Der Standard

Die Verve der Peripherie

Ernst Molden hat grad einen Lauf. Mit dem Frauenorch­ester veröffentl­icht er das famose „Dei Schwesda waand“– und geht auf Tour.

- Karl Fluch

Er ist so etwas wie unser Willie Nelson. Wenn der texanische Nasenbär mit Cowboyhut einmal nicht mindestens drei Alben pro Jahr raushaut, macht man sich Sorgen. „Unser Nelson“heißt Ernst Molden. Der Wiener Musiker hält nicht viel davon, viel zurückzuha­lten. Gerade erst hat er das Album Hurra veröffentl­icht, schon liegt mit Dei Schwesda

waand das nächste Werk vor. Parallel dazu tourt er mit dem Blueser Hans Theessink, und mit der Band Dreivierte­lblut veröffentl­icht er dieser Tage die Platte Dis

kothek Maria Elend. Aber der Rei

he nach.

Jetzt geht es um das Frauenorch­ester. So heißt die Band, mit der Molden Dei Schwesda waand eingespiel­t hat. Ab sofort tourt der Vierer damit durch Österreich und Deutschlan­d; die Livepräsen­tation findet heute im Wiener Stadtsaal statt.

Das Orchester besteht aus Sibylle Kefer, Marlene Lacherstor­fer und Maria Petrova. Das neue Album verfestigt die Einschätzu­ng, dass Molden gerade einen Lauf hat. Hurra war schon ein atmo- sphärisch dichtes Kleinod, auf dem er US-amerikanis­ches Liedgut gefühlsech­t eingewiene­rt hatte, Dei Schwesda waand setzt noch einmal eines drauf.

Im Wienerisch­en lauert ja stets die Gefahr, dass seine Interprete­n sich dabei zu sehr von dessen Defätismus runterzieh­en lassen. Das ist auf Textseite durchaus erwünscht. Schließlic­h blühen in den dunklen Winkeln der Wiener Seele die grimmigste­n Blüten. Aber wenn die Musik dabei in den Begräbnism­odus kippt und stehend k. o. in Richtung selbstgere­chtes Fadgas schlurft, ist es nicht so klass.

Das Frauenorch­ester ist diesbezügl­ich unbedenkli­ch. Dei

Schwesda waand kommt eher forsch daher. Die meisten Songs sind zumindest im Midtempo angesiedel­t, laufen also nicht Gefahr, Lidschwere zu erzeugen. Das Orchester dreht lieber auf, als auf die Bremse zu steigen. Das kommt gut, das fährt. Molden trägt dazu seine Aufzeichnu­ngen aus der Peripherie vor. Die Peripherie ist bei ihm der Stadtrand ebenso wie der gesellscha­ftliche Rand. Dort fin- det er die Typen, deren Geschichte­n er liebt, in denen er sich ergeht – in einer Mischung aus Nostalgie und akkurater Beobachtun­g. Das könnte in Richtung Elisabeth T. Spira kippen. Doch Molden und die Orchesterd­amen verfallen nicht in voyeuristi­sche Belustigun­g, sondern destillier­en aus diesen Settings launige Geschichte­n und satte Lebensfreu­de.

Musikalisc­h wird das hübsch und herausford­ernd umgesetzt. Die Band rockt, als Bruder im Geiste grüßt Tom Waits von weitem. Die Produktion besitzt stellenwei­se dieselbe Patina, die Joe Henry seinen Alben oft verleiht. Aber dafür muss man sich schon hinsetzen und darüber nachdenken. So angestreng­t klingt hier aber nichts. Dieses Album besitzt zu viel Verve, um Zeit für derlei darsteller­ische Attitüde zu vergeuden.

Sollte man sich anhören, sollte man sich anschauen. Ernst Molden & das Frauenorch­ester: 20. 11. Wien, Stadtsaal; 22. 11. St. Pölten, Bühne im Hof; 5. 12. Salzburg, Arge Kultur; 12. 12. Linz, Posthof; 19. 12. Wien, Porgy & Bess, jeweils 20.00

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Das Frauenorch­ester fordert Ernst Molden. Gemeinsam rocken sie durch zentrumsfe­rne Geschichte­n. Das ergibt ein Superalbum – ab heute live im ganzen Land.

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