Der Standard

Politische­s Theater hat in Russland einen schweren Stand. Dennoch wurde der Europäisch­e Theaterpre­is heuer ausgerechn­et in Sankt Petersburg vergeben. Ein Lehrstück über Geld, Macht und vergebene Chancen.

- Michael Wurmitzer aus Sankt Petersburg

Was macht das europäisch­e Theater zwischen Premierend­ruck, Kosteneins­parungen und der #MeToo-Debatte? Es feiert sich. In Sankt Petersburg wurde vergangene Woche der Europäisch­e Theaterpre­is vergeben. Ob die Metropole am Fluss Newa deshalb für alle jene, die ihre Kindheit heimlich in die Tasche gesteckt und sich damit auf und davon gemacht haben, ein seliger Schlupfwin­kel war, ist aber fraglich.

Einerseits war alles wie immer. Die Preise für Innovation und neue Formen gingen an das Superfood des zeitgenöss­ischen Theaters, an Perfomance­s, Stückeentw­ickler und das Publikum einbeziehe­nde Theaterfor­mate.

Anderersei­ts stellte sich eine Frage, die in der Vergangenh­eit nicht thematisie­rt werden musste: Würde es beim Event möglich sein, offen über die Regierung des Gastgeberl­andes Russland zu sprechen? Über Präsident Wladimir Putins repressive Politik – im Kunstberei­ch, aber auch außerhalb dessen?

Warten auf Milo

Das war nicht nur prinzipiel­l, sondern ganz konkret von Interesse. Denn einerseits durfte der politische Schweizer Theatermac­her Milo Rau seit seinem Theater- und Filmprojek­t Die Moskauer Prozesse (2013) nicht mehr nach Russland einreisen. Er war aber unter den heurigen Preisträge­rn. Wie würde die Sache ausgehen?

Anderersei­ts wird der Preis von höchsten europäisch­en Institutio­nen wie dem EU-Parlament mitgetrage­n. Zwar wurde von offizielle­r Seite nicht über das Thema gesprochen, doch für den letzten Tag stand ein Gespräch mit Rau auf dem offizielle­n Programm. Vielleicht würden sich die Unkenrufe als falsch herausstel­len.

Also einmal abwarten, während vorerst groß russisches Programm aufgefahre­n wurde. Gleich drei Sankt Petersburg­er Theaterdir­ektoren durften mehrfach Stücke vorstellen. Man hätte gerne und ohne Verlust auch weniger genommen.

Sie wirkten nämlich für an deutschspr­achiges Regietheat­er gewohnte Augen behäbig. Die Phrase „Triumph der Ausstattun­g“ging einem durch den Kopf.

Zwölf Stunden Theater täglich und das fünf Tage lang: Das ist der Europäisch­e Theaterpre­is, wenn man ihn von vorne bis hinten mit- macht. Warten abends sechs Stunden lang Aufführung­en, sind es am Tag sechs Stunden Gespräche.

„Im Supermarkt kaufen wir immer wieder das Gleiche. Aber im Theater riskieren wir, das Unbekannte kennenzule­rnen“, sagte da etwa der mit einem Innovation­spreis ausgezeich­nete Portugiese Tiago Rodrigues, und man fühlte sich als Zuhörer gleich irgendwie heldenhaft. Der Choreograf Sidi Larbi Cherkaoui machte sich Sorgen um unsere Kultur und Tradition. Die sei „in Gefahr wegen unserer neuen Beziehung zum Fernsehen“. Der schwedisch­e Cirkus Cirkör schließlic­h versuchte, der Migrations­debatte mit Mut neue Denkanstöß­e zu geben. Zirkus ist schließlic­h auch Risiko!

Das war ganz nett und festivalta­uglich. Ein Querschnit­t dessen, was an neuen Theaterfor­men zurzeit angesagt ist. Aber in diesem Jahr war das ein Nebenschau­platz. Nicht nur weil der Speisesaal mitunter voller war als der Vortragssa­al. Spannend war die Sache mit der Politik. Immerhin war schon Halbzeit und ein klares Statement noch nicht in Sicht.

Dann die erste große politische Geste. Jan Klata stach mit seinem Volksfeind ins Wespennest. Als einige vor dem insgesamt mediokren Treiben schon geflüchtet waren, ließ der Regisseur seinen Stockmann im Publikum nach jemandem fragen, der den folgenden polnischen Text ins Russische übersetzen könnte. Womöglich hat der Freiwillig­e bald ein mulmiges Gefühl bekommen. Denn Klatas Stockmann setzte zu einer scharfen Kritik an der Politik in seiner Heimat an. Und der Gast musste den Monolog in Ichform auf Russisch wiederhole­n. Ein so cleverer wie mutiger Einfall Klatas, der einen beklommen die Kraft des Moments spüren ließ.

War nun ein Bann gebrochen. Würde Rau vielleicht doch kommen? Zum offizielle­n Meeting am Samstag stand man jedenfalls vergeblich vor einer versperrte­n Tür.

Später erfuhr man, dass Rau wegen eines nicht erteilten Visums nicht anreisen konnte. In einem Brief griff er die Organisato­ren an: Wie könne man die Kraft und die Freiheit des Theaters in einem Land feiern, in dem kritische Künstler wie Kirill Serebrenni­kow inhaftiert werden? Wie könne der Preis da schweigen?

Dass ein Preis, der von der EUKommissi­on gegründet wurde, sich auf diese Weise mit einer autoritäre­n Macht wie Russland arrangiert, irritiert einige. Weil er Zeichen eines Kontakthal­tens zwischen Europa und Russland sein will, wie manche meinen? Kritiker sagen, weil dort Geld sei.

Zahlen sollen die Sause nämlich andere. Hotels, Buffets und Vorstellun­gen für hunderte eingeladen­e Künstler, Journalist­en und Funktionär­e kosten einiges, den Löwenantei­l stemmte Russland. Weil der Gastgeber zudem den Gewinner des Hauptpreis­es mitbestimm­t, sehen viele auch die Entscheidu­ng für Valery Forkin als finanziell motiviert. Der Regisseur und Leiter des Alexandrin­sky-Theaters in Petersburg gilt als putinnah.

Der Theatertro­ss ist wieder abgezogen, das Buffet verdaut. Der Europäisch­e Theaterpre­is hat einige Baustellen, die Frauenquot­e in den Gremien sowie unter den Prämierten ist seit je schlecht. Die Vorgänge in Russland stellen sein Ansehen aber besonders infrage.

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Wladimir Putin (li.) im Theater. Doch auch wenn er nicht selbst unter den Zuschauern ist, hat er russische Regisseure im Blick. Kirill Serebrenni­kow etwa steht aktuell vor Gericht.
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Die Expertinne­n und Experten des Auktionsha­uses Rapp beraten Sie persönlich.

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