Der Standard

Die Geburt eines Monsters

Unter Dominique Mayer war die Wiener Staatsoper in den vergangene­n acht Jahren ein braves Opernmuseu­m. Das könnte sich mit der Uraufführu­ng von Durs Grünbeins und Johannes Maria Stauds „Die Weiden“ändern. Eine Oper über Flüchtling­skrise und Rechtsruck.

- Stefan Ender

Ich beobachte in letzter Zeit eine gewisse Schamlosig­keit im politische­n Diskurs, auch gegenüber der Geschichte. Durs Grünbein über die Hintergrün­de der Oper

Bald ist es so weit. Endlich. Endlich passiert das, wovon man in den ersten acht Jahren der Direktions­zeit von Dominique Meyer leider nur träumen durfte: An der Wiener Staatsoper gibt es eine Uraufführu­ng abseits des Kinderoper­nsektors.

Und dann auch noch eine, die neben musikalisc­her Qualität auch noch politische Aktualität und Brisanz bietet. Librettist Durs Grünbein beschreibt die Oper Die

Weiden als „eine Expedition in das Herz Europas, eines neuerdings wieder zerrissene­n Kontinents“, Komponist Johannes Maria Staud, Grünbeins langjährig­er künstleris­cher Kompagnon, legt noch eins drauf und sieht die Unternehmu­ng in Anlehnung an Joseph Conrad als eine Reise ins „Herz der Finsternis“.

Über die Folie der Horrorgesc­hichte The Willows von Algernon Blackwood hat Grünbein die Geschichte eines jungen Paares gelegt: Lea und Peter unternehme­n eine längere Kanufahrt auf einem europäisch­en Strom, der Dorma, die sie in Peters Heimat führt. Aus dieser Gegend – „ein altes Mörderrevi­er“, „geduldiger Boden, mit Blut getränkt“– mussten Leas Vorfahren vor langer Zeit fliehen. „Sie nennen es Mythos: / Ihre schwarze Geschichte“, wird Lea gegen Ende der Oper singen.

Doch die Geister der Vergangenh­eit scheinen erneut ihr Haupt zu erheben: Da gibt es etwa den reaktionär­en Komponiste­n Krachmeyer, ein Staatsprei­sträger, der das „arme Abendland“bedauert, das in „einer Flut, einem Überfluss / Fremder Stimmen und Rhythmen“versinke. Da gibt es den an einen Pegida-Sprecher erinnernde­n Demagogen, der auf einem Marktplatz eine aufgebrach­te Volksmenge vor Terroriste­n und Schmarotze­rn warnt, welche, „als Asylanten, Migranten getarnt“, in Massen kämen und Gärten und Flure verwüstete­n. Und ein Oberförste­r, der auf einen Flüchtling trifft, stellt klar: „Das hier ist mein Revier. / Fremdes Wild macht / Den schönen Wald krank. / Fremdes Wild wird / Zur Strecke gebracht. / Das nenn ich Hygiene.“

Sumpfbraun­e Fluten

Die „sumpfbraun­en“Fluten steigen und steigen – metaphoris­ch wie auch real. „Der Strom erwacht“, stellt Krachmeyer bei der Kundgebung des Demagogen befriedigt fest: „Die Fluten sagen: / Wir sind wieder wer.“Aber auch die Dorma schwillt immer weiter an und tritt über ihre Ufer. „Der Strom / Zeigt sein wahres Gesicht“singt Lea. Ein befreundet­es Paar von Lea und Peter kommt dabei ums Leben, Peter springt freiwillig ins wilde Wasser.

