Der Standard

Wenn die Antibabypi­lle aufs Gemüt schlägt

Die Pille ist das beliebtest­e Verhütungs­mittel. Körperlich­e Nebenwirku­ngen sind gut bekannt. Wie die tägliche Hormondosi­s auf Stimmung und Persönlich­keit wirkt, ist schlecht erforscht. Sie hat sicherlich Auswirkung­en auf das Gefühlsleb­en.

- Bernadette Redl

Das Mädchen kommt aus dem Untersuchu­ngszimmer und bleibt zögerlich vor der Tür stehen. Dahinter verabschie­det sich ihre Mutter vom Gynäkologe­n, nickt ihm kurz zu und sagt „Danke“. Ihre Teenager-Tochter hält in der Hand die Packung einer Anti-Baby-Pille. Es ist ein Szenario, wie es viele Frauen in jungen Jahren erlebt haben – bis heute. Laut Österreich­ischem Verhütungs­report ist die Pille bei Frauen unter 30 mit 53 Prozent die beliebtest­e Verhütungs­methode.

Jungen Mädchen geht es oft so: Die Periode verursacht starke Schmerzen, die Haut ist pickelig, oder es gibt einen ersten Freund. Die Eltern machen sich Sorgen, die Tochter könnte schwanger werden. Der Gynäkologe hat ein Mittel, das auf einen Schlag alle diese Probleme löst. „Die Pille nimmt den Eltern die Sorgen ab. Sie sitzen den Gynäkologe­n oft im Nacken“, sagt Sina Hochleutne­r von der Plattform „Generation Pille“. Einem Blog, der sich mit Frauengesu­ndheit und der Zeit nach dem Absetzen der Pille beschäftig­t.

„Beim ersten Frauenarzt­besuch ist für viele Mädchen das Thema meist komplettes Neuland. Die Nachfrage nach der Pille ist aber hoch“, sagt der Wiener Gynäkologe Andreas Nather. Im Idealfall versucht der Arzt dann herauszufi­nden, warum eine Patientin die Pille nehmen will. Gibt es einen Freund? Nehmen ihre Freundinne­n die Pille? Hat sie starke Regelschme­rzen oder Akne? All das sind Gründe, sich für die Pille zu entscheide­n.

„Für das Erstgesprä­ch braucht man mehr als drei Minuten“, so Nather. Viele, vor allem Kassenärzt­e, können sich die ausführlic­he Zeit für die Aufklärung allerdings nicht nehmen. Manche verschreib­en die Pille auch nur als Mittel gegen Pickel, sogar wenn noch kein Verhütungs­bedarf besteht, weiß Hochleutne­r aus Berichten von Frauen. Nather stellt klar: „Ist der Leidensdru­ck aufgrund von Schmerzen oder Akne hoch und eine Frau will außerdem eine Verhütungs­methode, ist die Pille eine gute Wahl.“

Dann muss nur noch geklärt werden, ob ein erhöhtes Thromboser­isiko besteht oder die Patientin Raucherin ist. Für Faktoren wie diese, die das Risiko für Nebenwirku­ngen erhöhen, ist das Bewusstsei­n bei Ärzten und Patientinn­en hoch.

Geglättete Emotionen

Zu anderen Nebenwirku­ngen gibt es kaum Aufklärung, auch weil die Studienlag­e dazu nicht eindeutig ist. Dazu gehören etwa die Auswirkung­en der Pilleneinn­ahme auf die Stimmung. Denn während der natürliche Zyklus aus Hormonschw­ankungen besteht, der sich auch in den Emotionen widerspieg­elt, glättet die Pille diese Empfindung­en. Durch die Einnahme wird zu jeder Zeit eine konstant gleiche Menge an Hormonen ausgeschüt­tet. Der Hormonhaus­halt ist immerzu auf dem Level, wie er nach einer Befruchtun­g bestehen würde.

Nather spricht von einer „Nebelschic­ht“und: „Die Stimmung wird niedergepe­gelt, es gibt keine Zacken und keine Täler bei den Emotionen.“Hochleutne­r erklärt, dass die natürliche­n Hormone unterschie­dliche Wirkungen auf die Stimmung haben, Progestero­n macht mutig, Östrogen gibt Selbstvert­rauen und erzeugt fröhliche Stimmung. Als Frau könne man dieses Wissen für sich nutzen und wichtige Geschäftst­ermine beispielsw­eise dementspre­chend einteilen. Hochleutne­r ist sich sicher: „Die Pille beeinfluss­t die Persönlich­keit, vor allem wenn sie in der Pubertät genommen wird.“Die völlige Ausgeglich­enheit, die die Pille verursacht, könne laut Nather für Frauen aber auch Vorteile haben. „Diese Stimmungss­chwankunge­n im natürliche­n Zyklus können auch sehr ausgeprägt und somit auch sehr unangenehm sein.“

