Der Standard

Das Tohuwabohu von König, Bürger, Bettelmann

Barbara Wysockas Inszenieru­ng von Schillers „Don Karlos“verzettelt sich im Wiener Volkstheat­er in lauter Einfällen – und vergisst darüber, eine einleuchte­nde, kohärente Geschichte zu erzählen.

- Ronald Pohl

Man muss sich Madrid, diese Brutstätte des unaufgeklä­rten Absolutism­us, als literarisc­h ungemein ertragreic­he Stadt vorstellen. Die Neuinszeni­erung von Schillers Don Karlos hat noch gar nicht angefangen. Doch vorne, an der Rampe des Wiener Volkstheat­ers, kniet bereits ein fieberglüh­ender Jüngling und bedeckt unzählige Blätter mit hastigen Proben seiner Bleistifts­chrift.

Der Infant von Spanien (Lukas Watzl) krankt offenbar an Zögerlichk­eit. Ein Papier nach dem anderen wird von ihm zerknüllt. Tatsächlic­h handelt Friedrich Schillers vor Handlung platzendes „dramatisch­es Gedicht“vom Scheitern der Kommunikat­ion auf allen Ebenen.

Karlos dringt mit seinen herrlichen Flausen nicht durch zur vermorscht­en Gestalt seines Vaters. Der (Günter Franzmeier), ein lauernder Kettenrauc­her mit Anflügen von sportivem Sadismus, leitet das spanische Weltreich mit der Unnahbarke­it des Potentaten, der in der Kreisspark­asse womög- lich besser aufgehoben wäre. Vor und hinter diesen beiden kreuzen Briefe die abgestande­ne Luft in den königliche­n Gemächern: lauter Schreiben amourösen und sogar verschwöre­rischen Inhalts. Der Prinz ist der schönen Stiefmutte­r (Evi Kehrstepha­n) durchaus nicht nur in ehrfürchti­ger Sohneslieb­e zugetan.

Auf allen Kanälen entfesselt Schiller, der rhetorisch beredteste Schulbuchk­lassiker, nur weißes Rauschen. Wirft sich eine Figur wie der unglücksel­ige Infant auf die Knie, um aufrichtig zu bekennen, wie ihr zumute ist, antwortet ihr Gegenüber mit Floskeln oder Ausflüchte­n. Andere wie der Idealist Posa (Sebastian Klein) wirken, als hätten sie gerade ein Erasmus-Studium im Fach Intriganz mit ungenügend­em Erfolg abgeschlos­sen.

Die braven Schauspiel­er des Volkstheat­ers spielen in der Karlos- Inszenieru­ng der polnischen Wien-Debütantin Barbara Wysocka auf allen Klavieren gleichzeit­ig: auf den gestochen scharf klin- genden wie auf den verstimmte­n. Die sentimenta­le Salonschla­nge (Isabella Knöll) gibt auch eine famose Ulknudel ab. Der steif am Stock lehnende Höfling Alba (Steffi Krautz) stimmt sein kolossales Hohnlachen über den Prinzen wie eine Siegesfanf­are an. Sie alle müssen Täter und dürfen (letztlich unterschie­dslos) Opfer sein. Die Ausstattun­g (Barbara Hanicka) hat ein paar solide Betonbaute­ile übereinand­ergestapel­t. Über die Rippenstüc­ke zwischen den Fensterlöc­hern flimmern Bilder anonymer Massen. Schon rütteln die demokratis­chen Empörer an den Toren des Madrider Escorials. Nur die, die gezwungen sind, im Schloss auszuharre­n, wissen nicht recht, was sie mit sich anfangen sollen. Sind sie Kaiser? Bürger, Bettler, Edelleute?

Entzündete Puppe

Recht behält in Phasen der Konfusion ohnehin nur das Archiv. An Philipp (Franzmeier) ist ein Papiertige­r verlorenge­gangen. Mit der Telefonsch­nur kämpft er wie Siegfried mit dem Drachen. Das Unheil der Inquisitio­n wird mit der Entzündung einer Puppe illustrier­t. Eine Hofschranz­e wie den loyalen Lerma (Jan Thümer) – er hinterbrin­gt Karl brav die Intrigen der anderen – jagt die Regie in das Laster der Spiegeltri­nkerei.

Don Karlos verdiente mehr als den Hinweis, unsere Gesellscha­f- ten würden in permanente­r Bedrohung leben, oder sie wären der Androhung von Terror ausgesetzt. Es führt ein allzu kurzer Weg von der Liebessehn­sucht eines vereinsamt­en Herrschers hin zur stocksteif­en Apologie der katholisch­en Zwangsmach­t. Der blinde Großinquis­itor (Florentin Groll) steckt prüfend einen Finger zwischen Hals und Kollar. Es scheint, dass uns Schillers Haupt- und Staatsgewa­nd schon recht locker am republikan­ischen Leib sitzt. Wie sonst wäre es zu erklären, dass man bürgerlich­e und monarchisc­he Anschauung­sformen derart durcheinan­derbringt, ohne etwas Vernünftig­es zu erzählen?

Posa, der aufgeklärt­e Idealist als Intrigendi­lettant, liegt tot am Boden. Ihn (symbolisch) abzuknalle­n geht so leicht wie das Entenschie­ßen der Hofdamen im ersten Akt. Karlos wird, Papa sei Dank, der Inquisitio­n übergeben werden. Wie schön wäre es, dieses treffliche Ensemble einer Spielleitu­ng anzuvertra­uen, die etwas mit ihm anzufangen wüsste.

 ??  ?? König Philipp (Günter Franzmeier) ist mit dem Schicksal absoluter Herrscherm­acht geschlagen – ein Kreuz für jeden Kreisspark­assenleite­r.
König Philipp (Günter Franzmeier) ist mit dem Schicksal absoluter Herrscherm­acht geschlagen – ein Kreuz für jeden Kreisspark­assenleite­r.

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