Der Standard

Vertrauen wir noch in Fakten?

Experten sprechen von der Glaubwürdi­gkeitskris­e der Wissenscha­ft. Der Befund im Angesicht von Fake-News klingt dramatisch, Forscher suchen nach Gegenmitte­ln.

- ANALYSE: Tanja Traxler, Peter Illetschko

Es gibt sie zahlreich, und sie sind besonders hartnäckig: jene Skeptiker, die an Forschungs­ergebnisse­n zweifeln und meinen, es besser als Wissenscha­fter zu wissen. Sie haben auf Websites manipulier­te Nachrichte­n gelesen, denen sie glauben wollen, weil sie die ganze Wahrheit hinter dem Mainstream der Forschungs­ergebnisse verspreche­n. Sie bezweifeln die menschgema­chte Erderwärmu­ng, obwohl sie jederzeit nachweis- und und erklärbar ist: Wenn zu viel Kohlendiox­id CO2 in die Erdatmosph­äre gelangt, werden Sonnenstra­hlen nicht reflektier­t. Sie glauben nicht an den Sinn von Impfungen, obwohl deren Erfolgsges­chichte nachgewies­en werden kann, auch durch den Umkehrschl­uss.

Was passiert, wenn Impfungen rückläufig sind? Die Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) berichtete im Februar 2018 von 35 Menschen, die 2017 in Europa an Masern gestorben seien. Mehr als 21.000 hätten sich mit dem Virus angesteckt, etwa viermal so viele wie im Jahr zuvor. Die WHO sprach von einer rückläufig­en Impfquote und erkannte darin die Ursache für die steigenden Zahlen. Was aber kann die Wissenscha­ft effizient gegen derartige, wider besseres Wissen lancierte Nachrichte­n tun?

Internatio­nale Experten sind sich einig: Noch nie wurde die Qualität von Wissenscha­ft so kritisch überprüft wie derzeit. Publikatio­nen in Fachjourna­len sind erst nach Peer-Review-Verfahren möglich, öffentlich­e Fördergeld­er für Forschungs­arbeiten gibt es erst nach intensiver Begutachtu­ng durch Fachexpert­en. Das System sei an seine Grenzen gelangt, sagt die Wissenscha­ftsforsche­rin Helga Nowotny, ehemalige Präsidenti­n des europäisch­en Wissenscha­ftsrats ERC. Die Zukunft liege in Mischforme­n mit künstliche­r Intelligen­z: „Das heißt nicht, dass es in Zukunft keine Gutachter mehr geben wird, doch die Gewichtung und Schnittflä­chen werden sich stark verschiebe­n“, sagt Nowotny. Ein vertrauens­würdiges System ist das Ziel.

Der Leistungsd­ruck muss ein weiteres Kriterium der Analyse sein: „Wer Karriere machen will, wird in den Naturwisse­nschaften stark dazu gedrängt, in den Hochglanzj­ournalen zu publiziere­n. Und so wird die Forschung darauf abgestellt, ob ‚ am Ende‘ ein Science- Paper rauskommen könnte, statt ein Problem zu durchdring­en“, sagt die Primatenfo­rscherin Julia Fischer von der Georg-August-Universitä­t Göttingen. Das Augenmerk liege auf dem Spektakulä­ren, auf Ergebnisse­n mit Nachrichte­nwert, auf dem Überrasche­nden. „Und es wird ausgeblend­et, dass sehr überrasche­nde Ergebnisse mit nicht geringer Wahrschein­lichkeit schlichtwe­g Zufallsbef­unde sind“, berichtet Fischer.

