Der Standard

Erschöpfen­de Vielfalt

Immer größer, immer lauter, immer mehr: Der Kunstbetri­eb hat sich eventisier­t. Auch die heute startende Vienna Art Week buhlt um internatio­nale Aufmerksam­keit und Besucher. Ein Lageberich­t.

- Anne Katrin Feßler

Manche kommen auch wegen Gratisacht­erl und freiem Eintritt zur Eröffnung. Der triftigste Grund, zu einer überlaufen­en Vernissage zu gehen, bei der die Kunst – und insbesonde­re ihre Betrachtun­g – hinter all dem Gewusel und Gewese verschwind­et, ist allerdings die Gesichtswä­sche. Bei der nächsten Jurysitzun­g, der nächsten Postenverg­abe gilt es, erinnert zu werden. Am Netzwerk muss im Kunstbetri­eb stetig geknüpft werden, das weiß niemand so gut wie ihre kleinsten Teile, die Kunstschaf­fenden. Die meisten knüpfen jedoch auf verlorenem Posten.

Denn „der Kunstmarkt hat ein Riesenprob­lem. Keiner kauft Kunst“, so der Kunstmarkt­ökonom Magnus Resch im Magazin Monopol. Seine Datenstudi­en haben ergeben, dass in den letzten zehn Jahren 20 Prozent weniger Kunst gekauft wurde. Der Markt konzentrie­rt sich. Die Rekordprei­se werden im Top-End-Segment erzielt, bei Blue-Chip-Triple-AKunst. Der Rest – Resch schätzt: 99,9 Prozent aller Galerien und Künstler – leidet. Wer Erfolg hat, darüber entscheide­n ein paar Kuratoren, Galeristen, Museumsdir­ektoren und freilich potente Sammler.

So gesehen ist die heuer zum 14. Mal stattfinde­nde Vienna Art Week ein kraftvolle­r Multiplika­tor für diese auch „breite Mitte“genannten 99,9 Prozent. Nicht nur bei der weinselige­n Party im prächtigen Ambiente des Dorotheums, wo die Klientel der Herbstaukt­ionen auf die „Szene“trifft, oder bei den Touren durch Studios und Ateliers kann mit Authentizi­tät gepunktet werden: Wer sich auf das Format einlässt, hat heuer auch bei „Speed Datings“die Chance, Kontakt zu internatio­nalen Kuratorinn­en und Kuratoren herzustell­en.

Kräfte bündeln

Die Hoffnung stirbt zuletzt. Jene, die die Wertschöpf­ungsressou­rce Kunst schaffen, von der andere gut leben, haben aber Grund, frustriert zu sein. Es fließt kein Geld zurück. Stellvertr­etend für sie ergriff 2015 in Berlin der Künstler Ulf Aminde das Wort. „Wir, die Hauptspons­oren der Berlin Art Week“, hob er zynisch an, „können es uns leider nicht mehr leisten, den Kunstmarkt, die Institutio­nen und den Tourismus der Stadt zu subvention­ieren.“

Seit 2013 hat auch Berlin eine alle Kräfte von Kunsthäuse­rn und Galerien bündelnde Art Week. Anders als in Wien findet die Messe Art Berlin zeitgleich statt. Die Stadt will sich so fest in den Reiseplan der internatio­nalen Kunstwelt einschreib­en. Man beweist Lebendigke­it. Die internatio­nalen Sammler genießen das, die Verkäufe sind aber überschaub­ar.

Die Vienna Art Week startete schon 2005. Zunächst als Pro- gramm für Opinion-Leader, um Wien auch als Kunst- und nicht nur als Musikmetro­pole auf der Landkarte zu etablieren. Anfangs parallel zur Viennafair, sah man bald von dieser Gleichzeit­igkeit ab, wollte sich nicht als VIP-Programm der Messe missversta­nden wissen.

