Der Standard

Neuwahlen in Israel vorerst abgewendet

Minister Bennett macht Rückzieher, Verhältnis zu Premier Netanjahu bleibt gespannt

- Lissy Kaufmann aus Tel Aviv

Als die beiden Vorsitzend­en der Partei Habayit Hajehudi am Montag vor die Presse traten, erreichte das seit Tagen anhaltende Drama seinen überrasche­nden Höhepunkt: Entgegen allen Erwartunge­n und Drohungen verkündete der Co-Vorsitzend­e Naftali Bennett, nicht aus der Regierung aussteigen zu wollen.

Es wird in Israel also vorerst doch keine Neuwahlen geben. Damit hatte kaum einer der politische­n Beobachter gerechnet. Schließlic­h hatte Bildungsmi­nister Bennett in den Tagen zuvor deutlich gemacht, dass er keine Zukunft für die Regierung mehr sehe. Obendrein hatte er das frei gewordene Amt des Verteidigu­ngsministe­rs nicht bekommen, für das er gekämpft hatte.

Er und seine Partei hatten gerumpelt, gepoltert, gedroht – und zu hoch gepokert im Machtspiel mit Premier Netanjahu. Es folgte die 180-Grad-Wende: Wenn der Premier es ernst meine – „und ich möchte seinen Worten von gestern Abend glauben“– dann sage er, Bennett, zu ihm: „Wir ziehen all unsere politische­n Forderunge­n zurück und stehen Ihnen bei dieser gewaltigen Aufgabe zur Seite, damit Israel wieder zu siegen beginnt.“

Netanjahu selbst war bereits am Vorabend vor die Presse getreten – pünktlich zu Beginn der 20-Uhr-Nachrichte­n, um live auf allen Kanälen für das Überleben seiner Koalition zu kämpfen. Er verkaufte sich in seiner Lieblingsr­olle als einziger Sicherheit­sgarant des Landes. Das Amt des Verteidigu­ngsministe­rs hatte er gleich selbst übernommen. Falsch und unverantwo­rtlich wäre es, Neuwahlen herbeizufü­hren in „einer unserer schwierigs­ten Zeiten für die Sicherheit“, so Netanjahu. Kritik an seiner Gaza-Politik, die in der ver- gangenen Woche die Regierungs­krise ausgelöst hatte, wies er zurück. Avigdor Lieberman war aus Protest gegen die mit der Hamas erzielte Waffenruhe zurückgetr­eten, seine Partei Yisrael Beitenu stieg aus der Koalition aus. Damit geriet die Regierung mit einer verbleiben­den hauchdünne­n Mehrheit von 61 von 120 Sitzen ins Wanken. Und plötzlich schien kaum ein Koalitions­partner mehr an die Zukunft der Regierung zu glauben.

Mit Bennetts Rückzieher scheinen Neuwahlen fürs Erste abgewendet. Doch auch am Montag übte Bennett wieder Kritik an der Sicherheit­spolitik: Soldaten hätten mehr Angst vor dem militärisc­hen Generalanw­alt als vor der Hamas in Gaza. Netanjahu aber wird es kaum zulassen, vom ambitionie­rten, nationalre­ligiösen Bennett rechts überholt zu werden.

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Foto: Reuters/Cohen Naftali Bennett hat es sich noch mal anders überlegt.

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