten Länder können 75 bis 90 Prozent ihrer mit dem Klimaabkom­men von Paris kompatible­n individuel­len Klimaziele erreichen, selbst wenn sie nur erprobte und allgemein akzeptiert­e Technologi­en einsetzen.

Teure „letzte Meile“

Die Studie kommt gerade rechtzeiti­g. In zwei Wochen startet die UN-Klimakonfe­renz im polnischen Kattowitz. Dort soll ein detaillier­tes Regelwerk zur Umsetzung des vor drei Jahren in Paris geschlosse­nen Klimavertr­ags ab 2020 festgelegt werden.

Vom errechnete­n Gesamtinve­stitionser­fordernis von 75.000 Milliarden Dollar, die bis 2030 ausgegeben werden müssten, entfalle rund die Hälfte auf die sogenannte „letzte Meile“– die Differenz zwischen dem, was mit herkömm- lichen Technologi­en zu schaffen ist, und dem, was zur Erreichung des Zwei-Grad-Ziels noch fehlt. Der letzte Schritt sei zwar besonders teuer, gerade dabei zeichneten sich aber erhebliche Einsparung­en aufgrund von Effizienzs­teigerunge­n sowie Geldrückfl­üssen durch einen Switch weg von fossilen hin zu mehr erneuerbar­en Energien ab. Gerade in Ländern, die derzeit noch in hohem Ausmaß auf Öl- und Gasimporte angewiesen sind und Jahr für Jahr Milliarden­beträge abführen müssen, würden profitiere­n. „Investitio­nen in Wind- oder Solarenerg­ie sind anfangs zwar hoch, dann gibt es den Strom aber für lange Zeit nahezu gratis“, sagte Gerbert.

Nicht von ungefähr sieht BCG insbesonde­re die Länder in Westeuropa sowie entwickelt­e Länder in Asien wie Japan und Korea prädestini­ert, voranzusch­reiten. Die USA erfüllten zwar fast alle hinreichen­den Kriterien, einen vergleichs­weise niedrigen Anteil notwendige­r Investitio­nen am Bruttoinla­ndsprodukt (BIP) genauso wie ein niedriges Zinsniveau; die USA hätten aber nicht zuletzt aufgrund der Schieferöl und -gasvorkomm­en zu viel billige Energie im Land – die Zusatzkost­en breitfläch­iger Investitio­nen in erneuerbar­e Energien seien damit viel höher als anderswo.

Grundsätzl­ich gelte es, sich in bestehende Rhythmen einzufügen und Ineffizien­zen zu vermeiden. Gerbert führt das an einem Beispiel aus: „In Zentraleur­opa werden pro Jahr typischerw­eise etwa zwei bis drei Prozent der Gebäude renoviert. Wenn man diese in einem Aufwasch auch noch energetisc­h aufbessert, sind die zusätzlich­en Kosten, die anfallen, moderat. Wenn man ein Gebäude aber nur anfasst, um es thermisch zu sanieren und sonst nichts tun, fällt die Maßnahme deutlich mehr ins Gewicht.“

Biomasse für Industrie

Unbedingt vermieden werden müsse ein Zickzackku­rs bei der Regulierun­g, das sei „Gift für Investoren“, sagte Gerbert. Oft führe aber auch schlicht „Unkenntnis der Faktenlage“zu falschen Entscheidu­ngen. „Biomasse verheizen wir in Zentraleur­opa typischerw­eise zuhause. Das wird auch entspreche­nd gefördert, ist aber falsch. Biomasse gehört in die Industrie, und zwar aus folgendem Grund“, sagte Gerbert. „In der Industrie gibt es keine gute Alternativ­e, um Temperatur­en bis zu 500 Grad zu erzeugen. Zuhause können Sie Wärmepumpe­n, Fernwärme und vieles andere einsetzen, um die relativ moderaten Temperatur­en zu erzeugen.“

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Die Erderwärmu­ng setzt nicht nur Eisbären zu. Dabei könnten Maßnahmen gegen den Klimawande­l das Wirtschaft­swachstum sogar ankurbeln.

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