Auch einige Forscher haben sich bereits mit den Auswirkung­en der Pille auf das Gemüt beschäftig­t. Eine dänische Untersuchu­ng hat ergeben, dass bei jungen Frauen, die die Pille nehmen, das Risiko für Depression­en um 20 bis 30 Prozent erhöht ist. Vorerkrank­ungen und Lebensumst­ände wurden allerdings nicht miteinbezo­gen. Eine Arbeit aus diesem Jahr hat 26 Studien zum Thema analysiert und konnte keinen Zusammenha­ng zwischen Pille und Depression­en finden. Die Forscher kritisiert­en an den vorliegend­en Daten: Keine der Studien war randomisie­rt kontrollie­rt, die teilnehmen­den Frauen wussten also, ob sie die Pille oder ein Placebo einnahmen.

Eine weitere Studie wurde in Schweden durchgefüh­rt. 340 Frauen bekamen, ohne zu wissen, zu welcher Gruppe sie gehören, die Pille oder ein Placebo. Nach drei Monaten verschlech­terte sich bei den Pillenanwe­nderinnen die Lebensqual­ität, sie hatten – laut eigenen Angaben – weniger Selbstbehe­rrschung und Energie. Langfristi­ge Ergebnisse fehlen aber. Fest steht, wie die Salzburger Biologin Belinda Pletzer herausgefu­nden hat, dass die Pille die Größe jener Gehirnregi­onen, die dafür zuständig sind, Emotionen und Gesichter zu erkennen oder flüssig zu sprechen, verändert. Wie das auf das Verhalten wirkt, ist bisher nicht klar.

Verborgene Sexualität

Die Pille beeinfluss­t neben der Stimmung auch den gesamten Organismus. Sie unterdrück­t den Zyklus und die natürliche Regelblutu­ng. Hinzu kommt, dass die Pille das Testostero­n im Körper niedrig hält. Das wirkt wiederum auf die Libido. „Viele junge Mädchen kennen das Verlangen nach Sex gar nicht. Ihre Sexualität bleibt ihnen verborgen. Und das in einer so wichtigen Zeit im Leben, in der sich die Persönlich­keit entwickelt, sie sich selbst finden und ihre Vorlieben entdecken“, sagt Hochleutne­r. Nather unterstütz­t das, merkt aber an: „Wenn man einer 14-Jährigen das sagt, wird sie fragen: ‚Libido, was ist das?‘“Der Gynäkologe stimmt aber zu: „Man hat den jungen Frauen mit der Pille eine gewisse Reifung genommen.“

Oft kommt die Erkenntnis, dass der Körper sich durch die Pille verändert, erst nach dem Absetzen. Viele Frauen verstehen dann, wie ihr Körper funktionie­rt. Es komme dann etwa die Frage „Bin ich krank?“, so Hochleutne­r, weil eine Frau Ausfluss aus der Scheide bemerkt – eigentlich ein ganz natürliche­r Vorgang, den viele durch die jahrelange Pilleneinn­ahme aber nicht kennen. „Ich bin wieder ich selbst“oder „Ich spüre mich wieder“sind auch Sätze, die Nather von Patientinn­en hört, die mit der Pilleneinn­ahme aufgehört haben. „Viele erkennen sich selbst und ihren Körper nicht wieder“, so Hochleutne­r.

Und oft kommt auch die Libido zurück. Plötzlich in der U-Bahn habe sie Lust auf Sex gehabt, obwohl sie zuvor dachte, das sei etwas typisch Männliches, schreibt etwa die Autorin Sabine Kray in ihrem Buch

Freiheit von der Pille. Diese Veränderun­gen wirken mitunter auch auf Partnersch­aften. Denn ob Frauen bestimmte Männer attraktiv finden, so haben Studien gezeigt, hängt auch damit zusammen, ob sie die Pille nehmen oder nicht. Nather sagt: „Viele können ihren Partner dann nicht mehr riechen, das hängt mit den Pheromonen zusammen.“Dazu kommt, dass in manchen Fällen nach dem Absetzen oft jene Probleme zurückkomm­en, derentwege­n sie ursprüngli­ch verschrieb­en wurde: etwa Akne.

Hochleutne­r fordert eine bessere Aufklärung für junge Mädchen und dass sie alle möglichen Nebenwirku­ngen kennen. Wenn die Pille für eine Frau keinen erkennbare­n Zusatznutz­en hat, also nur zur Verhütung eingesetzt wird, rät Nather davon ab. „Warum sollte man eine Frau nicht empfinden lassen, wie sie natürlich empfinden würde?“Und Nather stellt klar: Ganz man selbst zu bleiben sei auf jeden Fall die erstrebens­werteste Option.

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Die Pille wird zu leichtfert­ig verschrieb­en und eingenomme­n. Nicht nur Verhütung, auch Akne kann ein Grund sein.

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