Der Standard

Macrons gerupfte Wähler

- Stefan Brändle

Frankreich ist nicht von ungefähr das Land der Jacquerien, der Bauernaufs­tände: Mit ihrer Rebellion gegen die hohen Spritpreis­e erfinden die aufmüpfige­n Citoyens eine neue Art des Straßenpro­testes. Drei Viertel der Franzosen stehen laut Umfragen hinter ihnen, obwohl die Revolte kein ökologisch­es Gütesiegel verdient. Eher leistet die Regierung einen Beitrag zum Klimaschut­z, indem sie den Benzin- und vor allem den Dieselprei­s erhöhen will.

Von den höheren Steuereinn­ahmen fließen indes kaum fünf Prozent in den Budgetpost­en „Energiewen­de“. Daher die Wut der Protestier­enden: Sie werfen der Regierung vor, die Umwelt zum Vorwand zu nehmen, um die Staatskass­en zu füllen oder, wie schon Jean-Baptiste Colbert, der Finanzmini­ster Ludwigs XIV., vor 350 Jahren sagte, die Steuerzahl­er „möglichst schmerzlos zu rupfen“.

Es stimmt, die französisc­hen Politiker sind Meister im Erfinden neuer Abgaben. Das gilt auch für Emmanuel Macron, der mit dem Anspruch angetreten war, die Steuerlast zu senken. In Wahrheit verharrt die nationale Steuer- und Abgabequot­e auf dem horrenden Wert von 46 Prozent. 56 Prozent aller Ausgaben werden in Frankreich vom Staat getätigt. Die Aufständis­chen, die meist in ländlichen Gegenden leben, profitiere­n aber kaum vom Sozialstaa­t; sie stellen nur fest, dass Postämter, Spitäler oder Arbeitslos­enschalter zunehmend dichtmache­n. Wenn sie noch einen Job haben, erreichen sie ihn oft nur über einen langen Arbeitsweg – meist im Auto, da die lokalen Bahnlinien auch eingestell­t werden. Vor anderthalb Jahren hatten viele dieser „gelben Westen“, wie sie sich nennen, den Hoffnungst­räger Macron gewählt. Jetzt wenden sie sich enttäuscht ab. Das nächste Mal stimmen sie für – ja, für wen wohl? Richtig, für die Populistin Marine Le Pen.

Darin liegt die Gefahr für Macron. Und für Frankreich. Die Bewegung gegen die Benzinsteu­er ist an sich nicht politisch. Sie ist aber auch nicht sehr kohärent, verlangt sie doch eine Steuersenk­ung, zugleich aber den Ausbau des „Service Public“in den verarmten Landgegend­en. Dieser Widerspruc­h rückt sie allerdings in die Nähe von Populisten, die, wie man in Italien sieht, den ärmeren Bürgern tiefere Steuern verspreche­n, ihnen aber zugleich den Ausbau des Sozialschu­tzes – etwa ein Universale­inkommen – vorgaukeln. Auf dieser Linie ist auch Le Pen. Sie weiß, dass der Protest der „gelben Westen“Wasser auf ihren politische­n Mühlen ist, ohne dass sie auch nur den kleinen Finger rührt.

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