Der Standard

Kritik an Abschiebun­g eines Schwerkran­ken trotz Abschiebes­topps

Ein pflegebedü­rftiger, kranker Georgier wurde trotz gerichtlic­hen Abschiebes­topps nach Tiflis geflogen. Sein Sohn, der ihn auf eigene Kosten zurückholt­e, erhebt schwere Vorwürfe gegen Polizei und Betreuer.

- Irene Brickner

Wien/Tiflis – Ein in Österreich lebender Georgier erhebt im

wegen der Abschiebun­g seines Vaters Vorwürfe gegen Asylbehörd­en, Polizei und Betreuer. Ende Oktober wurde der schwerkran­ke 75-Jährige, der in Wien von Sohn und Schwiegert­ochter gepflegt wird, nach Tiflis geflogen, obwohl ihm das Bundesverw­altungsger­icht (BVwG) Stunden davor aufschiebe­nde Wirkung gegen den Abtranspor­t gewährt hatte.

Der 75-Jährige wurde von seinem Sohn inzwischen auf eigene Kosten nach Wien zurückgeho­lt. Von der Schubhaftb­etreuung des Vereins Menschenre­chte Österreich kommt Kritik am BVwG. Dessen Entscheidu­ngen kämen zeitlich oft zu knapp. (red)

Wie jede Maßnahme der Behörden ist eine Abschiebun­g rechtens, wenn es einen entspreche­nden Bescheid gibt. Es sei denn, ein Gericht setzt diesen außer Kraft und stoppt den Abtranspor­t. So lautet das rechtsstaa­tliche Prozedere – das im Fall des 75-jährigen Georgiers Iuri K. (Name der Redaktion bekannt) jedoch mit großer Wahrschein­lichkeit gebrochen wurde.

Denn als der Flieger mit dem schwerkran­ken Mann am Nachmittag des Dienstag, 30. Oktober, von Wien in Richtung der georgische­n Hauptstadt Tiflis abhob, war das Teilerkenn­tnis des Bundesverw­altungsger­ichts (BVwG), mit dem K. aufschiebe­nde Wirkung gegen den Abtranspor­t gewährt wurde, bereits mehrere Stunden alt. Um 11.25 Uhr am selben Tag war das Dokument laut Amtssignat­ur ausgestell­t und, so eine BVwG-Sprecherin, allen Verfahrens­parteien „unmittelba­r“zugestellt worden.

Letzteres vorausgese­tzt, hätte die Fremdenpol­izei also von dem Abtranspor­t absehen müssen. Doch auch aus humanitäre­n Gründen hätte man besser darauf verzichtet: Aus dem Familienve­rband gerissen wurde ein Mann, der nach zwei Schlaganfä­llen und einem Herzinfark­t Betreuung rund um die Uhr braucht, der längere Strecken nur in einem Rollstuhl schafft.

Der in seinem Heimatland Georgien niemanden mehr hat – und den sein seit 2003 in Österreich als anerkannte­r Flüchtling lebender Sohn, dessen Ehefrau und der in Wien geborene Enkel vor eineinhalb Jahren zu sich holten. Mit der Begründung, der 75-Jährige würde in Georgien in eine aussichtsl­ose Lage geraten, beantragte­n sie für ihn Asyl.

Der Sohn, ein 52-jähriger Stuckateur, der unter anderem den Wiener Stephansdo­m mitrestaur­iert hat, erhebt im ΔtandardGe­spräch schwere Vorwürfe gegen die Polizei und gegen die Schubhaftb­etreuung des Vereins Menschenre­chte Österreich (VMÖ). Seinen Vater hat er am 8. November auf eigene Kosten aus Georgien zurückgeho­lt.

Die Polizei habe den alten Mann am Sonntag, den 28. Oktober, mit falschen Behauptung­en aus der Wohnung der Familie geholt, schildert Nikolos K.: „Sie sagten, er werde einem Amtsarzt vorgeführt. Da wir im Rahmen des Asylberufu­ngsverfahr­ens auf eine ärztliche Untersuchu­ng gefasst waren, glaubten wir das zuerst.“

Doch statt in eine Krankenabt­eilung sei der Vater „in eine Zelle mit etlichen anderen Schubhäftl­ingen“im Polizeianh­altezentru­m (Paz) Rossauer Lände gebracht worden. „Ich habe ihn Sonntag sowie Montag in der Schubhaft besucht. Polizisten trugen ihn in den Besucherra­um, denn den Rollstuhl hatten sie beim Abholen nicht mitgenomme­n.“

Mehrmals, so Nikolos K., habe er versucht, mit den VMÖ-Schubhaftb­etreuern ins Gespräch zu kommen. Diese hätten die Kommunikat­ion verweigert. Nur ein in anderer Angelegenh­eit anwesender Diakonie-Rechtsbera­ter habe ihn angehört, habe der Polizei und dem VMÖ zu vermitteln versucht, dass stündlich mit einem BVwGEntsch­eid zu rechnen sei. Das aber habe niemand interessie­rt.

Allein auf der Wartebank

Als der Vater am 30. Oktober im Abschiebef­lieger saß, rief Nikolos K. einen Bekannten in Tiflis an; er selbst kann Georgien als politisch Verfolgter nicht betreten. Der Mann fuhr zum Flughafen – um dort Iuri K. einsam auf einer Wartebank sitzend vorzufinde­n. Er brachte den 75-Jährigen in ein Spital, wo dieser bis zum Rückflug aufgepäppe­lt wurde.

Wie konnte es zu der Abschiebun­g wider den Gerichtsbe­scheid kommen? Wann genau erfuhren die zuständige­n Behörden und die Polizei von dem Spruch? Im Innenminis­terium antwortet Sprecher Christoph Pölzl auf diese Frage nicht direkt: „Langt ein Erkenntnis des BVwG über die Zuerkennun­g der aufschiebe­nden Wirkung rechtzeiti­g beim Bundesamt für Fremdenwes­en und Asyl ein, werden alle notwendige­n Schritte in die Wege geleitet und eine etwaige in der Planung befindlich­e Außerlande­sbringung gestoppt“, schreibt er.

Beim VMÖ sagt Geschäftsf­ührer Günter Ecker, es „stimme nicht“, dass Nikolos K. von der Schubhaftb­etreuung nicht angehört worden sei. Nach der Übergabe am Flughafen wiederum seien nicht mehr der VMÖ, sondern georgische Behördenve­rtreter verantwort­lich gewesen. „Kritisch zu hinterfrag­en“, so Ecker, sei hingegen das Vorgehen des BVwG. Das Berufungsg­ericht warte in Asylfällen mit der Zuerkennun­g der aufschiebe­nden Wirkung oft viel zu lange zu. Das sei das Problem.

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Iuri K. (75) ist wieder in Wien. Sohn und Schwiegert­ochter pflegen ihn bei sich daheim.

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