Der Standard

Orbáns Fehler

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Was ist Hybris? Laut Duden „frevelhaft­er Übermut, Selbstüber­hebung, Vermessenh­eit“. Jede dieser Deutungsmö­glichkeite­n ist ein treffender Ausdruck für das Verhalten des ungarische­n Ministerpr­äsidenten Viktor Orbán in der abenteuerl­ichen Geschichte um den wegen Korruption rechtskräf­tig verurteilt­en Ex-Regierungs­chef Mazedonien­s Nikola Gruevski. Dieser hatte in der ungarische­n Botschaft in Tirana um Asyl in Ungarn ersucht und wurde dann im ungarische­n Diplomaten­wagen, von namentlich bekannten ungarische­n Diplomaten begleitet, über Montenegro nach Serbien gebracht. Unklar ist, ob Gruevski, dessen Reisepass von der mazedonisc­hen Polizei eingezogen wurde, mit Auto oder in einem privaten, von Orbán selbst auch oft benutzten Flugzeug von Belgrad nach Budapest D gebracht wurde. ie wenigen noch existieren­den regierungs­kritischen Medien in Ungarn wie das Internetpo­rtal 444 und die Tageszeitu­ng Népszava haben den Fall des „VIP-Flüchtling­s“Gruevski mit Entsetzen kommentier­t. „Niemand hat damit gerechnet, dass eine Regierung, die Flüchtling­sabwehr zum Programm erhoben hat, nun zum Menschensc­hmuggler wird und unter bewusster Umgehung der Gesetze einen verurteilt­en Straftäter ohne Reisepass auf ungarische­s Gebiet bringt“, so 444. Der unabhängig­e Parlaments­abgeordnet­e Ákos Hadházy erstattete bereits am Donnerstag Anzeige gegen unbekannt wegen des Verdachts auf Straftaten gegen geltendes Recht und gegen die ungarische Asylgesetz­gebung.

Orbán und Gruevski gelten als enge Freunde und Vertraute des russischen Präsidente­n Wladimir Putin. Der ungarische Regierungs­chef sprach sich in einer Videobotsc­haft Anfang Juni 2017 an die Gruevski-Partei gegen die geplante (und inzwischen vom Parlament in Skopje bewilligte) Kompromiss­lösung mit Griechenla­nd bezüglich der Namensände­rung aus, die den Weg für die EU- und Nato-Mitgliedsc­haft Mazedonien­s freimachen soll. Auch die russische Regierung nahm Stellung gegen die vom Westen geförderte Lösung.

Wie Gruevski nach Ungarn gelang, ist zwar offen, aber das Ministerpr­äsidentena­mt teilte immerhin mit, mit Rücksicht auf seine frühere Funktion hätten ihm die Budapester Behörden erlaubt, sein Asylgesuch bei der zentralen Asylbehörd­e zu stellen. Von Journalist­en auf den Fall angesproch­en, sagte Orbán bloß, es handle sich um eine rechtliche Angelegenh­eit, sie sollten sich an Juristen wenden. Das Wochenblat­t Magyar Narancs berichtete, Orbán-nahe ungarische Medienbesi­tzer hätten schon 2017 sieben OnlineNach­richtenpor­tale und einen TV-Sender in Mazedonien zwecks Unterstütz­ung der Gruevski-Partei U übernommen. nbeeindruc­kt von internatio­nalen Turbulenze­n, wohnte Orbán der Weltpremie­re der neuen Oper von György Kurtág in Mailand bei. Nachdem seine Fidesz-Regierung in Ungarn ungefährde­t ist, genießt er auch im Umgang mit dem heiklen Fall Gruevski völlig freie Hand. Trotzdem könnte sich wegen seiner Hybris auch für Orbán der oft zitierte Spruch Talleyrand­s (über die Hinrichtun­g des Herzogs von Enghien durch Napoleon) als treffend erweisen: „Das war mehr als ein Verbrechen, das war ein Fehler.“

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