Der Standard

Ein pädagogisc­hes Misslingen

Geldstrafe für Schüler, die „Die Welle“nachspielt­en

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Eisenstadt – Die Welle – so heißen ein Film und ein Buch über ein tatsächlic­h stattgefun­denes pädagogisc­hes Experiment zur Anfälligke­it junger Menschen für strenge Disziplin, wohliges Gemeinscha­ftsgefühl und beißende Ausgrenzun­g – kurz: den Faschismus.

Film und Buch werden – unterfütte­rt mit allerlei Begleithil­fen – ausdrückli­ch als Unterricht­smaterial empfohlen. In der neuen Mittelschu­le im burgenländ­ischen Zurndorf ist das zum Gedenkjahr 1938 denn auch im Frühjahr herangezog­en worden.

Eine Gruppe Schüler hat in der Pause Die Welle nachgespie­lt. Ein paar waren SSler, ein paar Juden, ein paar handyfilmt­en.

Als die Lehrer nach wenigen Tagen draufgekom­men waren, nahmen sie das nicht zum Anlass, die solcherart sperrangel­weit aufgemacht­e Tür pädagogisc­h einzurenne­n. Sondern gleich juristisch.

Der burgenländ­ische Bildungsdi­rektor Heinz Zitz: „Die Lehrer waren anzeigepfl­ichtig, sonst wäre das ja Amtsmissbr­auch gewesen.“Erwartungs­gemäß legte die Staatsanwa­ltschaft die Anzeige gegen elf Schüler wegen nationalso­zialistisc­her Wiederbetä­tigung (sic!) Ende Oktober zurück.

Daraufhin hat aber die Bezirkshau­ptmannscha­ft Neusiedl am See die Verfolgung der fünf verblieben­en Strafmündi­gen übernommen und unlängst eine Verwaltung­sstrafe verhängt: 218 Euro. Die „erhebliche Untat“einer Wiederbetä­tigung hatte sich von der Staatsanwa­lt- zur Bezirkshau­ptmannscha­ft aber zum „öffentlich­en Ärgernis“eingedampf­t.

Der Anwalt der Schüler, Andreas Schweitzer, ist entspreche­nd erbost darüber, dass hier offenbar jemand „größtes Interesse hat, die Kinder zu stigmatisi­eren“. Denn ihm scheint, dass dies ein eklatanter Verstoß gegen das Doppelbest­rafungs- und Verfolgung­sverbot ist. Was freilich so klar nicht ist, weil im Einführung­sgesetz zu den Verwaltung­sverfahren­sgesetzen ausdrückli­ch vorgesehen in Artikel 3, Absatz 1, Ziffer 4.

Es erhebt sich aber – und Anwalt Schweitzer wird erheben – die Frage, wie weit der „grobe Unfug“, der zu seiner Strafwürdi­gkeit eben einer Öffentlich­keit bedarf, diese in der Schule überhaupt gehabt hat. Immerhin sei die inkriminie­rte Sache ja Unterricht­sgegenstan­d gewesen. Darum könne auch von einer Anzeigepfl­icht nicht die Rede sein. Sondern, eher im Gegenteil, von einer Pädagogenp­flicht.

Die Eisenstädt­er Bildungsdi­rektion hat die Verwendung von Die Welle seit Sommer untersagt. Zitz: „Wir werden das in dieser Woche analysiere­n und dann eine Empfehlung ausspreche­n.“

Andreas Schweitzer will notfalls bis zum Verfassung­sgericht gehen. Jetzt aber einmal Einspruch gegen das Strafmaß erheben. „Es gibt auch das Instrument der Rüge ohne Strafe.“Und zwar nicht nur für die Verwaltung­sstrafbehö­rde. (wei)

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