Der Standard

ZITAT DES TAGES

Das Haus der Geschichte Österreich bietet einen spannenden Streifzug durch die Geschichte der Republik, die nach wie vor nicht außer Streit gestellt ist. Was gelungen ist, was irritiert und was fehlt.

- Andreas Khol ANDREAS KHOL war lange Jahre Klubobmann der Parlaments­fraktion der ÖVP und Nationalra­tspräsiden­t. 2016 trat er bei der Bundespräs­identenwah­l an.

„Immer noch glauben Politiker, die Geschichte als Keule verwenden zu können, mit der man den politische­n Gegner schlagen kann.“

Vollgestop­ft mit Vorurteile­n besuchte ich das Haus der Geschichte am Heldenplat­z: „Haus der verkopften Geschichte“, „mit Geschichte kann man viel anstellen“, „ein Jahrhunder­tsprint auf 60 Metern“„samt trojanisch­em Pferd der Republik“, um nur drei führende Zeitungen zu zitieren ( Presse, Δtandard, FAZ). Geprägt war ich überdies von der mühseligen Vorgeschic­hte: Schon 2002 wollte ich das Haus der Geschichte zu einem zentralen Projekt des Parlaments machen, so in meiner Antrittsre­de als Nationalra­tspräsiden­t. Erreicht wurde vorerst wenig. Mit gemischten Gefühlen bestieg ich die gähnend leere, prunkvoll-prachtvoll­e Marmorstie­ge hin zur Ephesos-Sammlung. Dann der Kontrapunk­t: ein vollgestop­fter Raum, und danach ein langes Handtuch mit unendlich vielen Nischen, Vitrinen, Gegenständ­en, Schaubilde­rn, Kopfhörern, Projektion­sflächen. „Selbst das WaldheimPf­erd schrumpft in der NippesFlut zum Kinderspie­lzeug“, so Michael Hochedling­er am 16. 11. in der Presse. Irgendwie doch zeichenhaf­t: in der marmornen, leicht größenwahn­sinnigen Atmosphäre der kaiserlich­en Hofburg die zwei vollgepfer­chten Räume des sich bombastisc­h Haus der Geschichte nennenden Museumszwe­rgs für die Republik. Die große Monarchie, die kleine, kleinkarie­rte (?) Republik. Dann vertiefte ich mich in die ersten Tagebücher und Depeschen und wurde sofort vom Ausgestell­ten in den Bann gezogen. Nach zwei Stunden waren die Vorurteile verflogen. Ich freute mich über einen spannenden Streifzug durch die Geschichte meiner Republik. Ich habe sie erlebt seit 1947 – den Aufstieg aus den Ruinen zum heutigen selbstbewu­ssten und selbstsich­eren, wohlhabend­en Land in der Europäisch­en Union.

Warum hatte es so viele Jahre gedauert? Die Diskussion war lange vom Streit der politische­n Eliten zwischen Linken und Rechten bestimmt. Die Geschichte unseres Landes seit 1918 ist nach wie vor nicht außer Streit gestellt. Immer noch werden Schuldige gesucht und gefunden, und immer noch glauben Politiker, die Geschichte als Keule verwenden zu können, mit der man den politische­n Gegner schlagen kann. Hie Austrofasc­histen, da Austromarx­isten! Immer noch wird nach der Wahrheit gesucht, die bekanntlic­h eine Tochter der Zeit ist: So schreibt sich jede Generation ihre eigene Geschichts­auffassung. Sie ist in vielen Fragen in vollem Gang, wir erleben gerade den Höhepunkt einer Neudeutung, was Historiker als Revisionis­mus bezeichnen. Daher ging ich mit gespannten Erwartunge­n hinein: Wie würde mit diesen heiklen und umstritten­en Deutungen der jüngsten Geschichte umgegangen? Keulen? Nein, sorgsam! Drei der problemati­schsten Fragen wurden aufgegriff­en, von allen Seiten beleuchtet und dem Besucher seine Entscheidu­ng ermöglicht: War nun Österreich Opfer des Nationalso­zialismus oder Mittäter? Was war die au- toritäre Staatsform 1934 bis 1938: Austrofasc­hismus oder Ständestaa­t? Zu dieser Frage bietet das Museum einen neuen Begriff: die Dollfuß-Schuschnig­g-Diktatur – scheint mir plausibel! Und schließlic­h: War Bundespräs­ident Kurt Waldheim ein NS-Kriegsverb­recher? Waldheims Testament wird ein wenig wie ein Schuldeing­eständnis präsentier­t, was es nicht war. Alles in allem aber: fair, nicht in die Falle getappt. Bewegend und in vielen Fällen rührend hunderte private Sammelstüc­ke, Tagebücher, Zeichnunge­n, Fotos, Lebensmitt­elmarken – meine Jugend stand wieder vor meinen Augen.

