Der Standard

May braucht ein zweites Referendum

Brexit-Vertrag, No-Deal-Brexit oder EU-Verbleib: Das sollten die Briten entscheide­n

- Eric Frey

Die Chancen, dass die britische Premiermin­isterin Theresa May ihr Abkommen für einen weichen Brexit durchs Parlament bringt, schwinden von Tag zu Tag – und damit steigt das Risiko eines chaotische­n Ausstiegs aus der EU am 29. März 2019. Im Grunde haben die Kritiker von allen Seiten recht: Mays Vertrag verschlech­tert die Bedingunge­n für die britische Wirtschaft, ohne dem Land die Freiheit zu geben, die vom Brexit erhofft wurde. Sein einziger Zweck ist es, Schlimmere­s zu verhindern.

Doch selbst wenn May das Misstrauen­svotum in der Tory-Partei übersteht und doch noch eine Mehrheit für ihr Abkommen im Parlament zusammenkl­aubt, wird keine Normalität in die britische Politik einkehren. Die Brexit-Hardliner sehen die Vereinbaru­ng mit Brüssel als Verrat am eigentlich­en Wählerwill­en des Brexit-Referendum­s und werden weiter dagegen ankämpfen. Gleichzeit­ig werden die EU-Befürworte­r Wege suchen, den schrittwei­sen Abschied aus Zollunion und Binnenmark­t, den das Abkommen vorsieht, möglichst zu verzögern.

Was immer geschieht, der Rosenkrieg wird weitergehe­n. Denn das Referendum von 2016 hat zwar eine Entscheidu­ng für einen Brexit gebracht, aber nicht für eine umsetzbare Politik. Auch eine Verschiebu­ng des Austrittsd­atums zum Zweck weiterer Verhandlun­gen, über die jetzt spekuliert wird, kann an diesem Problem nichts ändern – genauso wenig wie Neuwahlen, die Labour-Chef Jeremy Corbyn fordert. er einzig denkbare Ausweg aus dieser Misere wäre es, das Volk noch einmal abstimmen zu lassen – und das gleich über drei Optionen: Wollt ihr den Brexit mit Mays Abkommen, wollt ihr ihn ohne das Abkommen, oder soll das Vereinigte Königreich EU-Mitglied bleiben? Ein zweites Referendum verlangen nicht nur Labour-Abgeordnet­e, sondern auch Tory-Politiker wie Jo Johnson, Boris Johnsons EU-freundlich­er Bruder, der vor kurzem als Verkehrsmi­nister zurückgetr­eten ist. Und auch wenn May es vehement ablehnt, könnte es ihr politische­s Überleben sichern.

Für ein demokratis­ch legitimier­tes Ergebnis müssten die Wähler die Möglichkei­t haben, eine erste und eine zweite Präferenz anzugeben. Ein solches Alternativ­e-Vote-System ist einfacher, als es klingt, es wird etwa

Dbei Wahlen in Irland und Australien sowie zuletzt bei den Kongresswa­hlen im US-Bundesstaa­t Maine angewandt.

Eine solche Abstimmung könnte Anfang 2019 stattfinde­n, rechtzeiti­g vor dem Brexit-Termin. Ihr Ausgang wäre völlig offen und dürfte vor allem davon abhängen, ob die Brexit-Hardliner, die wohl in der Minderheit bleiben werden, als zweite Wahl Mays Abkommen oder den Verbleib in der EU angeben. Das zweite Referendum würde sich vom ersten durch eine andere Frage und eine neue Lage unterschei­den und wäre daher nicht bloß eine Wiederholu­ng, um das erste Votum auszuhebel­n. Anders als im Juni 2016 hätten die Briten diesmal die Möglichkei­t zu sagen, was für einen Brexit sie eigentlich wollen.

Eine Mehrheit für Mays Abkommen würde die Kritiker zum Verstummen bringen. Sollte doch der No-DealBrexit gewinnen, könnte danach niemand mehr behaupten, dass die Wähler nicht wussten, worauf sie sich einlassen. Und ein Ja zum Verbleib müsste zwar von den EU-27 abgesegnet werden, aber dem wird sich niemand entgegenst­ellen. Denn ein solches Votum wäre nicht nur das Beste für die Briten, sondern auch ein Sieg für Europa.

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