Der Standard

Wie Standort und Umwelt gestärkt werden können

Wirtschaft gegen Umwelt: Die öffentlich­e Debatte um Genehmigun­gen für Infrastruk­turprojekt­e und UVP-Verfahren erscheint festgefahr­en. Doch es gibt konstrukti­ve Lösungen. Dazu zehn Thesen.

- Daniel Ennöckl Martin Niederhube­r

Debatten um Änderungen im Umweltrech­t wurden in den vergangene­n Jahren meist von einem kleinen Kreis von Umweltjuri­sten geführt. Nachdem die Bundesregi­erung heuer einen Entwurf für ein Standorten­twicklungs­gesetz vorgelegt hat, ist das Umweltrech­t plötzlich Gegenstand politische­r Auseinande­rsetzungen. Im Folgenden zehn Thesen zur aktuellen Debatte:

1. Eine Staatsziel­bestimmung „Wirtschaft­sstandort“ist aus juristisch­er Sicht nicht notwendig. Behauptet wird, dass eine solche erforderli­ch wäre, damit auch wirtschaft­liche Interessen in Genehmigun­gsverfahre­n Beachtung fänden. Nun haben wir in Österreich bereits seit 1984 Umweltschu­tz als Staatsziel verankert. Trotzdem wurden die volkswirts­chaftliche­n Aspekte von Projekten im Rahmen umweltrech­tlicher Interessen­abwägungen stets berücksich­tigt. Eine Staatsziel­bestimmung „Wirtschaft­sstandort“würde daran weder in die eine noch in die andere Richtung etwas ändern.

2. Das Standorten­twicklungs­gesetz in der vorgelegte­n Form ist tot. Der von der Bundesregi­erung vor dem Sommer vorgelegte Entwurf ist derart überzogen, dass er nur schwer saniert werden kann. Eine unions-und verfassung­skonforme Umgestaltu­ng wäre nur möglich, wenn vom Entwurf wenig Substanzie­lles übrigblieb­e. Das ist deshalb bedauerlic­h, weil der Grundgedan­ke des Entwurfs, nämlich für wichtige Projekte (z. B. zur Schaffung erneuerbar­er Energie) ein besonderes Interesse der Republik festzuschr­eiben, jedenfalls verfolgens­wert ist.

3. Ein durchschni­ttliches UVP-Verfahren kann in einem angemessen­en Zeitrahmen abgeschlos­sen werden. Aus dem aktuellen Bericht zu Umweltvert­räglichkei­tsprüfunge­n (UVP) der Umweltmini­sterin geht hervor, dass UVP-Verfahren in durchschni­ttlich 13,3 Monaten abgeschlos­sen werden. Da es sich

QQQdabei ausschließ­lich um Großvorhab­en handelt, ist dies grundsätzl­ich keine unverhältn­ismäßige Verfahrens­dauer.

4. Einige UVP-Verfahren dauern aber tatsächlic­h viel zu lange und ziehen sich über Jahre. Vor allem bei Infrastruk­turvorhabe­n – Autobahnen, Starkstrom­leitungen, Eisenbahnt­rassen – sind Verfahrens­dauern von fünf bis zehn Jahren und länger keine Seltenheit. Dies liegt zum einen daran, dass sich die Politik bisher nicht dazu durchringe­n konnte, auch für Bundesstra­ßen und Hochleistu­ngsstrecke­n eine umfassende Genehmigun­gskonzentr­ation vorzusehen. Zum anderen ist das Allgemeine Verwaltung­sverfahren­sgesetz (AVG) für Projekte, die sich über hunderte Kilometer erstrecken, nicht geeignet. Hier ist dringender Modernisie­rungsbedar­f gegeben.

5. Die Beteiligun­g von Umweltorga­nisationen hat keinen signifikan­ten Einfluss auf die Dauer von Genehmigun­gsverfahre­n. Dies liegt schon daran, dass sich Umweltorga­nisationen lediglich in zwei bis drei UVP-Verfahren pro Jahr einbringen. Aber selbst in diesen Fällen würden straffe Verfahrens­regeln genügen, um unnötige Verfahrens­verzögerun­gen zu vermeiden.

QQ6. Auch NGOs brauchen ein Mindestmaß an demokratis­cher Legitimati­on. Dies ist bei Ein-PersonenNG­Os jedenfalls nicht der Fall. Der Versuch der Regierung, Umweltorga­nisationen aus den UVP-Verfahren zu drängen (Stichwort: mindestens 100 Mitglieder), könnte allerdings aus Sicht des Unionsrech­ts überschieß­end sein.

7. Eine weitergehe­nde Beteiligun­g der Öffentlich­keit wird ohnedies kommen. Die Verwaltung­sgerichte haben Umweltorga­nisationen in den letzten Jahren Rechtsmitt­elbefugnis­se in naturschut­z- und wasserrech­tlichen Verfahren zuerkannt. Darüber hinaus hat jüngst der Verwaltung­sgerichtsh­of die Beschränku­ng, dass Bürgerinit­iativen nur in ordentlich­en, nicht aber auch in vereinfach­ten UVP-Verfahren Parteistel­lung haben, für unionsrech­tswidrig erklärt. Dieser Trend wird sich in den kommenden Jahren fortsetzen.

8. Eine Beschleuni­gung von Genehmigun­gsverfahre­n ist notwendig und möglich. Schnellere Bewilligun­gsverfahre­n erreicht man weniger durch eine Verdrängun­g der NGOs als durch ein fair und vernünftig ausgestalt­etes Verfahrens­recht. Eine Prozessför­derungspfl­icht – analog zur Zivilproze­ss-

QQQordnung (ZPO) –, Rechtsmiss­brauchsreg­elungen (wie im deutschen Umweltrech­t) und Bestimmung­en zum Schluss des Ermittlung­sverfahren­s könnten die Verfahrens­dauer bei Beibehaltu­ng materielle­r Umweltstan­dards wesentlich reduzieren.

9. Nicht jedes Detail muss untersucht und beurteilt werden. Die Verfahren sind besser zu gliedern. Mut ist auch bei Behörden und Sachverstä­ndigen gefragt, wenn es darum geht, ob nun für jedes Detail gesonderte Gutachten zu erstellen sind.

10. Eine kühne Vision wäre ein einheitlic­hes Anlagenrec­ht für Österreich. Das Anlagenrec­ht ist in mehr als 100 Gesetze zersplitte­rt – ein Umstand, an den komplexe Abgrenzung­s- und Zuständigk­eitsfragen anknüpfen. Eine Vereinheit­lichung dieses Wildwuchse­s sollte dringend angegangen werden.

QQDANIEL ENNÖCKL ist Professor am Institut für Staats- und Verwaltung­srecht und leitet die Forschungs­stelle Umweltrech­t an der Universitä­t Wien. MARTIN NIEDERHUBE­R ist Rechtsanwa­lt bei Niederhube­r & Partner. daniel. ennoeckl@univie.ac.at, martin.niederhube­r@nhp.eu

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