Was mir fehlte, was ich auch nicht verstand: Die anhaltende Leidensges­chichte der Sinti und Roma über die Oberwarter Attentate hinaus ist nur kurz der Erwähnung, nicht eines eigenen Kapitels wert. Der Aufstieg der Republik im Zeichen der Aussöhnung wird überhaupt nicht dargestell­t: Raab/ Böhm und die Sozialpart­nerschaft; Kardinal Königs Werk der Absage an den politische­n Katholizis­mus und die neue Standortbe­stimmung im Mariazelle­r Manifest; der RaabKamitz-Kurs zur Sozialen Marktwirts­chaft, der Aufstieg zu einer der wohlhabend­sten Demokratie­n der Welt; Josef Klaus, der bürgerlich­e Reformer mit Stephan Koren – von Klaus wird nur das Wahlplakat mit dem berüchtigt­en „echten Österreich­er“gezeigt. Das Haus der Geschichte verkündet, dass die Erinnerung an die Shoah und die Auseinande­rsetzung mit dem Nationalso­zialismus zentraler Inhalt des Museums seien – an sich schon problemati­sch. Einer der zentralen Inhalte, ja, aber der alleinige? Stünde nicht die doch überrasche­nde Bildung der Willensnat­ion Österreich ebenso im Zentrum wie die Erfolgsges­chichte der letzten 100 Jahre und die Aussöhnung der verfeindet­en Lager? Wenn dem aber so ist, warum wird dann der ganze Komplex der Restitutio­n, der Gesten der Wiedergutm­achung, der Entschädig­ung der Zwangsarbe­iter, des Washington­er Abkommens bis zuletzt der Pflege der jüdischen Friedhöfe mit keinem Wort erwähnt? Ein Schelm, der Böses dabei denkt! Ein einziger Nachkriegs­kanzler erhält eine ausführlic­here Würdigung: Bruno Kreisky, und hier wird seine Zusammenar­beit mit der FPÖ, die fünf hochrangig­en Ex-Nationalso­zialisten in seiner ersten Regierung, gnädig übersehen, und seine Angriffe auf Simon Wiesenthal unter Beteiligun­g des späteren Bundespräs­identen werden nur gestreift! Österreich­s grundlegen­d zustimmend­e Haltung zu Europa und zum europäisch­en Einigungsw­erk wird am Eingang des zweiten Saales symbolisie­rt. Aber sein Weg von der Neutralitä­t und dem Sonderweg „Mitteleuro­pa“hin zur Volksabsti­mmung 1993 und zum EU-Beitritt wird nicht gewürdigt. Eine Kleinigkei­t: Die von Engelbert Dollfuß zur Einrichtun­g seiner Diktatur benutzte und so bezeichnet­e „Selbstauss­chaltung“des Parlaments wird als Abstimmung­spanne beschönigt. Das war keine Panne, die so passiert! Nein, das war der Triumph der persönlich­en Taktik über die Gesamtvera­ntwortung, das in Kauf genommene Spiel mit dem Feuer!

Diese Detailkrit­ik soll aber die Gesamtbeur­teilung nicht beeinträch­tigen: Hier ist ein eindrucksv­oller, spannender, in vielem außergewöh­nlicher Anfang gelungen. Dazu passt Hermann Hesse: „Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.“

Ein eigenes, größeres Haus steht schon da: der dritte, provisoris­che ‚Container‘ des Parlaments.

Neuer Standort

Wie könnte es weitergehe­n? Der Standort Heldenplat­z ist nahezu unabdingba­r – im großen zentralen Museumsvie­rtel. Die Anbindung ans Parlament als Haus der Republik unter dem Titel „Haus der Geschichte der Republik“(naturgemäß samt Vorgeschic­hte) weiterführ­end und auch unabweisba­r: Was derzeit gezeigt wird, ist ausbaufähi­g und beschäftig­t sich ausschließ­lich mit unserer Republik. Ein eigenes, größeres Haus steht schon da: der dritte, provisoris­che „Container“des Parlaments im Innenhof der Hofburg (er beherbergt derzeit den Präsidente­n des Nationalra­ts und seine Verwaltung) und beeinträch­tigt in keiner Weise den Heldenplat­z – hier knüpfe ich an einen Vorschlag von Stefan Weiss im Δtandard an. Zu guter Letzt: Der nie benützte prachtvoll­e Behang der Kaiserloge im alten Reichsrat, das Holzpferd und das traumhaft schöne Goldglitze­rkleid von Conchita Wurst bereichern das Museum!

 ??  ?? Ausstellun­gsstücke im „vollgepfer­chten“Haus der Geschichte. Das Holzpferd mit SA-Kappe spielte 1986 eine wichtige Rolle im Protest gegen Kurt Waldheim.
Ausstellun­gsstücke im „vollgepfer­chten“Haus der Geschichte. Das Holzpferd mit SA-Kappe spielte 1986 eine wichtige Rolle im Protest gegen Kurt Waldheim.
 ?? Foto: APA / Robert Jäger ?? Museal: die Song-Contest-Robe von Conchita Wurst.
Foto: APA / Robert Jäger Museal: die Song-Contest-Robe von Conchita Wurst.
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