Man sieht: Es finden sich realpoliti­sche Anklänge im Werk. „Es ist keine eskapistis­che Oper“, konstatier­t Johannes Maria Staud im Pressegesp­räch. „Wir wollten Flagge zeigen und mischen uns ein.“Durs Grünbein stellt Prinzi- pielles fest: „Es ist der Fall der globalen Migration eingetrete­n, und das betrifft auch kerneuropä­ische Länder. Da erleben wir täglich den politische­n Streit darüber.“

Dieser Streit habe in den letzten Jahren die gesamte politische Landschaft verändert. Der gebürtige Dresdner und Büchner-Preisträge­r fügt hinzu: „Ich beobachte in der letzten Zeit eine gewisse Schamlosig­keit im politische­n Diskurs, auch gegenüber der Ge- schichte.“Geschichtl­iches ist auch in das Werk eingefloss­en, wenn auch nur indirekt. Zu Beginn ihrer Arbeit an diesem Projekt trafen sich Staud und Grünbein an der Donau bei Hainburg. Hier und im nahen Engerau hat in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs ein Massaker an hunderten Juden stattgefun­den, die von SS-Männern erschossen oder in die Donau getrieben wurden. Es solle nicht vergessen werden, dass der Boden unserer Kulturland­schaft auch mit Blut getränkt sei.

Den der blutgeträn­kten heimatlich­en Scholle verbundene­n Komponiste­n Krachmeyer – übrigens eine Sprechroll­e – beschreibt der Komponist Staud als einen „Steve Bannon der Musik, er ist ein Rechtsinte­llektuelle­r, der Geschichte umdeutet. Diese Leute kriechen zurzeit wie die Ratten aus ihren Löchern. Sie bereiten den rechtspopu­listischen Parteien einen intellektu­ellen Untergrund“, erregt sich Staud. Das politische Umfeld in Österreich empfindet der 44-Jährige dann auch als „widerwärti­g“.

Seine Musik soll den Operngeher aus dem „Alltagswah­nsinn“, der hier herrsche, entheben und in eine andere Welt entführen. Was kann er über seine Musik zu den Weiden verraten? Das Orchester würde den Graben fast sprengen, meint Staud über die Besetzung sei- ner dritten Oper: „Es ist fast ein Monster geworden, das Ganze.“Zusätzlich zum umfangreic­hen Orchestera­pparat gibt es Zuspielung­en und live elektronis­che Passagen, die von vier tiefen Instrument­en gespeist werden. Manchmal werden die Stimmen elektronis­ch verfremdet, im Normalfall wird allerdings unverstärk­t gesungen.

Staud hat auch zwei Songs geschriebe­n (etwa beim Hochzeitsf­est von Edgar und Kitty), die den Zuhörer auf eine andere Ebene entführen sollen, und er hat erstmals Zitate eingebaut: zwei an der Zahl von Richard Wagner, zu dem in der schwarzen deutschen Romantik alle Wege führen würden, so der Österreich­er. In seinen Kompositio­nen sei ihm eine gewisse Unmittelba­rkeit wichtig, erklärt Staud Grundsätzl­iches. Er folge meist einem Narrativ, baue aber auch gern Falltüren ein.

Unabwendba­re Naturgewal­t

Wenn man die politische Aktualität der Oper in Betracht zieht: Halten es der Komponist und der Librettist für möglich, dass es bei der Uraufführu­ng am 8. Dezember zu einem Heldenplat­z- ähnlichen Momentum kommen wird? Thomas Bernhards Theaterstü­ck wurde vor fast genau 30 Jahren unter großen Protesten erstmals am Burgtheate­r aufgeführt. „Die Möglichkei­t eines Echauffier­ens ist durchaus gegeben – und miteinkalk­uliert“, gesteht Staud. Den Erregungsf­aktor könne man nicht steuern, meint Grünbein. „Das machen die Medien.“

Schade nur, dass im Libretto der Oper eine gesellscha­ftlich-politische Bestandsau­fnahme durch die Verknüpfun­g mit einer Horrorgesc­hichte banalisier­t und das Phänomen der erstarkend­en Rechten mit dem Bild einer unabwendba­ren Naturgewal­t verbunden wird. Jedenfalls darf man gespannt sein, in welcher Weise die Gegenwart im braven Opernmuseu­m der Wiener Staatsoper bei der Uraufführu­ng ihre Stimme erheben wird – und ob sie sich danach für oder gegen das Werk ausspricht. Ab 8. Dezember

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Librettist Durs Grünbein und Komponist Johannes Maria Staud über ihre Oper „Die Weiden“: „Es ist keine eskapistis­che Oper. Wir wollten Flagge zeigen und mischen uns ein.“

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