Vertrauen wir noch in Fakten?
Experten sprechen von der Glaubwürdigkeitskrise der Wissenschaft. Der Befund im Angesicht von Fake-News klingt dramatisch, Forscher suchen nach Gegenmitteln.
Es gibt sie zahlreich, und sie sind besonders hartnäckig: jene Skeptiker, die an Forschungsergebnissen zweifeln und meinen, es besser als Wissenschafter zu wissen. Sie haben auf Websites manipulierte Nachrichten gelesen, denen sie glauben wollen, weil sie die ganze Wahrheit hinter dem Mainstream der Forschungsergebnisse versprechen. Sie bezweifeln die menschgemachte Erderwärmung, obwohl sie jederzeit nachweis- und und erklärbar ist: Wenn zu viel Kohlendioxid CO2 in die Erdatmosphäre gelangt, werden Sonnenstrahlen nicht reflektiert. Sie glauben nicht an den Sinn von Impfungen, obwohl deren Erfolgsgeschichte nachgewiesen werden kann, auch durch den Umkehrschluss.
Was passiert, wenn Impfungen rückläufig sind? Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) berichtete im Februar 2018 von 35 Menschen, die 2017 in Europa an Masern gestorben seien. Mehr als 21.000 hätten sich mit dem Virus angesteckt, etwa viermal so viele wie im Jahr zuvor. Die WHO sprach von einer rückläufigen Impfquote und erkannte darin die Ursache für die steigenden Zahlen. Was aber kann die Wissenschaft effizient gegen derartige, wider besseres Wissen lancierte Nachrichten tun?
Internationale Experten sind sich einig: Noch nie wurde die Qualität von Wissenschaft so kritisch überprüft wie derzeit. Publikationen in Fachjournalen sind erst nach Peer-Review-Verfahren möglich, öffentliche Fördergelder für Forschungsarbeiten gibt es erst nach intensiver Begutachtung durch Fachexperten. Das System sei an seine Grenzen gelangt, sagt die Wissenschaftsforscherin Helga Nowotny, ehemalige Präsidentin des europäischen Wissenschaftsrats ERC. Die Zukunft liege in Mischformen mit künstlicher Intelligenz: „Das heißt nicht, dass es in Zukunft keine Gutachter mehr geben wird, doch die Gewichtung und Schnittflächen werden sich stark verschieben“, sagt Nowotny. Ein vertrauenswürdiges System ist das Ziel.
Der Leistungsdruck muss ein weiteres Kriterium der Analyse sein: „Wer Karriere machen will, wird in den Naturwissenschaften stark dazu gedrängt, in den Hochglanzjournalen zu publizieren. Und so wird die Forschung darauf abgestellt, ob ‚ am Ende‘ ein Science- Paper rauskommen könnte, statt ein Problem zu durchdringen“, sagt die Primatenforscherin Julia Fischer von der Georg-August-Universität Göttingen. Das Augenmerk liege auf dem Spektakulären, auf Ergebnissen mit Nachrichtenwert, auf dem Überraschenden. „Und es wird ausgeblendet, dass sehr überraschende Ergebnisse mit nicht geringer Wahrscheinlichkeit schlichtweg Zufallsbefunde sind“, berichtet Fischer.
Krise der Reproduzierbarkeit
Dieser Umstand sei von zentraler Bedeutung in der Reproduzierbarkeitskrise: „Unwahrscheinliche und daher überraschende Befunde wurden berichtet, Schwierigkeiten, diese zu reproduzieren, eher nicht. Ich bin sehr froh, dass sich das inzwischen ändert und die Bereitschaft, auch Replikationsstudien zu finanzieren und zu publizieren, zunimmt.“
Diesen Problemen müsse man ins Auge sehen. Aber wird man dadurch die rapide Verbreitung von Falschmeldungen durch Multiplikatoren wie Social Media eindämmen können? Es gelte an die Ursachen eines grundsätzlichen Misstrauens gegenüber Erkenntnissen zu gehen, sagen Forscher. Wissenschafter werden mit Eliten gleichgesetzt, sagt der Ägyptologe Antonio Loprieno, Vorsitzender des Österreichischen Wissenschaftsrats. Lautet ein häufiges Feedback aus der Bevölkerung etwa: „Das sind die da oben, die glauben, mehr zu wissen, die auch manchmal von oben herab mit uns sprechen.“Und wie kann man dieses Bild beseitigen? Als Wissenschafter müsse man auch Kommunikator sein, ergänzt Martina Brockmeier, Vorsitzende des deutschen Wissenschaftsrats: „Man könnte auch eine Wissenschaft als exzellent bezeichnen, die nicht nur neue Dinge hervorbringt, sondern dieses neue Wissen auch in die Gesellschaft kommuniziert.“Die grundsätzliche Frage: Wird das neue Wissen als solches anerkannt? Wie kann das gelingen? Brockmeier meint: „Es ist wichtig zu betonen, dass sich die Wissenschaft immer auf den jetzigen Wissensstand bezieht. Wir müssen deutlich machen, dass es nicht der Weisheit letzter Schluss ist, sondern wir immer weiterarbeiten und neuere Erkenntnisse erlangen, denn sonst würde das Wissen ja zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Geschichte enden.“Man müsse in der Gesellschaft ein Bewusstsein dafür schaffen, was es bedeuten würde, wenn wir unser Wissen nicht immer wieder revidieren würden. In der Vergangenheit sei dieser sogenannte Revisionsvorbehalt nicht genug betont worden, „und es sind teilweise zu viele Versprechen gemacht worden, die nicht gehalten werden konnten“, kritisiert die Wissenschafterin.
Deutungshoheit verloren
Antonio Loprieno analysiert, die Wissenschaft habe die Deutungshoheit über Wissen verloren. Loprieno sieht das Ende des Aufklärungsparadigmas „Je mehr ich weiß, desto besser“und eine zunehmend digitale Konstitution des Wissens. Daher komme es zu fließenden Grenzen „zwischen der Produktion von Wissen und der Produktion von Unwissen“. Loprieno meint auch, durch die Vielzahl an Informationen sei die Gesellschaft grundsätzlich überfordert. Es seien zu viele Wissensfragmente im Umlauf. Deshalb sei die gesellschaftliche Aufgabe von Wissenschaftern, diese Bruchstücke zusammenzufügen, eine Art „organisierte Orientierung“anzubieten. Ein Wissenschafter müsse heutzutage „Einordnung“bieten, denn die Zeiten des „individuellen Wissens“, das man nur durch ihn oder durch ein von ihm verfasstes Buch erreichen konnte, seien endgültig vorbei, meint Loprieno.
Klingt auch nach einem notwendigen Verhaltenskodex für Wissenschafter, um aus der allgemein ausgerufenen Glaubwürdigkeitskrise gestärkt hervorgehen zu können. „Wissenschafter müssen integer und bescheiden bleiben, sie dürfen keine vollmundigen Versprechungen machen, die sie dann nicht halten können“, sagt Brockmeier. Und Helga Nowotny hat noch einen Tipp, wenn Wissenschafter mit leidenschaftlichen Faktenverdrehern konfrontiert sind: „Am ehesten hilft hier Gelächter, eine Strategie des Lächerlichmachens. Vielleicht brauchen wir gerade in diesen dunklen Zeiten alle mehr Humor.“