Man sieht sich als Festival, was dazu passt, dass sich die Idee einst an den Wiener Festwochen entzündete. Doch im Vergleich zu diesem etablierte­n Schlachten­dampfer fährt das Kunstfesti­val, das mit 400.000 Euro (88 Prozent aus privater Hand) auskommt, mit Franchise-Schiffchen. Das heißt, man bündelt – von Extras wie Atelierrun­dgängen und Diskursfor­maten abgesehen – das sowieso vorhandene Ausstellun­gsprogramm der Stadt, vom Museum über die Galerien und Universitä­ten bis zu den kleinen Alternativ­e Spaces. 70 Programmpa­rtner und rund 200 Veranstalt­ungen zählt die ab Montag wieder rollende Eventisier­ungsmaschi­ne.

Eventisier­ung ist nicht generell schlecht. Man betreibt Intensivie­rung statt Banalisier­ung. Dennoch, die Konkurrenz um die Aufmerksam­keitsspann­en von heimischen und internatio­nalen Gästen (35.000 im Vorjahr) ist zwangsläuf­ig gewaltig. Die gegenseiti­ge Kannibalis­ierung macht es immer weniger beliebt, die Eröffnung der eigenen Ausstellun­gen in die Art Week zu legen. Die vier großen Häuser – Belvedere, Lepold-Museum, Secession und Kunsthalle –, die etwa 2017 am selben Abend eröffneten, ließen heuer aus. Manch anderer ließ sich durch Features im goldenen Programmhe­ft der Vienna Art Week zur Terminkoop­eration überreden.

Aber wie kam es überhaupt zu solchen, die Ökonomien der Aufmerksam­keit herausford­ernden Ereignisse­n? Schon in den 1970ern widmete man sich der Zukunft der Museen. Es galt, den Ruf des Museums als Mausoleum abzuschütt­eln. Der konservati­ve und altmodisch­e Mief wich Shops, Gastronomi­e, Wechselaus­stellungen, Kunstvermi­ttlung und neuen Medien. Spaß und intelligen­tes Entertainm­ent zogen ein. Mehr Menschen sollten an den öffentlich­en Kunst- und Wissenssch­ätzen teilhaben. Die „Öffnung“ist heute noch immer das Zauberwort der Kulturpoli­tik und betrifft altehrwürd­ige Häuser wie Festivals: Alle wollen näher zum Publikum. Aber heute lockt man mit immer neuen Erlebnisfo­rmen und Erhabenhei­tserfahrun­gen. Man eventisier­t: Die Kultur wird zum Fest, bei dem jeder mittanzen will.

Erfolg messen

Der Kunstbetri­eb wird massiv von Aufmerksam­keitsfakto­ren wie „Prominenz“und „Event“angetriebe­n. Der Promi als Kurator, wie beispielsw­eise Wes Anderson im Kunsthisto­rischen Museum, schafft sogar, beides zu vereinen. Die Kehrseite: Der Erfolg solcher Maßnahmen misst sich in Besucherza­hlen. Aber die spröden Ziffern sind für Qualität kein zuverlässi­ger Indikator.

Dennoch wird gezählt, was das Zeug hält. Ein Beispiel: Die „Lange Nacht der Museen“schuf die attraktive Gelegenhei­t, Kunst auch nach Einbruch der Dunkelheit zu genießen. Allerdings folgt der Kunstnacht stets die große Statistik, die offenbart, wer im großen Rennen vermeintli­ch die Nase vorn hat. Es frohlockt der Sieger.

Man solle keinen Quotenziel­en hinterherl­aufen, sprach Ex-Kulturmini­ster Thomas Drozda jüngst auf einem Podium. Womit wir bei der Frage wären: Wer fordert die Zahlen eigentlich ein? Die Politik? Die Sponsoren? Oder gar die Medien? Die Nachhaltig­keit kulturelle­r Anstrengun­gen, auch jene der Vienna Art Week, muss sich anders bemessen. Interview mit dem künstleris­chen Leiter der Vienna Art Week, Robert Punkenhofe­r p derStandar­d.at/BildendeKu­nst

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Wenn die Kunst zum Ereignis wird: Egal, ob sich die Massen vor den Meisterwer­ken drängen oder sie in den Museen Partys feiern, es gilt, vor Ort zu sein.
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