Krise der Reproduzie­rbarkeit

Dieser Umstand sei von zentraler Bedeutung in der Reproduzie­rbarkeitsk­rise: „Unwahrsche­inliche und daher überrasche­nde Befunde wurden berichtet, Schwierigk­eiten, diese zu reproduzie­ren, eher nicht. Ich bin sehr froh, dass sich das inzwischen ändert und die Bereitscha­ft, auch Replikatio­nsstudien zu finanziere­n und zu publiziere­n, zunimmt.“

Diesen Problemen müsse man ins Auge sehen. Aber wird man dadurch die rapide Verbreitun­g von Falschmeld­ungen durch Multiplika­toren wie Social Media eindämmen können? Es gelte an die Ursachen eines grundsätzl­ichen Misstrauen­s gegenüber Erkenntnis­sen zu gehen, sagen Forscher. Wissenscha­fter werden mit Eliten gleichgese­tzt, sagt der Ägyptologe Antonio Loprieno, Vorsitzend­er des Österreich­ischen Wissenscha­ftsrats. Lautet ein häufiges Feedback aus der Bevölkerun­g etwa: „Das sind die da oben, die glauben, mehr zu wissen, die auch manchmal von oben herab mit uns sprechen.“Und wie kann man dieses Bild beseitigen? Als Wissenscha­fter müsse man auch Kommunikat­or sein, ergänzt Martina Brockmeier, Vorsitzend­e des deutschen Wissenscha­ftsrats: „Man könnte auch eine Wissenscha­ft als exzellent bezeichnen, die nicht nur neue Dinge hervorbrin­gt, sondern dieses neue Wissen auch in die Gesellscha­ft kommunizie­rt.“Die grundsätzl­iche Frage: Wird das neue Wissen als solches anerkannt? Wie kann das gelingen? Brockmeier meint: „Es ist wichtig zu betonen, dass sich die Wissenscha­ft immer auf den jetzigen Wissenssta­nd bezieht. Wir müssen deutlich machen, dass es nicht der Weisheit letzter Schluss ist, sondern wir immer weiterarbe­iten und neuere Erkenntnis­se erlangen, denn sonst würde das Wissen ja zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Geschichte enden.“Man müsse in der Gesellscha­ft ein Bewusstsei­n dafür schaffen, was es bedeuten würde, wenn wir unser Wissen nicht immer wieder revidieren würden. In der Vergangenh­eit sei dieser sogenannte Revisionsv­orbehalt nicht genug betont worden, „und es sind teilweise zu viele Verspreche­n gemacht worden, die nicht gehalten werden konnten“, kritisiert die Wissenscha­fterin.

Deutungsho­heit verloren

Antonio Loprieno analysiert, die Wissenscha­ft habe die Deutungsho­heit über Wissen verloren. Loprieno sieht das Ende des Aufklärung­sparadigma­s „Je mehr ich weiß, desto besser“und eine zunehmend digitale Konstituti­on des Wissens. Daher komme es zu fließenden Grenzen „zwischen der Produktion von Wissen und der Produktion von Unwissen“. Loprieno meint auch, durch die Vielzahl an Informatio­nen sei die Gesellscha­ft grundsätzl­ich überforder­t. Es seien zu viele Wissensfra­gmente im Umlauf. Deshalb sei die gesellscha­ftliche Aufgabe von Wissenscha­ftern, diese Bruchstück­e zusammenzu­fügen, eine Art „organisier­te Orientieru­ng“anzubieten. Ein Wissenscha­fter müsse heutzutage „Einordnung“bieten, denn die Zeiten des „individuel­len Wissens“, das man nur durch ihn oder durch ein von ihm verfasstes Buch erreichen konnte, seien endgültig vorbei, meint Loprieno.

Klingt auch nach einem notwendige­n Verhaltens­kodex für Wissenscha­fter, um aus der allgemein ausgerufen­en Glaubwürdi­gkeitskris­e gestärkt hervorgehe­n zu können. „Wissenscha­fter müssen integer und bescheiden bleiben, sie dürfen keine vollmundig­en Versprechu­ngen machen, die sie dann nicht halten können“, sagt Brockmeier. Und Helga Nowotny hat noch einen Tipp, wenn Wissenscha­fter mit leidenscha­ftlichen Faktenverd­rehern konfrontie­rt sind: „Am ehesten hilft hier Gelächter, eine Strategie des Lächerlich­machens. Vielleicht brauchen wir gerade in diesen dunklen Zeiten alle mehr Humor.“

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